Mathieu von Rohr

Die Lage am Morgen Wenn Drosten zum politischen Gegner wird

Mathieu von Rohr
Von Mathieu von Rohr, Ressortleiter Ausland

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute beschäftigen wir uns mit dem Kulturkampf um einen deutschen Wissenschaftler und der Frage, ob die EU beim Corona-Fonds einen Kompromiss schafft. Und: Twitter verpasst Trump einen Faktencheck.

Wie hältst Du's mit Drosten?

"Pandemie" ist ein preisgekröntes Brettspiel, bei dem die Spieler die Ausbreitung eines Virus verhindern müssen. Sie können nur gewinnen, wenn sie zusammenhalten. Was im Spiel funktioniert, scheitert an der Wirklichkeit. Die Corona-Pandemie hat in den polarisierten Gesellschaften des Westens nicht für mehr Zusammenhalt gesorgt. Sie hat die politischen Kulturkämpfe nur weiter angefacht. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland sind die Auseinandersetzungen toxischer geworden.

In den USA ist es jetzt der Umgang mit Schutzmasken, mit dem man zeigt, wo man steht. Als Joe Biden am Montag mit einer schwarzen Gesichtsmaske seinen ersten öffentlichen Auftritt seit Monaten absolvierte, machten sich rechte Twitter-Kommentatoren lustig über sein Aussehen. Donald Trump retweetete die Kritiker - er selbst weigert sich, öffentlich eine Maske zu tragen. Als ihm ein Reporter eine Frage stellte, bezeichnete er ihn als "politisch korrekt", weil dieser eine Maske trug. Ein bisschen wie auf dem Schulhof. Schutzmasken sind in den USA zu einem politischen Marker geworden. Sie zeigen an, zu welchem Team man gehört - wer eine trägt, ist offenbar "links", wer keine trägt, "konservativ". Es wäre lächerlich, wenn es nicht um Leben und Tod ginge.

Die politische Gretchenfrage in Deutschland lautet dagegen: Wie hältst Du’s mit Drosten? Das ist zwar absurd, weil Christian Drosten kein Politiker ist, sondern Wissenschaftler und einer der wenigen wirklichen Experten für Coronaviren in diesem Land. Doch bei der von "Bild" angezettelten Kontroverse um ihn geht es nur oberflächlich um die Frage, welche methodische Kritik andere Wissenschaftler an Teilen einer im April vorveröffentlichten Studie üben.

Nein, es geht nicht um Fakten. Drosten ist zwischen die Frontlinien eines identitätspolitischen Kulturkriegs geraten, wie wir sie früher eher aus den USA kannten. Auf der einen Seite stehen jene, die ihm als wissenschaftliche Instanz vertrauen. Auf der anderen Seite stehen jene, die ihn irgendwie mit Merkel, Mainstream, Lockdown und Linksliberalismus in Verbindung bringen und teilweise erhebliche Aggressionen gegen ihn hegen - wie sich auch bei den "Hygienedemos" zeigte.

Drosten beriet wegen seiner Kenntnisse zwischenzeitlich die Regierung und deshalb sehen diese Kulturkrieger in ihm nicht in erster Linie einen Wissenschaftler, sondern einen politischen Gegner, der attackiert werden muss. So sieht das offenbar auch die "Bild"-Zeitung, die Drosten im Kampagnenstil fertigmachen will - was aber nicht so leicht gelingt, weil der sich per Twitter und Podcast wehren kann. Auch hier gilt: Das ist alles kein Spiel, sondern hochgefährlich. Seit Wochen ist bekannt, dass Drosten Todesdrohungen erhält. Und das Klima im Land ist besorgniserregend toxisch.

Merkron und die "Frugalen Vier"

Das ist nicht der Titel eines seltsamen Weltraumfilms, sondern bezeichnet eine der aktuellen Konfliktlinien in Europa. Wenn Ursula von der Leyen heute vor das Europäische Parlament tritt, geht es nur um eine Frage: Schafft es die EU-Kommissionspräsidentin, die Kluft zu überbrücken, die sich in Europa in den vergangenen Wochen aufgetan hat? Nachdem das Duo Macron-Merkel einen 500 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds  vorgeschlagen hat, meldeten sich die "Frugalen Vier" zu Wort: Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden. Sie wollen, dass Italien und Spanien keine Zuschüsse, sondern nur Kredite bekommen - es soll alles zurückgezahlt werden. Und dann gibt es auch noch die Osteuropäer, die aus anderen Gründen kritisch sind.

Heute macht nun von der Leyen im Namen der Kommission ihre eigenen Vorschläge - sie will gleichzeitig den europäischen Haushalt durchbringen und den damit verknüpften Corona-Fonds, insgesamt geht es wohl um rund 1,5 Billionen Euro. Erwartet wird, dass sich von der Leyen am deutsch-französischen Plan orientiert, aber natürlich wird sie auch Signale an die Skeptiker schicken müssen. Die wollen vor allem verhindern, dass die Solidaritätsmilliarden ohne jede Rechenschaft und Kontrolle ausgegeben werden können. Auf SPIEGEL.de wird mein Brüsseler Kollege Peter Müller heute von der Leyens Rede vor Ort verfolgen und die Entwicklungen analysieren.

Söder will bei Epidemien mehr Macht für den Bund

Es war echt mühsam, aber am Ende haben sich Bund und Länder noch einmal zu einem gemeinsamen Beschluss zusammengerauft: Bis zum 29. Juni sollen die Kontaktbeschränkungen in Deutschland nun gelten. Die Länder können den Aufenthalt im öffentlichen Raum mit bis zu zehn Personen gestatten - sie können aber auch bei der bisherigen Regel bleiben. So richtig einig wurde man sich also nicht. Nachdem sich die Länderchefs vor der gestrigen Entscheidung erneut gezankt hatten, forderte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als "echter, überzeugter Föderalist" mehr Macht des Bundes beim Infektionsschutz. Er sagte: "Ehrlicherweise" wäre es "besser, wenn der Bund da mehr verbindliche, rechtsnormative Kraft hätte". Der Bund in der Person von Angela Merkel war übrigens auch schon länger nicht mehr zu sehen und zu hören.

Auch beim Thema Schulöffnungen bewegt sich etwas: Bundesländer wie Bayern und Thüringen stellen in Aussicht, dass sie zum neuen Schuljahr den Regelbetrieb wiederaufnehmen könnten - was sicher viele Eltern kaum erwarten können. Alle Ministerpräsidenten weisen aber auch darauf hin, dass alles von den Infektionszahlen abhängt.

Gewinner des Tages…

...ist Twitter. Das Unternehmen ist erstmals seiner Verantwortung nachgekommen und hat irreführende Tweets von US-Präsident Donald Trump mit einem Factchecking-Hinweis versehen . Das ist ein großer Schritt für das Unternehmen, das in der Vergangenheit kaum gegen Desinformation und Fake News auf der eigenen Plattform vorging. Twitter war darin sogar noch zurückhaltender als Facebook. Nun hat Twitter zwei Tweets des Präsidenten mit einem Hinweis versehen - darin hatte Trump Briefwahlstimmen grundsätzlich als potenziell betrügerisch bezeichnet. Es gibt immer mehr Hinweise, dass Trump grundsätzliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl streuen will. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass Twitter ausgerechnet diese Tweets als erste mit einem Warnhinweis versehen hat.

Zweifellos wird das zu einem großen Clash zwischen Trump und Twitter führen. Bisher haben beide voneinander profitiert - das soziale Netzwerk hat Trumps politische Karriere überhaupt erst möglich gemacht, umgekehrt hat Trump die Bedeutung von Twitter massiv gesteigert. Wenn das Unternehmen nun beginnt, die unwahren Tweets des Präsidenten zu markieren, könnte das sogar dazu führen, dass Trump dem Netzwerk den Rücken kehrt - und samt seiner Anhänger etwa auf den Twitter-Klon Parler wechselt, wo es gar keine Inhaltskontrollen gibt. Eine gute Stunde nach dem Faktencheck wiederholte Trump seine Behauptungen und wetterte: Twitter mische sich nun in die Wahl ein und unterdrücke die freie Meinungsäußerung - "und ich, als Präsident, werde nicht zulassen, dass das geschieht."

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Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Das Ende von Chimerica: US-Präsident Trump eskaliert den Streit mit China, um vom eigenen Versagen in der Coronakrise abzulenken. Aber es geht nicht nur um seine Wiederwahl: Die Supermächte werden immer mehr zu Gegnern

  • Richterbund besorgt über Zunahme judenfeindlicher Straftaten: Mehr politisch motivierte Gewalt, mehr antisemitische Straftaten - diese Eckpunkte sind bereits aus der neuen Polizeilichen Kriminalstatistik durchgesickert. Die deutschen Richter sind alarmiert

  • Oh, wie schön war Panama: Die Rückholaktion der Bundesregierung hatten sie verpasst: 49 Deutsche haben sich in Panama mit 180 Gestrandeten aus 26 Nationen ein Flugzeug in die Heimat organisiert. Heute werden sie in Frankfurt erwartet

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Ihr Mathieu von Rohr

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