Nach Gipfeltreffen in Genf »Leisere Diplomatie, die Härte zeigt«
Zwischen diesen beiden Herren herrschte bislang so etwas wie ein neu aufgelegter Kalter Krieg. Mit dem Gipfeltreffen in Genf sollten die Beziehungen zwischen US-Präsident Biden und Russlands Präsident Putin wieder »normalisiert« werden.
Marc Pitzke, DER SPIEGEL
»Das Klima war verhältnismäßig angenehm. Man war so ein bisschen linkisch und befangen am Anfang. Die saßen ein bisschen steif nebeneinander. Es gab ein bisschen Gerempel zwischen russischen Sicherheitskräften und den Korrespondenten aus dem Weißen Haus. Aber von der Optik her war es richtig idyllisch. Aber Idylle will ja nichts heißen. Diplomatie ist das Wichtigste. Sie sind einen kleinen Schritt weitergekommen. Aber so richtig der Durchbruch war das nicht. Der Knaller war das nicht. Aber vielleicht erwarten wir auch immer aus letzter Zeit, dass es solche Sachen geben muss. Vielleicht ist das auch gar nicht wichtig. Vielleicht muss man auch wieder zurückfinden zu einer etwas leiseren Diplomatie, die trotzdem Härte zeigt. Und das hat Biden hier ganz klar gezeigt. Aber Putin hat ihm auch ganz klar Kontra gebeten.«
Joe Biden betonte eine rein pragmatische Zweck-Beziehung zu Putin.
Joe Biden, US-Präsident
»Ich glaube nicht, dass er einen Kalten Krieg mit den USA will. Aber wie ich zu ihm sagte, wir sind ja etwa zehn Jahre auseinander im Alter: Das ist kein ›Kumbaya-Moment‹, wie wir in den Sechzigern zu sagen pflegten: Lasst uns alle liebhaben. Aber es ist weder im Interesse Russlands noch der USA, in einer Situation zu sein, in der wir in einem neuen Kalten Krieg sind. Ich glaube wirklich, dass er das auch denkt. Er versteht das.«
Auf die Frage, ob es nun eine neue Phase der Beziehungen gibt, bemühte Wladimir Putin wiederum literarische Vergleiche.
Wladimir Putin, Russlands Präsident
»Leo Tolstoi hat mal gesagt, dass es im Leben kein Glück gibt, es gibt nur ein Hauch von Glück. Genau so ist es in dieser Situation. Es gibt einen Hoffnungsschimmer für gegenseitiges Vertrauen.«
Zur Erinnerung: Joe Biden hatte Wladimir Putin im März indirekt einen »Killer« genannt, ihn als »seelenlos« beschrieben. Wladimir Putin konterte daraufhin: um einen als solchen zu erkennen, müsse man wohl selbst einer sein.
Die atmosphärische Ausgangslage des Treffens als angespannt zu bezeichnen, dürfte also zumindest keine Übertreibung sein.
Drängende Fragen gab es viele. Angefangen von der mutmaßlichen Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahl über Cyberkriminalität bis hin zu dem Konfliktherd Ukraine. Und schließlich sollte auch die Menschenrechtsfrage angesprochen werden, Stichwort: die Vergiftung und Inhaftierung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny. Nicht zu vergessen, die mutmaßliche Teilhabe der russischen Geheimdienste an der Ryanair-Entführung des belarussischen Machthabers Lukaschenko.
Marc Pitzke, DER SPIEGEL
»Was ist dabei herausgekommen? Konkrete Ergebnisse eigentlich nicht. Nur drei kleine Sachen. Einerseits werden die Botschafter wieder zurückgeschickt nach Moskau und Washington. Die waren ja seit einiger Zeit nicht mehr am Platze, weil es da diplomatische Verstimmungen gegeben hat. Die Gründe sind ja hinlänglich bekannt. Das ist ein konkreter Punkt, der wohl einzige konkrete Punkt dieses Gipfels, dass sie die Botschafter zurückschicken. Die Botschafter waren auch beide hier. Da wusste man schon vorher, dass das eingetütet war, als man sie in den Delegationen sah. Die anderen Punkte sind, dass man sich verständigen möchte, Wege zu finden, miteinander zu reden über einerseits Cyber-Kriminalität, Hackerangriffe. Das ist natürlich ein großes Thema zwischen den USA und Russland, und andererseits über die Atomwaffen-Kontrolle: Was kommt nach dem Start-Abkommen, das ja demnächst ausläuft? Wie geht es weiter? Und da wollen Sie Arbeitsgruppen finden und Wege einleiten, da zusammenzuarbeiten. Das ist ja immerhin schon mal etwas, wenn das tatsächlich auch etwas gibt. Was die Cyber-Kriminalität angeht: da war man sich aber dann trotzdem nicht so einig. Also da gab es schon so ein bisschen Knatsch. Der wurde aber kleingespielt. Es wurde betont, wir hatten keine großen Erwartungen, also haben wir auch nicht nichts versägt, sondern diese kleinen Erwartungen haben wir erfüllt.«
Joe Biden, US-Präsident
»Es war wichtig sich persönlich zu treffen. Damit es keinerlei falsche Darstellung darüber gibt, was ich mitteilen wollte. Ich tat das, was ich mir vorgenommen hatte.«
Das Motto für die Europa-Tour der Bidens durfte Ehefrau Jill auf dem Rücken tragen. »Liebe« ist vielleicht etwas übertrieben– aber immerhin ging es demonstrativ um Einigkeit, Gemeinsinn und Vertrauen. In diesem Sinne hatte Biden die amerikanische Außenpolitik in der Nach-Trump Ära in seiner ersten außenpolitischen Rede zusammengefasst:
3. Juni 2021
Joe Biden, US-Präsident
»Amerika ist wieder da. Amerika ist wieder da. Die Diplomatie ist wieder da.«
Marc Pitzke, DER SPIEGEL
»Vorher in Großbritannien beim G7-Gipfel und dann bei der Nato in Brüssel und bei der EU in Brüssel hat Biden sich natürlich schon viel Schulterklopfen abgeholt, viel Lob. Die waren alle super froh, dass da jetzt nicht Donald Trump wieder auf der Matte stand, der ihnen ja die letzten Gipfel ziemlich verhagelt hat. Und das wurde auch immer wieder kräftig ausgedrückt. Und Biden hat immer gesagt, Amerika ist wieder da. Das ist natürlich auch alles ein bisschen zwiespältig. Die Europäer haben auch so ihre Vorbehalte, was Amerika angeht, auch trotz Biden. Solche Sachen hängen natürlich so ein bisschen im Raum. Darüber wurde aber erst mal nicht geredet, weil es wie ein Familienfest ist, wo solche Sachen einfach unter den Tisch gekehrt werden, um den pater familias, den Joe Biden des Westens, quasi mit dem Rückhalt hier in diesen Gipfel zu schicken nach Genf.«
Wofür die Tour des US-Präsidenten auf jeden Fall diente: Sie lieferte der Öffentlichkeit zahlreiche Bilder, die so gar nichts mehr mit den polternden Auftritten seines Vorgängers gemein hatten. Und das zählt ja in der Diplomatie bekanntlich durchaus eine ganze Menge.