Nachbarland der Ukraine Ist die Republik Moldau Putins nächstes Ziel?

Kein Land hat so viele Geflüchtete pro Einwohner aufgenommen wie die Republik Moldau. Zugleich breitet sich im Land die Angst aus, Russland könne sich auch diese Ex-Sowjetrepublik einzuverleiben versuchen.
Ukrainische Geflüchtete am Grenzübergang bei Palanca im Süden Moldaus

Ukrainische Geflüchtete am Grenzübergang bei Palanca im Süden Moldaus

Foto: Ciro Fusco / EPA

Bei der Eröffnungsfeier des neuen Grenzpostens bei Palanca im Dezember 2018 schüttelte der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko die Hand des früheren Ministerpräsidenten von Moldau Pavel Filip. Im Hintergrund: eine Flagge der Europäischen Union. Ein skurriles Bild, könnte man meinen, da keines der beiden Länder zum Staatenbündnis gehört.

Etwas mehr als drei Jahre später sind Grenzübergänge wie der im südmoldauischen Palanca zu den Haupttoren in Richtung Europa für Geflüchtete aus der Ukraine geworden: »Bis jetzt sind 231.967 ukrainische Flüchtlinge nach #Moldau gekommen, 98.623 von ihnen sind geblieben«, schreibt der moldauische Außenminister und Vizepremier Nicu Popescu in einem Tweet vom 7. März. Dabei hat die osteuropäische Republik lediglich knapp 2,6 Millionen Einwohner. »Seit Beginn des Kriegs in der #Ukraine hat Moldau die höchste Anzahl von Flüchtlingen pro Kopf in der Region aufgenommen«, fügt Popescu hinzu.

Parallelen zur Ukraine

Solche Zahlen und die Bilder der Geflüchteten in den Aufnahmezentren der Hauptstadt Chișinău lassen kurz die Realität vergessen: Dass die Republik Moldau eines der ärmsten Länder Europas ist, das jetzt auch noch unter den Konsequenzen von Putins Überfall auf die Ukraine leidet – und dass dem Land, einer ehemaligen Sowjetrepublik, ein ähnliches Schicksal wie dem Nachbarland drohen könnte.

Geflüchtete aus der Ukraine in einer Sporthalle in der moldauischen Hauptstadt Chișinău

Geflüchtete aus der Ukraine in einer Sporthalle in der moldauischen Hauptstadt Chișinău

Foto: IMAGO/Ciro Fusco / IMAGO/ZUMA Wire

Manche Parallelen zwischen Moldau und der Ukraine scheinen dieser Tage fast unheimlich. Wie die selbst ernannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk in der Ostukraine hat Moldau auch eine abtrünnige Region, die unter Russlands Kontrolle steht: In Transnistrien sollen derzeit etwa 1500 russische Soldaten stationiert sein. Sie sind eine Art Relikt aus dem Zerfall der Sowjetunion und dem darauffolgenden Transnistrien-Krieg der frühen Neunzigerjahre. In der Region am östlichen Ufer des Flusses Dnjestr leben vor allem ethnische Russen und Ukrainer, deren ältere Verwandte sich noch der früheren Sowjetunion verbunden fühlen. Auf der rot-grünen Fahne der international nicht anerkannten »Republik« Transnistrien befinden sich noch Hammer und Sichel.

Transnistrien steht de facto unter Russlands Kontrolle. Deshalb verbreitet sich in letzter Zeit die Befürchtung, dass Russlands Präsident Wladimir Putin im Falle eines Sieges in der Ukraine seine territoriale Habgier auch auf die Separatistenrepublik – wenn nicht auf ganz Moldau – ausdehnen könne. Bei einer Pressekonferenz zum Krieg in der Ukraine zeigte der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko eine Karte der Region, die explizit auf einen Einmarsch in die Republik hindeute, merkten Beobachter an.

Wie wichtig das sonst eher unscheinbare Land aktuell ist, zeigen die diplomatischen Termine, die Präsidentin Maia Sandu zuletzt wahrnahm. Anfang vergangener Woche empfing sie den französischen Außenminister Jean-Yves Le Drian in Chișinău. Am vergangenen Sonntag besuchte US-Außenminister Antony Blinken die moldauische Hauptstadt: »Wir unterstützen sehr stark die Souveränität und territoriale Integrität Moldaus, ebenso wie dessen verfassungsmäßig garantierte Neutralität«, sagte er. Im Falle eines russischen Angriffs auf Moldau versprach Blinken eine Mobilisierung des Westens wie im Falle der Ukraine: »Wann immer und wo immer solche Aggression sich zeigt, werden wir dasselbe tun.«

Moldaus Präsidentin Maia Sandu empfängt US-Außenminister Antony Blinken

Moldaus Präsidentin Maia Sandu empfängt US-Außenminister Antony Blinken

Foto: IMAGO/Moldovan President Office / IMAGO/UPI Photo

Doch wie konkret ist dieses Risiko? Viorel Cibotaru war zwischen Februar und Juli 2015 Verteidigungsminister der Republik Moldau. Im Gespräch mit dem SPIEGEL sagt der Sicherheitsexperte, dass Moldau als ex-sowjetischer Staat »konzeptuell« sicherlich Teil von Putins Erweiterungsfantasien sei.

Russland will offenbar einen Korridor zwischen der Krim und Transnistrien bilden

Die Gefahr einer groß angelegten Invasion sieht Cibotaru jedoch kurzfristig nicht. Vielmehr habe Russland unmittelbar Interesse daran, einen Korridor zwischen der Krim und Transnistriens Hauptstadt Tiraspol über die ukrainische Stadt Mykolajiw zu bilden. Dies würde Odessa und letztendlich die gesamte ukrainische Schwarzmeerküste im Süden unter russische Kontrolle bringen. In Transnistrien wäre dann keine militärische Aktion mehr nötig – die Region kontrolliert Putin bereits.

Außerdem würde Russland mit einem Angriff auf die Republik Moldau »Jahrzehnte der eigenen Propaganda zerstören«, sagt Cibotaru. »Putin verkauft seit Jahren die Präsenz der russischen Truppen in Transnistrien als beste Friedensmission der Welt«, erklärt er weiter. Die Region solle als Vorbild für ein Nachkriegsszenario in der Ukraine im Falle eines russischen Sieges gelten.

Es ist dennoch ein wackliges Gleichgewicht, das die Republik Moldau aktuell zu behalten versucht. Wie die Ukraine und Georgien reichte Chișinău vergangene Woche einen Antrag zur Aufnahme in die Europäische Union ein, der in Brüssel als wenig aussichtsreich gilt.

Russische Soldaten an einem transnistrischen Grenzposten im Jahr 2013

Russische Soldaten an einem transnistrischen Grenzposten im Jahr 2013

Foto: Zsolt Czegledi/ picture alliance / dpa

Das Land wird aktuell von einer prowestlichen und proeuropäischen Regierung geführt, die allerdings die Interessen der prorussischen Minderheiten nicht ignorieren kann. Neben Transnistrien im Osten gehört auch das südliche Gebiet Gagausien zur russischen Einflusssphäre. »30 bis 40 Prozent der Menschen in Moldau befürworteten Russlands Annexion der Krim«, sagt Cibotaru.

Humanitäre und wirtschaftliche Probleme wegen des Kriegs im Nachbarland

Zum ständigen politischen Spagat der Regierung kommt nun eine schwerwiegende humanitäre Lage hinzu. »Bald werden wir keine Möglichkeit mehr haben, Flüchtlinge unter würdigen Bedingungen aufzunehmen. Wir sind solidarisch, aber wir brauchen konkrete Hilfe aus anderen Ländern«, sagte Vizepremierminister Popescu in einem Interview mit der italienischen Zeitung »Corriere della Sera«.

Zudem gibt es die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die der Krieg im Nachbarland mit sich bringt. Die meisten Importe über den Seeweg kamen über die ukrainischen Häfen von Odessa und Tschornomorsk nach Moldau. Nun musste der gesamte Seeverkehr nach Constanța in Rumänien verlegt werden.

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