Mathieu von Rohr

Die Lage am Morgen Verurteilen die Chinesen nun Putins Krieg?

Mathieu von Rohr
Von Mathieu von Rohr, Leiter des SPIEGEL-Auslandsressorts

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um den G20-Gipfel auf Bali, der von den USA und China dominiert wird – während Putin die Abschlusserklärung fürchten muss. Eine Recherche zeigt, wie Hunderte Honorarkonsuln weltweit in illegale Machenschaften verwickelt sind. Und: Gibt es einen Kompromiss beim Bürgergeld?

Die Bühne gehört USA und China, Putin spielt keine Rolle

Heute hat auf Bali der G20-Gipfel begonnen. Eines der wichtigsten Themen ist der russische Krieg gegen die Ukraine, nur dessen Verursacher fehlt: Wladimir Putin lässt sich in Indonesien von seinem Außenminister Sergej Lawrow vertreten. Der aber hat zu Hause kaum Einfluss und gehört nicht zu Putins innerstem Zirkel, hat also keine Prokura.

Kaum war Lawrow in Indonesien angekommen, machten Agenturmeldungen die Runde, wonach er sich in einer Klinik habe behandeln lassen – was er empört als Falschmeldung zurückwies. Er ließ sich zum Beleg seines Wohlseins ablichten: mit einem iPhone auf dem Tisch und einem T-Shirt mit dem Namen des queeren, antikolonialen, afroamerikanischen Künstlers Basquiat.

Lawrow auf Bali: Das Bild wurde per Telegram von seiner Pressesprecherin verbreitet

Lawrow auf Bali: Das Bild wurde per Telegram von seiner Pressesprecherin verbreitet

Foto:

Maria Zakharova / Telegram / REUTERS

Wenn Lawrows seltsamer Auftritt und Putins Abwesenheit eines belegt, dann, dass Russland im Kreis der Großmächte seit dem Ukrainekrieg noch viel weniger eine Rolle spielt als zuvor. Die Bühne gehörte am Montag vollständig den beiden verbliebenen Großmächten USA und China, deren Rivalität die Welt prägt: Im Zentrum stand das Treffen zwischen den Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping, die versuchten, auf der Basis ihrer langjährigen Beziehung freundlichere Töne anzuschlagen – es müsse keinen neuen Kalten Krieg geben, betonten sie.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Was in der Nacht geschah: Der ukrainische Präsident beklagt die massenhafte Deportation von Minderjährigen. Russland soll laut Uno für Kriegsschäden aufkommen. Und: Briten versichern Kiew ihren Beistand. Das geschah in der Nacht. Der Überblick.

  • Selenskyj in Cherson: »Dies ist der Anfang vom Ende des Krieges«: Der ukrainische Präsident hat die rückeroberte Stadt Cherson besucht. Er wurde von jubelnden Menschen empfangen. Eindrücke von SPIEGEL-Reporter Alexander Sarovic im Video.

  • Vorbereitung auf »aufgezwungenen Krieg« – Bundeswehr soll deutlich kampfkräftiger werden: In einem vertraulichen Strategiepapier schwört Generalinspekteur Zorn die Bundeswehr auf harte Jahre ein. Ein Konflikt mit Russland werde wahrscheinlicher. Die Truppe müsse sich voll auf die Abwehr eines Angriffs konzentrieren. 

Stimmt Russland der eigenen Verurteilung zu?

Vor Beginn des Gipfels galt dies als eine der zentralen Fragen: Können sich die G20 auf eine Abschlusserklärung einigen, die Russlands Krieg und die Atombombendrohungen Putins verurteilt?

Eine Bühne beim G20-Gipfel auf Bali wird von Sicherheitskräften überprüft

Eine Bühne beim G20-Gipfel auf Bali wird von Sicherheitskräften überprüft

Foto: MAST IRHAM / EPA

Vor wenigen Stunden erklärte nun EU-Ratspräsident Charles Michel: Die Chefunterhändler der Europäischen Union und der 19 führenden Wirtschaftsmächte haben sich auf den Entwurf für eine gemeinsame Abschlusserklärung verständigt. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa setzten die EU und die westlichen Staaten dabei gegen den anfänglichen Widerstand Moskaus durch, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine scharf verurteilt werden kann. Es ist aber noch unklar, ob wirklich alle Staaten die Verurteilung mittragen, namentlich China oder gar Russland selbst.

Zuvor hatte es Hinweise darauf gegeben, dass Russland eine Abschlusserklärung mitunterzeichnen könnte, die Kritik am russischen Angriffskrieg enthält: Das wäre ein Anzeichen dafür, dass auch Moskaus Verbündete es in der Frage kaum noch unterstützen und Putin zunehmend isoliert dasteht.

Am Montag kam es übrigens zu einem weiteren interessanten Treffen, über das wenig bekannt ist: In Istanbul trafen sich CIA-Direktor William J. Burns und sein russisches Gegenüber Sergej Naryschkin, der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes. Angeblich sei es darum gegangen, die Russen vor dem Einsatz von Atomwaffen zu warnen. Aber spekuliert wird auch, dass es um einen Austausch amerikanischer Gefangener gegangen sein könnte – oder gar um die Vorbereitung möglicher Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland.

Selenskyj besucht das befreite Cherson

Selenskyj in Cherson

Selenskyj in Cherson

Foto: IMAGO/UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS OFF / IMAGO/UPI Photo

Während Putin sich kaum je in der Öffentlichkeit zeigt, fuhr der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag in die zurückeroberte Stadt Cherson, die neuerdings direkt an der Frontlinie liegt. Das folgt einem Muster, wie SPIEGEL-Reporter Alexander Sarovic im Video berichtet: Selenskyj hat bisher fast alle größeren Orte kurz nach der Befreiung sofort besucht.

Sarovic und sein SPIEGEL-Kollege Christian Esch sind seit Tagen im befreiten Cherson unterwegs und sprechen mit Menschen, die die acht Monate Besatzung überstanden haben. Einige berichten – wie auch in anderen befreiten Orten – von Folter durch russische Soldaten. Obwohl die Stadt derzeit kaum bewohnbar ist, weil Strom und fließendes Wasser fehlen, berichten die Reporter von einer spürbaren Euphorie in der Stadt. Lesen Sie ihren Bericht hier:

Recherche zeigt: Es gibt Hunderte kriminelle Honorarkonsuln

Wissen Sie, was Honorarkonsuln sind? Man könnte sie als eine Art Ehrendiplomaten bezeichnen: Sie sind oft im Hauptberuf Geschäftsleute oder Anwälte, übernehmen aber für einen fremden Staat ehrenhalber diplomatische oder konsularische Aufgaben – manchmal einfach nur Lobbyarbeit, manchmal stellen sie aber auch Pässe aus oder betreuen Touristen. Eine internationale Recherche, an der der SPIEGEL beteiligt war, zeigt aber nun: Mehr als 500 Honorarkonsuln weltweit sind alles andere als honorig – und in Kriminalfälle und Skandale verwickelt. Selbst verurteilte Waffenhändler, Drogendealer, Sexualstraftäter und sogar Mörder sind oder waren als ehrenamtliche Diplomaten tätig.

An der Recherche des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und der US-Rechercheplattform ProPublica beteiligten sich fast 60 Medien in 46 Ländern, in Deutschland waren es neben dem SPIEGEL auch NDR, WDR und »Süddeutsche Zeitung«. Die Veröffentlichungen, die in diesen Tagen weltweit unter dem Titel »Shadow Diplomats« – zu Deutsch: Schattendiplomaten – publik werden, beleuchten ein System, das kaum nennenswerten Kontrollen unterliegt, obwohl es mit erheblichen Privilegien verbunden ist. Und die werden, das belegt eine systematische Analyse von Gerichtsdokumenten, Regierungsberichten und Zeitungsarchiven auf sechs Kontinenten, seit Jahren im großen Stil missbraucht.

Die Praxis, Honorarkonsuln zu ernennen, ist aus dem Ruder gelaufen – den Titel kann man oft sogar kaufen. Dafür erhält man sogar eine gewisse diplomatische Immunität, die nicht wenige Honorarkonsuln offenbar dazu verleitet, krumme Dinger zu drehen. Einige besonders verrückte Fälle finden Sie hier  – und ein Überblicksstück hier:

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Verliererin des Tages…

Die gestrige Sondersitzung des Bundesrats in Berlin

Die gestrige Sondersitzung des Bundesrats in Berlin

Foto: IMAGO/Christian Spicker

… ist die Ampelkoalition: Denn vorerst ist das geplante Bürgergeld gestern im Bundesrat gescheitert  – ein zentrales Projekt der Regierung, insbesondere der SPD, die sich mit diesem neuen Begriff und einem neuen Konzept für ein Langzeitarbeitslosengeld gern von Hartz IV verabschieden möchte. Die unionsgeführten Bundesländer haben das Bürgergeld im Bundesrat abgelehnt – damit muss sich die Regierung nun mit der Opposition verständigen, wenn sie das Projekt retten will. Die CDU will härtere Sanktionen gegen Menschen, die Termine im Arbeitsamt versäumen oder Weiterbildungskurse versäumen; und sie will, dass die Menschen einen deutlich größeren Teil ihres angesparten Vermögens aufbrauchen müssen, bis sie Hilfe im vollen Umfang erhalten. Da die Reform bereits zum 1. Januar in Kraft treten soll, bleibt für eine Einigung zwischen Regierung und Opposition wenig Zeit.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Mathieu von Rohr

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