Memorial Russland löst bekannteste Menschenrechtsorganisation auf

Vor dem obersten Gericht in Moskau protestierten zahlreiche Menschen gegen die Auflösung von Memorial
Foto:EVGENIA NOVOZHENINA / REUTERS
Russlands bekannteste Menschenrechtsorganisation Memorial muss schließen. Das hat das oberste Gericht in Moskau entschieden. Richterin Alla Nasarowa gab am Dienstag der Agentur Interfax zufolge einem entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft wegen »Verstoßes gegen russische Gesetze« statt. Jan Ratschinski von der Memorial-Leitung kündigte an, gegen das Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorzugehen.
Die Ende der Achtzigerjahre gegründete Gesellschaft sprach von einer »politischen Entscheidung« ohne Rechtsgrundlage. Ziel sei die »Zerstörung einer Organisation, die sich mit der Geschichte politischer Repressionen und mit dem Schutz der Menschenrechte befasst«. Menschenrechtsaktivisten beklagen zunehmende autoritäre Tendenzen und die Verfolgung Andersdenkender in Russland.
Der Vertreter der russischen Generalstaatsanwaltschaft, Alexej Dschafjarow, sagte vor Gericht, dass Memorial mit seiner Arbeit die vor 30 Jahren aufgelöste Sowjetunion als »Terrorstaat« darstelle und Lügen über das Land verbreite. Die russische Justiz warf Memorial zudem wiederholte Verstöße gegen das Gesetz zu sogenannten ausländische Agenten vor.
Gesetz zu »ausländischen Agenten« international in der Kritik
Die Organisation ist mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie sich selbst nicht als ausländischer Agent bezeichnet. Das Gesetz sieht vor, dass Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland als »Agenten« bezeichnet werden können. Betroffen sind auch viele Journalisten.
Das Regelwerk steht international als politisches Instrument für willkürliche Entscheidungen gegen Andersdenkende in der Kritik. Beklagt wird auch, dass jene, die sich für die Rechte von Menschen einsetzen, als Spione stigmatisiert würden. Memorial fordert seit Langem die Aufhebung des Gesetzes. Die Organisation setzt sich zum Ärger der russischen Führung auch für politische Gefangene ein – 349 gibt es demnach auf der Liste.
Viele Oppositionelle, darunter die Anhänger des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny, werden in Russland von der Justiz als Extremisten eingestuft. Memorial sieht sich durch das Führen einer Liste zu politischen Gefangenen dem Vorwurf ausgesetzt, »das Mitwirken in terroristischen und extremistischen Organisationen« zu rechtfertigen. Das sei falsch, sagte die Memorial-Juristin Tatjana Gluschkowa. Erfasst würden Menschen, die aus politischen Gründen verfolgt würden.
In Deutschland hatte zuletzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das russische Vorgehen gegen die renommierte Einrichtung verurteilt. Das mache »fassungslos«, sagte er. Der Kreml wies die Kritik zurück.