Mutmaßliche Täter sprechen über Massaker an Rohingya "Bringt alle um, die ihr seht, egal ob Kinder oder Erwachsene"

Das Militär in Myanmar hat 2017 die muslimische Minderheit der Rohingya brutal verfolgt. Nun haben offenbar erstmals zwei Soldaten gezielte Tötungen bestätigt. Es könnte ein erster Schritt in Richtung Gerechtigkeit sein.
Tod oder Flucht - für viele Rohingya war und ist das Realität seit 2017

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Foto: Maskur Has / ZUMA Wire / imago images

Zum ersten Mal melden sich in einem der grausamsten Verbrechen der jüngeren Geschichte die Täter zu Wort: In Myanmar haben zwei Soldaten per Video ausgesagt, im Jahr 2017 an der Ermordung der muslimischen Minderheit der Rohingya beteiligt gewesen zu sein.

Sie haben Medienberichten zufolge bezeugt, dass es in Myanmar vor rund drei Jahren unzählige Hinrichtungen gab, Vergewaltigungen, kurz: die versuchte Auslöschung des Volks der Rohingya. Die Aussagen der Täter fügen sich ein in das bekannte Bild:

  • Die Nichtregierungsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" geht davon aus, dass zwischen August und September 2017 mindestens 6700 Rohingya brutal getötet wurden, unter ihnen 730 Kinder

  • Die Vereinten Nationen sprechen von einem "Genozid"

  • Bis heute leben knapp eine Million vertriebene Rohingya außerhalb ihres Heimatlandes

Die Soldaten, die angeblich vergangenen Monat aus Myanmar geflohen sind, sollen laut "New York Times " nach Den Haag gebracht worden sein. Dort hat der Internationale Strafgerichtshof (ICC) einen Fall eröffnet.

Rohingya in Indonesien: Vertrieben von der Armee

Rohingya in Indonesien: Vertrieben von der Armee

Foto: ANTARA FOTO / Rahmad / REUTERS

Es wird untersucht, ob Führer des Militärs in Myanmar weitreichende Verbrechen gegen die Rohingya begangen haben. Seit vergangenem Jahr laufen bereits Untersuchungen gegen Myanmar wegen Vertreibung der Rohingya nach Bangladesch, Verfolgung und anderer Gewaltverbrechen im Bundesstaat Rakhine.

Die Regierung Myanmars sieht die Rohingya als Eindringlinge an, obwohl die meisten in Rakhine geboren sind. Als die Militärs 2017 die Dörfer überfielen, rannten viele Rohingya um ihr Leben. Innerhalb weniger Wochen wurden drei Viertel von einer Million staatenloser Menschen aus dem Bundesstaat Rakhine vertrieben.

Dass sich nun erstmals vermeintliche Täter zu Wort melden, könnte ein entscheidender Schritt in Richtung Gerechtigkeit sein. Die beiden Männer hätten in dem Video gestanden, in Myanmars nördlichem Staat Rakhine Dutzende Dorfbewohner getötet zu haben.

Ein Vorgesetzter habe zuvor einen Befehl erteilt: "Erschießt alle, die ihr hört, und alle, die ihr seht", so sagt es der Soldat Pvt. Myo Win Tun, 33, laut "New York Times" im Video.

Danach habe er sich daran beteiligt, 30 Menschen zu töten und sie in einem Massengrab zu verscharren. "Wir schossen den muslimischen Männern in die Stirn und warfen ihre Körper in das Loch." Er habe auch eine Frau vergewaltigt. Sein Vorgesetzter habe den Befehl erteilt, die Rohingya "auszulöschen". 

Pvt. Zaw Naing Tun, 30, der zweite Soldat und ehemalige buddhistische Mönch, bezeugte einen ähnlichen Befehl seines Vorgesetzten: "Bringt alle um, die ihr seht, egal ob Kinder oder Erwachsene", soll der gesagt haben. Zaw Naing Tun gibt an, er habe nach diesem Befehl 20 Dörfer mitausgelöscht.

Die Männer des Militärs, so die "New York Times", sollen die Geständnisse mit unbewegter Miene abgelegt haben. Nur ab und zu hätten ihre Augenlider geblinzelt. Ihre Aussagen bestätigen die Annahme von Anwälten und Menschenrechtlern, dass die Angriffe auf die Rohingya Teil einer geplanten und gezielt ausgeführten Operation waren.

Rohingya beim Gebet: Die Regierung in Myanmar verfolgt die muslimische Minderheit

Rohingya beim Gebet: Die Regierung in Myanmar verfolgt die muslimische Minderheit

Foto: Maskur Has / imago images

Unabhängig nachprüfen lässt sich das Gesagte nicht. Unklar ist, ob die Männer die Taten wirklich begangen haben. Wahrscheinlich ist es jedoch: Die Berichte der beiden Soldaten decken sich nahezu exakt mit Erinnerungen und Beschreibungen zahlreicher Zeugen und Beobachter vor Ort.

Die Menschenrechtsorganisation Fortify Rights hat die "genozidalen" Angriffe der Armee auf Rohingya in Myanmar eingehend untersucht. "Die Aussagen der zwei Soldaten aus Myanmar auf Video decken sich mit Dokumentationen von Fortify Rights", sagte John Quinley, Menschenrechtsexperte bei der Organisation, dem SPIEGEL. "Dies ist ein großer Schritt für die Rohingya bei ihrem Drängen auf Gerechtigkeit."

Fluchtumstände der beiden Zeugen noch unklar

Beide Männer sollen von der sogenannten Arakan-Rebellenarmee aufgegriffen worden sein, die Myanmars Regierung  im Staat Rakhine bekämpft. Unter welchen Umständen die beiden Soldaten in die Hände der Arakan-Rebellenarmee gelangt sind, ist offen. Unklar ist ebenfalls, warum sie ausgesagt haben und wie sie dann weiter in die Niederlande gelangt sind.

Auch, was vor Gericht mit ihnen geschehen wird, bleibt abzuwarten. Die "New York Times" berichtet, dass die Männer bereits befragt worden seien. Sie könnten dem Gericht nun weiter als Zeugen dienen. Eine Verurteilung ist ebenso möglich.

War mal die Hoffnung des Westens auf Wandel: Myanmars Regierungschefin Aung San Suu Kyi

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Foto: THET AUNG / AFP

Die Regierung Myanmars hat sich bisher nicht geäußert. Sie weist nach wie vor zurück, dass es eine orchestrierte Kampagne gegen die Rohingya gegeben habe. Die Regierung der ehemaligen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die sich gerade auf ihre Wiederwahl im November 2020 vorbereitet, behauptet, dass die Operationen des Militärs im Jahr 2017 nur auf militante Rohingya abgezielt hätten. Die Genozid-Vorwürfe weist sie zurück. Auch von der Existenz von Massengräbern will Aung San Suu Kyi nichts wissen.

Flucht aus der Heimat: Vertriebene Rohingya in Indonesien

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Foto: Maskur Has / imago images/ZUMA Wire

Die Aussage der Soldaten wird einen weiteren Fall in Den Haag unterstützen. Denn der ebenfalls in den Niederlanden ansässige Internationale Gerichtshof, das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, ermittelt wegen Genozids gegen Myanmar.

Das mehrheitlich muslimische Gambia beschuldigt Myanmar des Völkermords an der muslimischen Minderheit der Rohingya. Das Land soll die "Genozidkonvention" der Vereinten Nationen von 1948 verletzt haben, indem es versucht habe, "die Rohingya teilweise oder ganz als Gruppe zu zerstören". In der vergangenen Woche haben sich Kanada und die Niederlande dem Vorstoß Gambias angeschlossen.

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