Mathieu von Rohr

Die Lage am Morgen Was ist, wenn Spanien deutsche Panzer an die Ukraine liefert?

Mathieu von Rohr
Von Mathieu von Rohr, Leiter des SPIEGEL-Auslandsressorts

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um den britischen Premier Johnson, der vorerst im Amt bleibt – aber für wie lange? Außerdem äußert sich Angela Merkel zum ersten Mal seit ihrem Abtritt, der ukrainische Präsident Selenskyj besucht die Front. Und: Liefert Spanien deutsche Panzer?

Boris Johnson bleibt (vorerst) britischer Premier

Es gibt Siege, die sich wie Niederlagen anfühlen – und das trifft für Boris Johnsons überstandenes Misstrauensvotum in seiner eigenen Partei eindeutig zu.

Johnson während des Jubilee zu Ehren der britischen Königin Elizabeth II. am Sonntag

Johnson während des Jubilee zu Ehren der britischen Königin Elizabeth II. am Sonntag

Foto: LEON NEAL / AFP

41 Prozent der Tory-Abgeordneten haben ihm nach einer Serie von Skandalen ihr Misstrauen ausgesprochen: Das sind 148. Eine Mehrheit von 211 Abgeordneten unterstützte Johnson zwar, aber der Premier ist nach dieser Abstimmung angeschlagen. Sein Ergebnis ist schlechter als das seiner Vorgängerin Theresa May, die ebenfalls ein Misstrauensvotum überstand – und sechs Monate später nicht mehr im Amt war.

Der Regierungspartei droht nun eine lange Phase der Agonie mit einem unpopulären Regierungschef, der nach den Coronapartys am Regierungssitz bei zwei Dritteln der Briten abgeschrieben ist und der in seiner eigenen Partei kaum noch über Autorität verfügt. Ende Juni stehen in zwei wichtigen Wahlkreisen Nachwahlen an. Nach heutigem Stand werden die Tories dort deutlich verlieren. Das könnte die Position von Johnson weiter schwächen. Allerdings müsste Johnson von sich aus zurücktreten – denn er kann nach der knapp gewonnenen Abstimmung in seiner Partei ein Jahr lang nicht mehr herausgefordert werden.

Die eigentliche Siegerin des Misstrauensvotums ist die britische Labourpartei, die größte Oppositionspartei im Land – während die Konservativen aus ihren innerparteilichen Machtkämpfen auch sechs Jahre nach der Brexit-Abstimmung nicht herausfinden.

Was sagt Merkel eigentlich zu allem?

Heute will Angela Merkel zum ersten Mal seit sie nicht mehr Kanzlerin ist öffentlich sprechen: Sie unterhält sich mit meinem SPIEGEL-Kollegen Alexander Osang auf der Bühne des Berliner Ensembles – und alle Journalisten dürften ihn darum beneiden, natürlich auch ich selbst, denn: Was möchte man jetzt nicht alles von Merkel wissen! Was hat sie seit Herbst gemacht? Wie hat sie den Kriegsbeginn erlebt? Und natürlich: Was hätte sie rückblickend gern anders gemacht? Der Krieg stellt vieles infrage, was an Merkels Kanzlerschaft erfolgreich schien, ihre Rolle als Vermittlerin zu Putin in der Ukraine, ihr politisches Erbe als Ganzes erscheint in einem anderen Licht.

Merkel am Tag der Amtsübergabe an Olaf Scholz (am 8. Dezember 2021)

Merkel am Tag der Amtsübergabe an Olaf Scholz (am 8. Dezember 2021)

Foto: Markus Schreiber / AP

Der Grünenpolitiker Anton Hofreiter hat es neulich so ausgedrückt: »Überspitzt gesagt fußt deutscher Wohlstand doch darauf, dass wir in der einen Diktatur, in Russland, billige Rohstoffe einkaufen, dann hier Produkte herstellen – um sie dann der anderen Diktatur, China, zu verkaufen. Nicht zuletzt Angela Merkel hat stark daran geglaubt, irrigerweise.«

Es gibt also viel zu besprechen, viel zu fragen, man weiß nur nicht: Wird Merkel auch antworten? Alexander Osang hat Angela Merkel in ihren letzten Jahren im Amt einmal »die deutsche Queen«  genannt. Er hat sie mehr als 20 Jahre lang begleitet, er hat sie beobachtet, interviewt, porträtiert. In seinem letzten Text, den er im September vergangenen Jahres über sie schrieb, heißt es: »Angela Merkel wollte nie, dass irgendjemand eines dieser Porträts fürs Kanzleramt von ihr malt. Sie hat sich vor meinen Augen in eines verwandelt. Ein Gemälde.« Im gleichen Text schrieb er: »Wenn ich eine einzige Frage an die Kanzlerin freihätte, würde ich sie fragen: Wie geht es Ihnen eigentlich?« Heute Abend kann er sie ihr stellen. Die Veranstaltung wird live auf Phoenix übertragen.

Schicken die Spanier deutsche Panzer in die Ukraine?

Die Regierung Spaniens könnte Olaf Scholz in Erklärungsnot bringen, wenn eintrifft, was »El País« berichtet: Demnach will Spanien der Ukraine moderne Leopard-Kampfpanzer liefern. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür bisher nicht.

Selenskyj bei seinem Frontbesuch mit ukrainischen Soldaten

Selenskyj bei seinem Frontbesuch mit ukrainischen Soldaten

Foto: STR / AFP

Das wäre für die Bundesregierung aus zwei Gründen ein Problem: Erstens müsste sie einer solchen Lieferung zustimmen, weil die Panzer aus deutscher Produktion stammen – und sie zu verweigern, würde das Image Berlins als Bremser und Verhinderer zementieren. Zweitens heißt es aus der Kanzlerpartei SPD, es gäbe eine Absprache unter Nato-Verbündeten, keine Panzer westlichen Typs zu liefern (was Politiker von Grünen und FDP übrigens bestreiten). Wenn Spanien Leoparden liefern sollte, kann das aber eigentlich nicht stimmen. Berlin will bisher nicht einmal wesentlich ältere Panzer vom Typ Marder liefern.

Die Ukraine benötigt schwere Waffen gerade dringend. Im Donbass steht sie in einem verlustreichen Kampf gegen die russische Armee, die mit pausenlosen Luftangriffen und schwerer Artillerie vorrückt, wie meine SPIEGEL-Kollegen im unten verlinkten Text beschreiben. Am Wochenende gelang es den Ukrainern, die zeitweilig fast schon aufgegebene Stadt Sjewjerodonezk zum Teil wieder zurückzuerobern. Und Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj unternahm eine Reise in Frontnähe nach Lyssytschansk und Bachmut – die man nur als waghalsig bezeichnen kann: Er sprach seinen Truppen Mut zu, während ganz in der Nähe erneut ein russischer General ums Leben kam.

Westliche Irrtümer über den Krieg

Ein Text hat am Wochenende auf unserer Seite für besonders viel Interesse gesorgt: Die russische Politologin Tatiana Stanovaya, die seit Langem in Paris lebt, hat in einem Gastbeitrag fünf westliche Irrtümer über Putin beschrieben. Eine der Haltungen, die sie kritisiert, wird besonders emphatisch vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron vertreten – sie lautet: Man dürfe Russland nicht demütigen. Oder, wie Stanovaya es formuliert: Putin eine Möglichkeit geben, sein Gesicht zu wahren. Doch hinter dieser Annahme steht, so Stanovaya, die gänzlich falsche Annahme, dass es den Konflikt beenden würde, wenn man Putin in der Ukraine Zugeständnisse machte.

Putin am Montag im Kreml

Putin am Montag im Kreml

Foto: Mikhail Metzel / AP

Sie schreibt: »Wird das den Konflikt beenden? Auch wenn die Antwort für viele ein klares Ja zu sein scheint, ist das falsch. Russland befindet sich zwar in einer Schlacht mit der Ukraine, aber geopolitisch betrachtet sieht es sich in einem Krieg gegen den Westen auf ukrainischem Gebiet. Im Kreml wird die Ukraine als antirussische Waffe in den Händen des Westens betrachtet; ihre Zerstörung bedeutet aber nicht automatisch den Sieg Russlands in diesem antiwestlichen geopolitischen Spiel. Für Putin findet dieser Krieg nicht zwischen Russland und der Ukraine statt. Die ukrainische Führung ist kein unabhängiger Akteur, sondern ein westliches Werkzeug, das neutralisiert werden muss.«

Und sie fährt fort: »Der Westen versteht das Problem heute falsch: In seinem Bemühen, Russlands Krieg zu stoppen, konzentriert er sich auf Moskaus künstliche Vorwände für seinen Einmarsch in die Ukraine. Er übersieht Putins Besessenheit mit der sogenannten westlichen Bedrohung – sowie seine Bereitschaft, den Westen durch weitere Eskalation zu einem Dialog unter russischen Bedingungen zu zwingen. Die Ukraine ist nur eine Geisel.« Ich empfehle Ihnen den ganzen Text zur Lektüre:

Warum es so schnell keine Verhandlungslösung gibt

Wenn in Deutschland über den Ukrainekrieg geredet wird, werden gerade viele solcher falschen Prämissen wiederholt – die gut klingen, aber manchmal realitätsfremd sind. Dazu gehört auch der Satz: »Dieser Konflikt lässt sich nur mit Verhandlungen beilegen«. Er ist erstens eine Binse, denn natürlich stimmt er grundsätzlich: Irgendwann muss es Verhandlungen geben.

Eine Frau sitzt im ukrainisch kontrollierten Druschkiwka im Garten ihres Hauses, das durch Raketeneinschlag beschädigt wurde

Eine Frau sitzt im ukrainisch kontrollierten Druschkiwka im Garten ihres Hauses, das durch Raketeneinschlag beschädigt wurde

Foto: Bernat Armangue / dpa

Allerdings hat Putin den Krieg trotz massiver diplomatischer Anstrengungen der Europäer begonnen – und sich seit Kriegsbeginn auf keinerlei ernsthafte Verhandlungsbemühungen eingelassen. Er weigert sich, den ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu treffen. Von Putin und aus seinem Umfeld gibt es stets die gleiche Botschaft: Die Ukraine soll kapitulieren – verhandelt wird, wenn die Schlacht geschlagen ist. Ernsthafte Verhandlungen kann es erst geben, wenn beide Seiten dazu bereit sind – und Putin will nicht.

Hinzu kommt: Käme es jetzt zu einem Waffenstillstand, fänden die Gespräche in einer Situation statt, in der Russland seine Kontrolle über ukrainisches Gebiet massiv ausgebaut hat. Es verfügt momentan über ein Fünftel des Territoriums, warum sollte es die in Verhandlungen aufgeben? Wenn es aber zu einem Waffenstillstand käme, bei dem der jetzige Frontverlauf eingefroren würde, muss damit gerechnet werden, dass Russland den Krieg – wie in der Vergangenheit schon – nach einer Pause fortsetzen könnte. Das ursprüngliche Ziel Putins bliebe ja bestehen: die Ukraine als unabhängigen Staat zu zerstören und damit einen geopolitischen Sieg gegen den Westen zu erringen, auf Kosten der Ukrainer. Deshalb haben die Ukrainer keine andere Möglichkeit, als sich zu wehren – und dafür brauchen sie schwere Waffen.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Das geschah in der Nacht: Ukrainische Kämpfer im Osten des Landes wehren sich laut Kiew weiter gegen die Angreifer. Boris Johnson bekommt Lob für angekündigte Waffenlieferungen. Und: USA verdächtigen Russland des Getreidediebstahls. Der Überblick.

  • In Treue zu Russland – Serbien verärgert die EU: Der geplatzte Besuch des russischen Außenministers Lawrow in Belgrad zeigt: Obwohl Serbien in die EU will, sucht das Land immer wieder die Nähe zu Moskau. Der Unmut in Brüssel ist groß.

  • US-Botschafter warnt Russland vor Abbruch diplomatischer Beziehungen: Washingtons Statthalter in Moskau hat an Russland appelliert, seine Botschaft in den USA nicht zu schließen. Die beiden größten Atommächte der Welt müssten weiter miteinander reden.

  • Russische Dissidenten können dauerhaft in Deutschland bleiben: Rund 70 russische Journalisten waren nach Kriegsbeginn nach Deutschland geflüchtet – allerdings nur mit Kurzzeitvisa für 90 Tage. Und dann? Jetzt zeichnet sich eine Lösung für die Exilanten ab. 

Gewinner des Tages…

Radfahrer mit 9-Euro-Ticket in Berlin-Gesundbrunnen auf dem Weg nach Stralsund

Radfahrer mit 9-Euro-Ticket in Berlin-Gesundbrunnen auf dem Weg nach Stralsund

Foto: Jörg Carstensen / dpa

…sind die Nutzer des öffentlichen Verkehrs in Deutschland – denn zum ersten Mal haben sie mit dem 9-Euro-Ticket eine einfache, günstige und im ganzen Land gültige Möglichkeit, Bus und Bahn zu nutzen. Am Pfingstwochenende gab es in ganz Deutschland einen Ansturm auf Züge: Rentner am Schliersee, Punks auf Sylt, Familien im Harz. Das neue Ticket ist eine Revolution in einem Land, das ansonsten in unzählige Verkehrsverbünde zerfällt und in dem Bahnfahren im Großen und Ganzen ziemlich teuer ist. Und es ist zu hoffen, dass dieses Ticket nach den drei Monaten nicht einfach wieder verschwindet – sondern, dass es eine langfristige Lösung gibt – und sei es ein 19-Euro-Ticket, mit dem der öffentliche Regionalverkehr dauerhaft günstig und simpel nutzbar ist.

Wichtig wäre aber auch, dass das Angebot nicht nur günstig ist, sondern dass es auch endlich besser funktioniert – und das ist leider nicht umsonst zu haben: Meine SPIEGEL-Kollegen haben am Wochenende offengelegt, dass die Fernzüge der Bahn in der dritten Maiwoche nur noch in 59 Prozent der Fahrten pünktlich waren .

Insbesondere zwischen Hamburg und NRW, Frankfurt und Basel herrscht eine Art Dauerkrise: Massive Verspätungen und Zugausfälle sind dort an der Tagesordnung. Das ließe sich nur beheben mit starken Investitionen in die Schieneninfrastruktur: In Deutschland wird dafür pro Jahr und Kopf nur ein Drittel dessen ausgegeben, was Österreich investiert, und sogar nur ein Fünftel der Schweiz. Das wäre doch mal ein Zukunftsprojekt für eine Reformkoalition: ein öffentlicher Verkehr, für den es nicht nur günstige und einfache Angebote gibt, sondern der auch zuverlässig funktioniert.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • USA wollen Abramowitschs 350-Millionen-Dollar-Flieger beschlagnahmen: Roman Abramowitsch steht auf internationalen Sanktionslisten. Nun planen die US-Behörden, dem russischen Milliardär zwei Luxusflugzeuge wegzunehmen. Der Zugriff auf die Jets wird aber schwierig.

  • Ex-Anführer der »Proud Boys« wegen aufrührerischer Verschwörung angeklagt: Fünf Mitglieder der rechtsradikalen »Proud Boys« sollen den Angriff auf das US-Kapitol mitorganisiert haben. Nun sollen sie vor Gericht kommen – und die Vorwürfe wiegen schwer.

  • Benzema und Mbappé nur auf der Bank – Remis zwischen Frankreich und Kroatien: In der Nations League müssen Frankreich und Kroatien weiter auf den ersten Sieg warten. In der Neuauflage des WM-Finales von 2018 gab es keinen Sieger. Karim Benzema und Kylian Mbappé kamen nicht zum Einsatz.

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Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Mathieu von Rohr

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