Mathieu von Rohr

Die Lage am Morgen USA verlassen die WHO - und China gewinnt

Mathieu von Rohr
Von Mathieu von Rohr, Ressortleiter Ausland

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute beschäftigen wir uns mit Donald Trumps Absicht, die Weltgesundheitsorganisation zu verlassen, und mit Angela Merkels erster Auslandsreise seit Corona. Außerdem schauen wir nach Brasilien, wo Präsident Bolsonaro erkrankt ist - und wir fragen uns, was mit der Deutschen Bank los ist.

Können die Deutschen in Europa liefern?

Es ist die erste Auslandsreise von Angela Merkel seit Beginn der Corona-Pandemie: Sie fliegt heute nach Brüssel, um vor dem Europäischen Parlament die Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft vorzustellen. Es geht für Europa gerade tatsächlich um sehr viel: Merkel muss helfen, die dringende Frage zu klären, wie umfangreich der Wiederaufbaufonds für Europas Wirtschaft nach Corona ausfällt.

In Brüssel stellt Merkel sich einer Diskussion im Plenum des Parlaments, trifft Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel. Die Reise ist aber auch ein Symbol dafür, dass sich in der Politik gerade alles wieder ganz auf Merkel konzentriert: In Berlin, wo sie laut Meinungsumfragen so beliebt ist wie lange nicht und in der CDU, wo ihre möglichen Nachfolger zunehmend verblassen - aber auch in Europa, wo die Kanzlerin durch die deutsche Ratspräsidentschaft noch stärker im Zentrum steht als sonst. Denn von der Frage, ob die Deutschen liefern können, hängt in Europa gerade alles ab.

In der CDU geht es derzeit um Merkels Erbe: Bis 2023 möchte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer eine 50-Prozent-Frauenquote durchsetzen, zudem will sie die Lesben-und-Schwulen-Union besserstellen. In der Partei wird darüber gestritten. Es geht um die große Grundsatzfrage: Soll die CDU eine konservative Partei sein oder eine Zentrumspartei?

Trump, der Zerstörer

Diese katastrophale Wendung kann niemanden verwundern, der Donald Trump kennt: Die USA wollen die Weltgesundheitsorganisation WHO verlassen, sie haben die Uno offiziell davon in Kenntnis gesetzt - in Kraft tritt der Austritt erst am 6. Juli 2021, also in einem Jahr. Davor ist bekanntlich noch eine Wahl: Am 3. November entscheiden die US-Amerikaner über ihren Präsidenten. Endgültig ist das alles folglich noch nicht. Die Ankündigung ist aber typisch für Donald Trump, der ohnehin am liebsten aus allen internationalen Verträgen und Organisationen austreten würde. Die WHO ist ein willkommener Sündenbock für ihn - nachdem die US-Regierung in der Bekämpfung der Pandemie so massiv versagt hat.

Zwar hat die WHO Fehler begangen , aber sie ist dennoch die einzige gemeinsame Institution der Menschheit, die gegen Pandemien vorgehen kann. Der Austritt der USA würde die Institution WHO massiv schwächen – aber auch die Fähigkeiten Amerikas, tödliche Krankheiten zu bekämpfen. Und einmal mehr: Amerikas Stellung in der Welt. Das Vakuum, das Washington hinterlässt, füllt Peking nur zu gern. Der WHO-Austritt zeigt deshalb einmal mehr, warum es so entscheidend ist, wer die Wahl im November gewinnt. Joe Biden hat umgehend angekündigt, dass die USA der WHO wieder beitreten werden, wenn er die Wahl gewinnt – und zwar gleich am ersten Tag.

Trump vs. Trump

Das gab es noch nie: Ein enges Familienmitglied eines amtierenden US-Präsidenten hat ein vernichtendes Buch über ihn geschrieben. Die Psychologin Mary Trump, die Nichte von Donald Trump, veröffentlicht nach einem Streit vor Gericht nächste Woche ihr Werk mit dem Titel "Too Much and Never Enough: How My Family Created the World’s Most Dangerous Man”.

Der Präsident habe Tricksen zum Lebensmotto erkoren, er sei ein Playboy gewesen, der vom Geld seines Vaters gelebt habe - und sich fälschlicherweise als erfolgreicher Unternehmer dargestellt habe. Vieles davon ist im Grundsatz nicht neu, aber es hat doch eine andere Qualität, wenn es von einem Familienmitglied vorgebracht wird. Mary Trump schreibt: "Donald hat meinen Vater zerstört. Ich kann nicht zulassen, dass er mein Land zerstört."

Bolsonaro holt sich das "Grippchen"

Es ist nur natürlich, dass sich Brasiliens Staatspräsident Jair Bolsonaro selbst mit dem Coronavirus infiziert hat: Wie Donald Trump hat er das Virus monatelang verharmlost und aus der Krankheit einen Kulturkampf gemacht. Er nannte sie "gripinha", ein Grippchen, und badete gern im Meer seiner Anhänger - das Ergebnis seiner Verharmlosung ist, dass Brasilien eine der höchsten Infizierten- und Totenzahlen der Welt hat. Und nun hat der Staatspräsident selbst sich die Krankheit geholt.

Wenn er sie gut übersteht, was ihm zu wünschen ist, wird ihm das politisch aber eher noch nützen – weil dann ja bewiesen wäre, dass das Virus nicht zu fürchten ist. Als Ablenkung kommt es ihm gerade auch gelegen. Meine Kollegen Marian Blasberg und Jens Glüsing in Rio analysieren, was die Krankheit des Präsidenten über ihn und das Land aussagt:

J.K. Rowling und Daniel Kehlmann beklagen "Cancel Culture"

Der Streit um die Frage, ob man eigentlich noch ungestraft alles sagen dürfe, geht in die nächste Runde: Mehr als hundert Intellektuelle haben einen Aufruf unterzeichnet, in dem sie sich besorgt über Einschränkungen der Meinungsfreiheit zeigen : Daniel Kehlmann, J.K. Rowling, Margaret Atwood, Noam Chomsky, Salman Rushdie gehören dazu. Sie warnen vor einem Klima des Antiliberalismus nicht nur durch Donald Trump, sondern auch von links. Die Äußerung nicht konformer Gedanken führe immer wieder zu Rufen nach Ächtung und Bestrafung.

Von rechts wird seit einigen Jahren eine sogenannte "Cancel Culture" beklagt – dass also Menschen von Aktivisten öffentlich zum Verstummen gebracht würden, wenn sie unliebsame Ansichten äußerten. Das Gegenargument lautet: Die Kritisierten dürften ja alles sagen, müssten aber eben auch mit der Kritik leben können, die heute einfacher auch von Leuten geäußert werden könne, die früher keine Stimme hatten.

Verliererin des Tages…

...ist die Deutsche Bank. Sie muss eine Strafe von 150 Millionen Dollar zahlen, weil sie ihre Geschäftsbeziehung zum Sexualverbrecher und Multimillionär Jeffrey Epstein nicht ordentlich im Blick hatte und ihn fragwürdige Zahlungen in Millionenhöhe abwickeln ließ – an mutmaßliche Mittäter und "russische Models". Es ist nicht das erste Mal, das sich die Geschäfte der Deutschen Bank in den USA als problematisch erweisen. Sie stehen in einer Reihe mit Deals, auf die sie sich seit den Neunzigerjahren in den USA eingelassen hat, um bei den Großen mitspielen zu dürfen – die holen sie nun aber nach und nach ein.

Ein Kapitel für sich ist die Beziehung, die die Deutsche Bank mit Donald Trump einging: Sie finanzierte sein Immobilienimperium seit den Neunzigerjahren mit Krediten von über zwei Milliarden Dollar. Die Beziehung mit Trump begann zu einer Zeit, in der die Bank Großes plante, aber in den USA noch so unbekannt war, dass Manager aus Deutschland in der Eingangshalle der Londoner Niederlassung den Schriftzug "Deutsche Bank" in phonetischer Schreibweise anbringen ließen – weil viele Amerikaner ihren Arbeitgeber fälschlicherweise "Douche Bank" nannten  (was so viel wie Deppenbank heißt). Die internationale Großmannssucht der Deutsche-Bank-Manager führte dazu, dass die einst so vornehme Hausbank der deutschen Industrie in ein ethisch fragwürdiges Umfeld geriet – davon wird sie sich imagemäßig so leicht nicht erholen.

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Herzlich,

Ihr Mathieu von Rohr

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