Parlamentswahl in Montenegro Europas dienstältester Autokrat lässt abstimmen

Montenegro ist EU-Beitrittskandidat und zugleich ein Modellstaat für Autokratie und Korruption. Langzeitherrscher Djukanovic lässt nun ein neues Parlament wählen - er will sein Regime bestätigen lassen.
Machtmensch aus Montenegro: Staatschef Milo Djukanovic

Machtmensch aus Montenegro: Staatschef Milo Djukanovic

Foto: Risto Bozovic / AP

Montenegros Staatschef Milo Djukanovic ist der dienstälteste Autokrat Europas. Er regiert sein Land seit mehr als drei Jahrzehnten - er war Spitzenfunktionär im spätsozialistischen Jugoslawien, danach abwechselnd Premier und Staatspräsident, unterbrochen nur von kurzen Perioden, in denen er aus dem Hintergrund agierte. Einen demokratischen Machtwechsel hat die Republik Montenegro in ihrer Geschichte noch nie erlebt.

Auch an diesem Sonntag wird er wohl nicht stattfinden. Präsident Djukanovic lässt zwar ein neues Parlament wählen. Wie bei allen vorherigen Wahlen der vergangenen drei Jahrzehnte dürfte aber seine "Demokratische Partei der Sozialisten" (DPS) auch diesmal wieder stärkste Kraft werden.

Doch es ist für das kleinste Westbalkanland mit seinen gerade einmal 620.000 Einwohnern nicht irgendeine Wahl. Sie findet in einem Schlüsselmoment für Montenegro statt, hat zudem auch eine erhebliche regionale und europapolitische Bedeutung.

Ist seit mehr als drei Jahrzehnten an der Macht in Montenegro: Staatschef Djukanovic

Ist seit mehr als drei Jahrzehnten an der Macht in Montenegro: Staatschef Djukanovic

Foto: GORAN TOMASEVIC / REUTERS

Der Adria-Staat ist seit drei Jahren Nato-Mitglied und formal der am weitesten fortgeschrittene EU-Beitrittskandidat der Region, in der Praxis jedoch eines der Modelle moderner Autokratien. Djukanovic hat als einer der ersten Politiker Europas ein formaldemokratisches System errichtet, an dessen Spitze immer er selbst steht und dessen regierende Partei praktisch nicht abwählbar ist.

Diesmal allerdings könnte die Parlamentswahl zu einem Wendepunkt für Montenegro werden. Das Land erlebt seit Monaten so massive Proteste gegen Djukanovic, wie es sie seit dem Austritt aus dem Staatsverband mit Serbien und der staatlichen Unabhängigkeit 2006 nicht mehr gegeben hat. Auslöser dafür war Ende vergangenen Jahres ein neues Konfessionsgesetz, das einen Teil des Besitzes der mächtigen serbischen orthodoxen Kirche unter staatliche Kontrolle stellen soll.

Mit dem Gesetz wollte Djukanovic nicht nur an lukrative Immobilien gelangen, sondern entfachte vor allem den alten Streit zwischen montenegrinischen "Souveränisten" und proserbischen "Unionisten" neu - in Montenegro deklarieren sich nur rund 45 Prozent der Bürger als Montenegriner und immerhin 29 Prozent als Serben. Es sind zum großen Teil Letztere, die seit Monaten bei sogenannten Kreuzprozessionen immer wieder auf die Straße gehen, mobilisiert von der serbisch-orthodoxen Kirche und von proserbischen Oppositionspolitikern.

Der größte Oppositionsblock pflegt enge Beziehungen nach Moskau

Dabei geht es überwiegend um einen künstlichen Identitätsstreit, da auch viele, die sich als Serben bezeichnen, die Unabhängigkeit Montenegros nicht mehr infrage stellen. Der Disput nützt allerdings den Parteien bei der Wählermobilisierung - nicht nur Djukanovic und seiner DPS, sondern auch dem größten Oppositionsblock "Für die Zukunft Montenegros".

Ihm gehören Parteien an, die enge Beziehungen zum autokratischen serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vucic und zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegen. Eine echte rechtsstaatliche und europäische Entwicklung Montenegros ist von diesen Parteien ebenso wenig zu erwarten wie von der DPS.

Djukanovic hat bereits davor gewarnt, dass die Opposition während und nach der Wahl Unruhen provozieren könnte. Zumindest sind größere Proteste nach der Wahl nicht unwahrscheinlich, denn in den vergangenen Jahren konnte die DPS ihre Mehrheiten nur mit einem ausgeklügelten System von Wahlmanipulation erhalten. Dazu zählen:

  • Bestechung von Kandidaten,

  • Stimmenkauf,

  • Erpressung von Wählern,

  • Wählertourismus

  • und Fälschung der Wählerverzeichnisse.

All das haben Nicht-Regierungsorganisationen und investigative Journalisten im Land immer wieder akribisch dokumentiert - Konsequenzen hatte es bisher keine.

40.000 Wahlberechtigte, die es gar nicht gibt

Auch diesmal gibt es beispielsweise im Wählerverzeichnis etwa 40.000 Wahlberechtigte mehr, als offiziell erwachsene Bürger im Land leben. Da mutet es eher harmlos an, dass Djukanovic als Präsident gar nicht zur Wahl steht, aber dennoch der Hauptwahlkämpfer seiner Partei und Namensgeber der DPS-Wahlliste ist. Auch ist er DPS-Vorsitzender, obwohl er diese Funktion neben seinem Präsidialamt laut Verfassung eigentlich nicht innehaben darf.

"Das Regime ist zu einer Oligarchie geworden, die DPS zu einer privilegierten Kaste, die alle Monopole besitzt."

Miodrag Perovic, Publizist

Für ihn steht viel auf dem Spiel. Er, seine Familienangehörigen und ein Kreis von Partei- und Geschäftsfreunden haben das Land praktisch unter sich aufgeteilt. Ihnen gehören die lukrativsten Abschnitte an der Adriaküste, sie gewinnen die meisten öffentlichen Ausschreibungen und sie kassieren bei den meisten ausländischen Investitionen heimlich mit. So etwa dreht sich der jüngste Korruptionsskandal im Land um Geldwäsche in einem maltesisch-montenegrinschen Windkraftprojekt.

Es ist ein System, das der bekannte montenegrinische Mathematiker und Publizist Miodrag Perovic in der Tageszeitung Vijesti so beschreibt: "Das Regime ist zu einer Oligarchie geworden, die DPS zu einer privilegierten Kaste, die alle Monopole besitzt." 

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