Geflüchtete auf Lesbos "Die Polizei geht mit einer unglaublichen Aggressivität vor"
Ein paar Decken, ein paar Kleidungsstücke - mehr ist den Menschen auf Lesbos nicht geblieben. Mehr als 12.000 Geflüchtete sind seit den verheerenden Bränden im Camp Moria obdachlos.
Niklas Fischer, Mission Lifeline
"Den Leuten geht es verdammt schlecht. Sie sind ja völlig mittellos, völlig orientierungslos, sie fühlen sich unfassbar im Stich gelassen, denen wurde alles genommen."
In der Nacht zum Mittwoch brechen im Camp und der direkten Umgebung gleich mehrere Feuer aus. Die Brandursache ist bislang unklar. Lagerbewohner sprechen von Brandstiftung durch griechische Inselbewohner. Anderen Berichten zufolge hätten Migranten selbst Feuer gelegt. Die Flammen zerstören fast das komplette Flüchtlingslager.
Am Abend spitzt sich die Lage zu als es erneut brennt. Nun sind auch große Teile des sogenannten Dschungels betroffen. Wieder fliehen Tausende vor den Flammen.
Niklas Fischer, Mission Lifeline
"Die Situation war sehr chaotisch, sehr unübersichtlich, sehr unkoordiniert. Es gab keine angeordnete Evakuierung, sondern die Leute sind von sich aus alle gegangen, sind alle auf die Straße gegangen, wussten nicht wohin. Die meisten wollten in Richtung Mytilini, der Hauptstadt der Insel aufbrechen, hatten überhaupt keine Ahnung, was sie machen sollten, dachten, dass in der Stadt vielleicht am ehesten noch Zuflucht bekommen könnten."
Doch die Menschen gelangen nicht bis nach Mytilini. Die Polizei blockiert die Straßen. Dann eskaliert die Situation. Die Polizei feuert Tränengas auf die Geflüchteten.
Niklas Fischer, Mission Lifeline
"Das ist einfach nur verstörend. Da laufen Kinder rum, da laufen Frauen rum, aber genauso Männer, da laufen einfach nur unschuldige Menschen rum. Die nichts gemacht haben. Die Polizei geht mit einer unglaublichen Aggressivität gegen die Menschen vor, versucht sie zurück zu treiben. Die Frage ist aber wohin? Die wissen überhaupt nicht, wohin, die Leute."
Eine Rückkehr ins Camp ist nicht mehr möglich, die erneuten Brände haben alles zerstört. Hilfe vor Ort gibt es bislang fast keine.
Niklas Fischer, Mission Lifeline
"Gestern war es so, dass Hilfsorganisationen von der Polizei blockiert wurden. Die durften nicht ans Camp heranfahren, die durften den Leuten nichts bringen. Ich habe eine Hilfsorganisation gesehen, die wirklich durch Schleichwege, Wasser und Nahrung zum Camp gebracht hat. Aber die Behörden sind eine einzige Blockade. Sie helfen auf der einen Seite nicht. Noch schlimmer, sie blockieren das Ganze noch. "
Bislang ist unklar, wo die Menschen in Zukunft leben werden. Meldungen zufolge sollen die Migranten aufs Festland gebracht werden. Jetzt äußerte sich ein Sprecher der griechischen Regierung zu der Situation: Man wolle, dass die Geflüchteten auf der Insel bleiben und feste Unterkünfte gebaut würden. Die ersten 165 unbegleiteten Minderjährigen wurden noch am Mittwochabend von Lesbos in die griechische Hafenstadt Thessaloniki gebracht. Laut dem staatlichen Rundfunk sollen am Donnerstag weitere 240 Minderjährige folgen.
Niklas Fischer, Mission Lifeline
"Die geplanten Unterbringungen auf dem Festland schon sehr, sehr kritisch oder sehe ich sehr kritisch. Man weiß, aus der Vergangenheit hier, dass die Leute, ans Festland gebracht werden. Einmal , um die Zahlen zu schönen, und damit die aus der Datenbank hier raus sind. Fakt ist aber, wenn sie am Festland ankommen, dann haben die nichts mehr. Da sind sie komplett obdachlos, mittellos."
Den Menschen auf Lesbos droht nun eine weitere Katastrophe. Das Camp war wegen Corona-Fällen zuletzt unter Quarantäne gestellt worden. Am Dienstag lag die Zahl der Infizierten bei 35.
Niklas Fischer, Mission Lifeline
"Es wurden ein paar 8, 9 Leute gefunden und in Quarantäne gebracht werden. Von dem Rest gibt es noch keine Spur. Ich denke, dass die Zahlen auf jeden Fall weiterhin nach oben gehen. Unabhängig aber jetzt von der Situation. Wenn die Leute im Camp geblieben wären, wären die Zahlen auch rasant angestiegen. Die sind wahrscheinlich auch deutlich höher als wir das wissen das. Es wurden ja gar keine Tests gemacht. Erst der als die erste Person sich mit Symptomen zum Arzt begeben hat, gingen die Tests los. Das heißt, das Virus wird schon länger im Camp sein "
In Deutschland demonstrierten am Mittwoch bereits Tausende für die Aufnahme der Geflüchteten. Noch ist unklar, ob sich die EU einigen – oder ob es Lösungen einzelner Mitgliedsstaaten geben wird.