Autorin über das Sexleben von Afrikanerinnen Die Frau, die in afrikanische Schlafzimmer blickt

Klischees gibt es viele über das Sexleben in Afrika, nicht selten geprägt von rassistischen Stereotypen. Die Ghanaerin Nana Sekyiamah hat nun ein Buch verfasst, das einen ungetrübten Blick in die Schlafzimmer des Kontinents liefert.
Ein Interview von Heiner Hoffmann, Nairobi
Autorin Nana Sekyiamah: Sexualität ist in vielen afrikanischen Ländern ein Tabu-Thema

Autorin Nana Sekyiamah: Sexualität ist in vielen afrikanischen Ländern ein Tabu-Thema

Foto: Nana Kofi Acquah
Globale Gesellschaft

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Wohl kaum jemand kennt sich so gut aus in Afrikas Betten wie Nana Sekyiamah. Seit Jahren betreibt sie mit einer Kollegin zusammen den Blog »Abenteuer aus den Schlafzimmern afrikanischer Frauen «, darin veröffentlicht sie Kurzgeschichten über Sex – aus afrikanischer Perspektive.

Nun hat die Autorin ihr erstes Buch herausgebracht, der Titel wenig zweideutig: »Das Sexleben afrikanischer Frauen« (Dialogue Books, verfügbar nur auf Englisch). Sekyiamah hat dafür über eine Zeitspanne von mehr als sechs Jahren mit Frauen aus und in Afrika intime Interviews geführt, von der überzeugten Sexarbeiterin in Nairobi bis zur Muslimin in polygamer Ehe. Nicht-heteronormative Beziehungen finden darin ebenso statt wie traditionell konservative Lebensentwürfe.

Im Interview erzählt Sekyiamah von den Überraschungen, die sie während der Interviews erlebt hat, und von der Rolle der Kirche in Afrikas Schlafzimmern.

Zur Person
Foto: Nyani Quarmyne

Die Ghanaerin Nana Darkoa Sekyiamah schreibt Essays und Kurzgeschichten. Sie ist Mitbegründerin der preisgekrönten Website »Abenteuer aus den Schlafzimmern afrikanischer Frauen«. Im Juli 2021 wurde ihr Buch »Das Sexleben afrikanischer Frauen« veröffentlicht, für das Sekyiamah über einen Zeitraum von sechs Jahren mehr als 30 Frauen interviewt hat.

SPIEGEL: Sie haben mit mehr als 30 Frauen über ihr Sexleben gesprochen. Was hat sie in diesen Gesprächen am meisten überrascht?

Nana Sekyiamah: Am überraschendsten für mich war, wie viele Frauen eine Art sexuelles Trauma erlebt haben und Missbrauchserfahrungen machen mussten, auch als Kinder. Das hatte ich nicht erwartet, auch wenn das jetzt vielleicht naiv klingt. Besonders inspirierend hingegen fand ich die Geschichte von Fatou, einer älteren bisexuellen Frau im Senegal, einem konservativ muslimisch geprägten Land. Sie hat es immer geschafft, sich Freiheiten in ihrem Leben und ihren Beziehungen zu bewahren. Sie hat hartnäckig darauf bestanden, polyamourös zu leben und hat sich nie dem Druck gebeugt.

SPIEGEL: Sie schreiben in Ihrem Buch auch, dass Sex immer noch ein öffentliches Tabu in weiten Teilen Afrikas ist. Gleichzeitig reden viele Menschen, auf der Straße oder unter Freunden, offen über Sexualität. Wie erklären Sie sich das?

Sekyiamah: Es ist ein Widerspruch. In Ghana zum Beispiel gibt es Musik mit sehr expliziten sexuellen Inhalten, selbst in der traditionellen Musik. Die Tabuisierung von Sexualität ist eher ein Phänomen der Mittelschicht und der Städte. Auf dem Land sieht es ganz anders aus. Viele der Tabus, die es heutzutage gibt, entstammen der Kolonialzeit und viktorianischen Moralvorstellungen. Das hat sich inzwischen durch die zunehmende Religiosität noch verstärkt. Neulich kam ich zurück von meiner morgendlichen Joggingrunde und an der Straßenecke predigte ein junger Mann gegen Masturbation. Das sind die Dinge, die Sex zu einem Tabuthema werden lassen.

Besonders evangelikale Kirchen haben einen Einfluss auf die Debatte über Sexualität in Afrika

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Foto: Donwilson Odihambo / ZUMA Wire / IMAGO

SPIEGEL: Im Buch beschreiben Sie, dass es einige Gemeinsamkeiten zwischen den sexuellen Erfahrungen der interviewten Frauen gibt. Welche sind das?

Sekyiamah: Ja, davon gab es einige. Ein roter Faden war zum Beispiel, dass viele Frauen und Mädchen nie über Sexualität aufgeklärt wurden. Ihnen wird höchstens gesagt: Macht das nicht! Wenn die Eltern denken, dass Mädchen zu viel über Sex wissen, dann werden sie stigmatisiert, als böse Mädchen dargestellt. Aber niemand erzählt ihnen etwas über Sex, geschweige denn über die Bandbreite der Sexualität. Also müssen sie es selbst herausfinden. Eine weitere Gemeinsamkeit war, dass viele Frauen durch eine Art sexuellen Heilungsprozess gehen, wegen ihrer Erfahrungen als Kinder oder auch als Erwachsene. Es war sehr ermutigend, zu hören, dass viele von ihnen längst dabei sind, ihre Sexualität zurückzugewinnen, wieder Kontrolle über ihren Körper zu erlangen und diesen zu spüren. Und einige der Frauen haben einen Ort gefunden, an dem sie sich nicht verstellen müssen und ihre Liebe ausleben können.

Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Südafrika beim Impfen: Das Land hat eine der progressivsten Verfassungen der Welt, doch in der Praxis ist Diskriminierung weitverbreitet

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Foto: Brenton Geach / Gallo Images / Getty Images

SPIEGEL: Sie beschreiben, dass es wenig sexuelle Aufklärung gibt. Gleichzeitig erhalten in einigen afrikanischen Ländern angehende Ehefrauen eine Art Sexualkundeunterricht. Wie ist das zu erklären?

Sekyiamah: Das zeigt, wie sich die traditionelle Art der sexuellen Aufklärung verändert hat. In Ghana gibt es in bestimmten Communitys noch immer diese Praxis, dass mit Mädchen über das Frau-Sein und Sex gesprochen wird. Aber das ist in der Regel ziemlich patriarchalisch, denn es geht immer um die Lust des Mannes, nicht die beider Geschlechtspartner. Aber immerhin ist es irgendeine Art der sexuellen Aufklärung. Leute wie ich, die in der Stadt aufgewachsen sind, hatten diese traditionelle Sexualkunde nicht. Und leider hat sich dafür auch noch kein moderner Ersatz gefunden.

SPIEGEL: Sie erzählen in Ihrem Buch die Geschichten von vielen nicht heteronormativen Frauen. Hier in Afrika hört man oft das Argument: Das ist doch unafrikanisch. Nervt Sie das?

Sekyiamah: (lacht laut) sehr! Ich würde sagen, dieses Argument ist homophob – und Homophobie ist eine traditionell unafrikanische Einstellung. Es gibt so viele queere Frauen, die den Kontinent nie verlassen haben, die sind hier geboren und wissen schon seit ihrer Jugend, dass sie queer sind. Wie kann das also nicht afrikanisch sein? Das ist lächerlich. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Leute, die Homosexualität für unafrikanisch halten, eng mit weißen Evangelikalen aus Amerika verbunden sind.

Südafrika gehört zu den wenigen Ländern, in denen Lesben und Schwule ihre Sexualität – zumindest auf dem Papier – offen ausleben dürfen

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Foto: Per-Anders Pettersson / Getty Images

SPIEGEL: War Homosexualität in Afrika stärker akzeptiert, bevor die Missionare und Imame mit ihren Moralvorstellungen kamen?

Sekyiamah: Nach meinem Verständnis war Sexualität fluider. Es war nicht unbedingt so, dass Lesben und Schwule mehr Rechte gehabt hätten. Aber es gibt in afrikanischen Sprachen bestimmte Wörter, zum Beispiel für feminin wirkende Männer. Das belegt die Existenz abweichender Vorstellungen. Ich denke, dass queere Menschen früher weniger stigmatisiert wurden. Und niemand hat Gesetze erlassen, um sie von ihrer Sexualität abzuhalten.

SPIEGEL: In Südafrika wurde kürzlich über die Einführung der Polyandrie debattiert, also über die Möglichkeit, dass eine Frau mehrere Männer heiraten darf. Wird die Haltung gegenüber Sexualität in einigen Ländern progressiver?

Sekyiamah: Nein, das glaube ich nicht. Selbst in Südafrika, wo laut Gesetz gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt sind, werden Schwule und Lesben weiterhin unterdrückt, machen schlimme Erfahrungen. Es ist wichtig, nicht nur progressive Gesetze zu erlassen. Die Mentalität der Leute muss sich ändern.

SPIEGEL: Welche Vorurteile über das Sexleben afrikanischer Frauen begegnen Ihnen im Globalen Norden?

Sekyiamah: (lacht erneut laut) Einige dieser Vorurteile waren sogar ein Grund dafür, dieses Buch zu schreiben. Denn was ich hier vor Ort sehe, weicht sehr stark von dem Bild ab, das in den Medien gern gezeichnet wird. Da werden Frauen zum Beispiel als Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung dargestellt, deren Sexualleben im Eimer ist. Natürlich ist diese Praxis furchtbar. Aber ich habe zum Beispiel eine Frau interviewt, die verstümmelt wurde und trotzdem noch große Freude am Sex hat. Und ich glaube, es ist sehr wichtig, das deutlich zu machen, denn solche Geschichten bestärken andere Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. In westlichen Medien werden afrikanische Frauen außerdem häufig als Trägerinnen von Krankheiten wie HIV und Aids gezeigt. Ja, man kann mit Aids leben und trotzdem eine Familie haben, Partner finden. Ich wollte also ein differenzierteres Bild liefern. Und diese Geschichten waren gar nicht schwer zu finden.

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Sekyiamah, Nana Darkoa

The Sex Lives of African Women

Verlag: Dialogue Books
Seitenzahl: 304
Für 22,95 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

08.06.2023 11.29 Uhr

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SPIEGEL: Außerhalb Afrikas werden Konzepte wie Polygamie häufig belächelt und als patriarchalisch betrachtet. Wie sehen Sie das?

Sekyiamah: Ich finde, Monogamie ist auch patriarchalisch. Alles basiert auf patriarchalischen Strukturen. Deswegen glaube ich nicht, dass Polygamie patriarchaler ist als die monogame Ehe – auch wenn ich nachvollziehen kann, warum Menschen zu diesem Schluss kommen könnten. Aber Polygamie kann Frauen sogar einen Freiraum verschaffen, sie müssen nicht permanent für den Mann da sein. Sie haben eine Gemeinschaft und ein eigenes Leben. Ich bin selbst das Resultat einer polygamen Ehe, und ich konnte bislang nicht erkennen, dass monogame Beziehungen zwangsläufig besser wären.

Der südafrikanische TV-Star Musa Mseleku lebt in einer polygamen Beziehung

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Foto: Rogan Ward / picture alliance / dpa

SPIEGEL: Sie haben schon erwähnt, dass viele der im Buch auftretenden Frauen sexuelle Traumata erlebt haben. Warum sind solche Missbrauchserfahrungen nach wie vor weitverbreitet?

Sekyiamah: Ich denke, auch das liegt an der mangelnden sexuellen Aufklärung. Wir erklären unseren Kindern nicht, dass sie ein Recht auf einen unversehrten Körper haben, dass andere sie nicht einfach berühren dürfen. Wir ermutigen sie nicht, für ihre Rechte einzutreten. Das kann es Tätern einfacher machen, Kinder fortlaufend zu missbrauchen. Den Opfern fehlt das Bewusstsein, dass sie sich wehren dürfen und sollten. Stattdessen empfinden sie vor allem Scham, fühlen sich als Komplizen. Und glauben, dieses Geheimnis für sich behalten zu müssen.

Aber es ist ermutigend und motivierend, dass viele Frauen bereits eine Art Heilungsprozess durchlaufen. Es zeigt, dass afrikanische Frauen nicht machtlos sind, dass wir die Hoheit über unser Leben haben – auch wenn wir schreckliche Situationen erfahren haben.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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