Zwei Jahre nach dem Umsturz in Myanmar »Wir hoffen sehr, dass solche Gerichtsprozesse künftige Verbrechen verhindern können«

2021 putschte sich das Militär in Myanmar brutal an die Macht. Seither verhaftet, foltert und tötet es Menschen im Land. Überlebende haben nun Strafanzeige gegen die Junta gestellt – in Deutschland.
Ein Interview von Maria Stöhr, Bangkok
Proteste gegen den Militärputsch im März 2022 in Myanmars größter Stadt Yangon

Proteste gegen den Militärputsch im März 2022 in Myanmars größter Stadt Yangon

Foto: Myat Thu Kyaw / NurPhoto via Getty Images
Globale Gesellschaft

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SPIEGEL: Herr Smith, vor zwei Jahren, am 1. Februar 2021, putschte sich das Militär in Myanmar an die Macht. Proteste wurden brutal niedergeschlagen, die De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi wurde verhaftet. Wie geht es den Menschen im Land seitdem?

Smith: Die Menschen in Myanmar sind verzweifelt, es steht schlecht um Menschenrechte und Demokratie. Wir sprechen regelmäßig mit Leuten, die im Land sind, ich habe selbst mehrere Jahre dort gelebt. Wir versuchen, gemeinsam zu dokumentieren, was vor sich geht. Das Militär verhaftet, foltert, tötet Bürgerinnen und Bürger, und begeht andere schreckliche Verbrechen. Es gibt viele Angriffe aus der Luft auf Bundesstaaten, in denen ethnische Minderheiten leben. Horrortaten. Sie geschehen wieder und wieder und wieder, ohne strafrechtliche Konsequenzen für die Junta.

Zur Person
Foto: Sakchai Lalit / AP

Matthew Smith ist Mitgründer der Menschenrechtsorganisation Fortify Rights . Er arbeitet seit Jahren investigativ zu Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Korruption. Er lebt in Thailand.

SPIEGEL: Ihre Organisation hat nun gemeinsam mit Putsch-Überlebenden und Vertretern ethnischer Minderheiten in Deutschland Strafanzeige gegen Mitglieder der Militärregierung gestellt. Warum in Deutschland?

Smith: Wir haben uns 16 Gerichtsbarkeiten auf allen Kontinenten angesehen, in Südamerika, Afrika, Europa. Länder, in denen es die Möglichkeit einer sogenannten »universellen Gerichtsbarkeit« gibt. Das heißt: Wo man Gräueltaten vor Gericht bringen kann, die in einem anderen Land begangen wurden. So können die Täter angeklagt werden. In Deutschland gibt es hinsichtlich dessen besonders starke Möglichkeiten: Ein Staatsanwalt kann ein Ermittlungsverfahren einleiten, unabhängig davon, ob es Täter, Zeugen und Überlebende auf deutschem Boden gibt. Deutsche Ermittler können ihre Ergebnisse etwa auch mit den Gerichten anderer Länder teilen. Das kann zur Folge haben, dass Verbrecher in weiteren Ländern strafrechtlich verfolgt werden. Für eine Anklage in Deutschland sprach auch: Zwei der Kläger leben inzwischen in Deutschland. Einer ist ethnischer Rohingya, der andere ethnischer Burmese, beide überlebten sehr gefährliche Situationen in ihrem Heimatland Myanmar.

SPIEGEL: Was werfen Sie dem Militär vor?

Smith: Die Hälfte der Kläger überlebte den Genozid an den Rohingya im Jahr 2017, die andere Hälfte der Klagenden Grausamkeiten nach dem  Putsch vor zwei Jahren. Aus beidem speist sich unsere Anklage: Wir machen eine namentlich genannte Gruppe von Personen für gezielte Angriffe auf die Rohingya-Zivilbevölkerung verantwortlich, die unserer Meinung nach Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen darstellen. Außerdem geht es um den Staatsstreich: Seitdem wurden und werden täglich Gräueltaten verübt. Die Protestbewegung, die sich nach dem Putsch formierte, wurde brutal niedergeschlagen. Unser Team war vor Ort, hat über Monate Straftaten dokumentiert und Zeugenaussagen gesammelt. Die Anklageschrift ist sehr lang geworden, mehr als 250 Seiten, plus tausend Seiten Anhänge.

SPIEGEL: Kümmert es Militärs in Myanmar, wenn in Deutschland ein Urteil gegen sie fällt?

Smith: Es gibt Signale, dass die Junta durchaus mit Sorge auf die Schlinge internationaler Rechtsprechungen blickt, die sich immer enger zieht. Dass sie diese als Warnung auffasst. Was aber sicherlich auch richtig ist: Oft macht das Militär den Anschein, als schere es sich überhaupt nicht um den Druck, der von außen gemacht wird. Die Junta brennt Dörfer nieder, tötet und so weiter. Aber wir hoffen sehr, dass solche Gerichtsprozesse künftige Verbrechen verhindern können. Und was man nicht unterschätzen sollte: Seit dem Zweiten Weltkrieg ist es in anderen Fällen mehrmals dazu gekommen, dass Verbrecher ausgeliefert und zur Rechenschaft gezogen wurden, bei denen man es nie für möglich gehalten hätte. Der politische Wind dreht sich manchmal schnell.

März 2021 in Yangon

März 2021 in Yangon

Foto: Getty Images

SPIEGEL: Wird den Gräueltaten der Junta international genügend Aufmerksamkeit geschenkt?

Smith: Nein. Es bräuchte effektivere Waffenembargos, gezieltere Sanktionen gegen führende Militärs und Unternehmen im Besitz des Militärs. Die Junta sollte keine Einnahmen aus Öl, Edelsteinen oder Holz mehr generieren können. Da wurde viel verschlafen. Regierungen blickten insgesamt zu hoffnungsfroh auf die Öffnung, den Demokratisierungsprozess Myanmars in den Jahren vor dem Putsch. Schon damals wurde bei den Verbrechen an den Rohingya und bei Menschenrechtsverletzungen weggesehen. Westliche Regierungen waren und sind nicht untätig. Dennoch sind spätestens seit dem Krieg in der Ukraine viele Menschen in Myanmar verwirrt: Sie sehen, mit welch politischem Willen die Ukraine unterstützt wird, so etwas erleben sie nicht. Ein großes Problem ist auch die fragwürdige Haltung vieler asiatischer Staaten gegenüber dem Militär in Myanmar – westliche Regierungen könnten viel mehr Druck auf diese Länder ausüben, hier eine eindeutige Haltung gegen die Junta zu beziehen.

SPIEGEL: Wie blicken die Menschen in Myanmar auf das dritte Jahr nach dem Putsch? In ein paar Monaten soll es Wahlen geben.

Smith: Das sind Scheinwahlen, die mit großer Gewalt einhergehen werden. Da sind sich alle sicher. Das Militär will den Konflikt aussitzen, mit dieser Wahl zudecken. Aber die Menschen in Myanmar werden sich das nicht gefallen lassen. Der bewaffnete Widerstand ist weiter stark. Die Menschen kennen die Militärherrschaft. Sie lehnen sie ab. Wir gehen davon aus, dass sie sich wehren werden. Dass es zu Zusammenstößen kommen wird. Und leider wird das wieder mit Blutvergießen einhergehen. Das bereitet mir große Sorgen.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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