Mathieu von Rohr

Die Lage am Morgen Der Mut der Menschen, die sich Putin entgegenstellen

Mathieu von Rohr
Von Mathieu von Rohr, Leiter des SPIEGEL-Auslandsressorts

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um die Friedensnobelpreisträger aus der Ukraine, Belarus und Russland sowie um die Niedersachsenwahl und die österreichische Bundespräsidentenwahl. Außerdem lesen Sie hier, warum die Amerikaner straffrei kiffen dürfen.

Die Friedensnobelpreisträgerin im Zug

Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk

Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk

Foto: Christian Esch; Pavlo Bagmut

Mein Kollege Christian Esch erlebte gestern gewissermaßen die Definition von Reporterglück. Er befand sich gerade im Zug von Polen nach Kiew, als bekannt wurde, dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr an Menschenrechtler in Russland, Belarus und der Ukraine geht: an den inhaftierten belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Beljazki, die in Russland mittlerweile verbotene Organisation Memorial und das ukrainische Center for Civil Liberties. Die Vorsitzende der ukrainischen Organisation, Oleksandra Matwijtschuk, postete kurz danach ein Selfie von sich: Sie befinde sich im Zug nach Kiew und entschuldige sich bei allen, die sie gerade nicht telefonisch erreichen könnten. Sie saß im selben Zug wie SPIEGEL-Korrespondent Esch. Kurz entschlossen machte er sich auf die Suche nach ihr – und konnte als einer der ersten ein Interview mit ihr führen.

Die Friedensnobelpreisträgerin Matwijtschuk sagte in dem Gespräch, sie freue sich, weil der Preis an Menschen gehe, »die den größeren Teil ihres Lebens gegen das gemeinsame Böse gekämpft haben, nämlich die autoritären Regime von Putin und Lukaschenko«. Während einige Ukrainer die Entscheidung des Komitees kritisierten, die ukrainische Organisation gemeinsam mit Organisationen vermeintlicher »Brudervölker« auszuzeichnen, widerspricht Matwijtschuk: »Ich sehe das keinesfalls als Versuch, die Länder selbst in einen Topf zu werfen. Ales Beljazki und Alexander Tscherkassow von Memorial kenne ich seit vielen Jahren. Ihre Haltung und ihre Hilfe seit dem Beginn des Krieges 2014 habe ich nicht vergessen. Sie haben die Dinge stets beim Namen genannt, deshalb sitzt Ales Beljazki jetzt im Gefängnis, und Memorial ist verboten worden. Man kann die Ukraine, die um ihre Freiheit kämpft, nicht auf eine Ebene stellen mit Russland, das einen Angriffskrieg führt, und mit Belarus, das auch ein Teil dieses Krieges geworden ist. Es geht nicht um die Länder, sondern um Menschen, die sich dem gemeinsamen Bösen entgegengestellt haben.«

Lesen Sie das ganze Interview hier:

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

Der Riss, der durch ein befreites Dorf in der Ukraine geht

Unterwegs im Zentrum von Wyschnewa

Unterwegs im Zentrum von Wyschnewa

Foto:

Emile Ducke / OSTKREUZ / DER SPIEGEL

Ich möchte Ihnen eine Geschichte unseres Ukraine-Reporters Thore Schröder empfehlen, der in den neu von den ukrainischen Truppen befreiten Gegenden im Gebiet Charkiw recherchiert hat.

Wyschnewa ist ein Dorf wie so viele in der umkämpften Ostukraine. Zwei Umbrüche hat die kleine Gemeinde in nur wenigen Monaten erlebt: Erst kamen die Russen und unterwarfen das Dorf – viele Menschen stellten sich darauf ein. Dann, sechs Monate später, kamen die ukrainischen Befreier – und nun versuchen sich die Menschen wieder in der neuen Situation einzurichten. Doch die Freude darüber, dass die russischen Besatzer verjagt wurden, ist getrübt. Nicht jeder teilt sie in Wyschnewa. Seit der Besatzungszeit geht ein Riss durch das Dorf. Vielleicht ist er seitdem auch nur deutlich geworden. Die Menschen fragen sich: Wie können wir einander noch vertrauen? Oder: Wer hat mich verraten? Wer hat kollaboriert?

Lesen Sie den ganzen Text hier:

In Niedersachsen geht es für Olaf Scholz um viel

Konkurrierende Koalitionäre: Weil vs. Althusmann

Konkurrierende Koalitionäre: Weil vs. Althusmann

Foto: FABIAN BIMMER / REUTERS

Niedersachsen ist traditionell eine der verlässlichsten Bastionen der SPD. Und an diesem Wochenende geht es um die Frage, ob SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, der beliebteste Politiker des Bundeslands, die Wiederwahl schafft – obwohl die Kanzlerpartei auf Bundesebene in diesem Jahr in den Umfragen wieder ganz schön viel Wumms verloren hat. Es ist eine wichtige Wahl für die SPD und auch eine symbolträchtige: Denn der Landesverband Niedersachsen zeichnete sich lange nicht nur durch Nähe zu Volkswagen, sondern insbesondere auch zu Russland aus. Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel sind die Namen, die mit den Nord-Stream-Pipelines und der Energiepartnerschaft mit Gazprom besonders verbunden sind. Was bedeutet, dass die Landespartei historisch nicht ganz unschuldig ist an der Energie-Abhängigkeit von Russland, deren Folgen Deutschland nun wirtschaftlich so massiv in Bedrängnis bringen.

Das Gute für die SPD ist, dass Ministerpräsident Weil, der das Land seit neun Jahren regiert, davon persönlich nichts anhaftet. Sollte er abgewählt werden, wäre es für Olaf Scholz aber eine Katastrophe; dass er den »Doppelwumms« der Energiepreisbremse auch mit Blick auf die Niedersachsenwahl verkündete, kann nicht ganz ausgeschlossen werden. Laut Umfragen hat Weil Chancen, die Wiederwahl zu schaffen, sicher ist es aber nicht. Sein Kontrahent Bernd Althusmann (CDU) ist gleichzeitig auch sein Regierungspartner in der Großen Koalition. Es war insgesamt ein eher langweiliger Wahlkampf, geprägt von vielen großen Plakaten im platten Land. Interessant wird neben dem Wahlsieger auch das Abschneiden der AfD, die in Niedersachsen bisher nie eine große Rolle spielte, die angesichts der Energiekrise zuletzt aber in Umfragen zulegte (wie im ganzen Land).

Ist der alte Bundespräsident in Wien auch der neue?

Bundespräsident Van der Bellen

Bundespräsident Van der Bellen

Foto: Theresa Wey / AP

Diesen Sonntag wählt Österreich seinen Bundespräsidenten – und vermutlich wird der grüne Amtsinhaber Alexander Van der Bellen im ersten Wahlgang wiedergewählt. Das gilt als so wahrscheinlich, dass der Bundespräsident sich Sorgen machen muss, dass seine Anhänger nicht zur Wahl gehen oder Spaßkandidaten wie Marco Pogo von der Bierpartei wählen. Was ihn dann doch noch in eine Stichwahl gegen den abgeschlagenen FPÖ-Kandidaten Walter Rosenkranz zwingen würde (der allerdings in keiner Umfrage auf mehr als 20 Prozent kommt). Ansonsten besteht das Feld der Kandidaten aus Impfskeptikern und Corona-Leugnern – und einem Mann namens Staudinger, der behauptet, die #MeToo-Bewegung sei von der CIA entwickelt worden. Die meisten Österreicher werden am Sonntag deshalb in erster Linie froh sein, wenn dieser seltsame Wahlkampf ein Ende hat.

Suizid einer Impfärztin

Mahnwache für Kellermayr in Wien

Mahnwache für Kellermayr in Wien

Foto: ALEX HALADA / AFP

Apropos Österreich: Ich möchte Ihnen eine Geschichte meiner Kollegen Oliver Das Gupta, Johanna Jürgens und Antje Windmann ans Herz legen, die dem Suizid der österreichischen Impfärztin Lisa-Maria Kellermayr im Detail nachgegangen sind. Es ist die Geschichte einer Frau, die über Corona aufklärte, Menschen impfte, deshalb im Netz bedroht wurde – und dem Hass nicht standhielt. Es ist ein Text, der viel über die Zeit erzählt, in der wir leben. Und über Behörden, die solche Bedrohungen nicht ernst nehmen.

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Gewinner des Tages…

Cannabis-Flaggen vor dem Weißen Haus

Cannabis-Flaggen vor dem Weißen Haus

Foto: Jose Luis Magana / AP

…sind die Kiffer in Amerika. US-Präsident Joe Biden hat nämlich alle Menschen begnadigt, die in den USA wegen Marihuana-Besitz verurteilt wurden. Er hat auch das im Bundesrecht verankerte Verbot gelockert. Zudem hat Biden die Gouverneure der Bundesstaaten aufgefordert, all jene zu begnadigen, die durch Kiffen gegen Gesetze der Bundesstaaten verstoßen haben. Er setzt damit die Republikaner unter Druck, sich in der Frage zu positionieren. Das hat auch mit den nahenden Midterm-Wahlen zu tun: Erstens ist die US-Bevölkerung laut Umfragen zu mehr als zwei Dritteln für die Legalisierung von Cannabis. Und zweitens wurden in der Vergangenheit meist Afroamerikaner wegen Cannabis-Besitz verurteilt, obwohl Weiße genauso viel kiffen. Das Thema ist deshalb insbesondere bei jungen und schwarzen Bürgern populär, die von Biden mehrheitlich bisher nicht begeistert sind – und auf deren Stimmen die Demokraten angewiesen sind, wenn sie im November die Mehrheit in Repräsentantenhaus und Senat halten wollen.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

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Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Baerbock und die Mullahs: Frauenrechte offensiv einfordern – das ist ein Markenkern von Annalena Baerbocks Außenpolitik. Doch neben den mutigen Iranerinnen, die ihr Leben riskieren, wirkt die Deutsche seltsam einsilbig. Weicht ihre Verve der harten Realpolitik? 

  • Dürfen Kinder denn heute alles?: Der Kleine zertrümmert Dinge, die Große schläft im Elternbett. Experten sind sich einig: Es ist gut, dass Erwachsene achtsamer erziehen als früher – aber ohne Regeln geht es nicht. So finden Eltern im Alltag Lösungen .

  • Amerikaner und Europäer starten Wettlauf zu Jupiters Eismonden: Die Jupitermonde Europa und Ganymed sind von einer kilometerdicken Eiskruste überzogen, darunter werden riesige Ozeane vermutet. Nun sollen gleich mehrere Raumsonden dort nach Organismen suchen .

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Ihr Mathieu von Rohr

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