
Die Lage am Morgen Warum das Maskentragen unsere Freiheit nicht einschränkt

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschäftigen wir uns mit der Diskussion über ein Ende der Maskenpflicht im Einzelhandel und fragen uns, ob der Rapper Kanye West US-Präsident werden kann. Außerdem: Horst Seehofer will nicht wissen, ob es Rassismus in der Polizei gibt.
Die neue deutsche Maskendiskussion
Wieder einmal gibt es in Deutschland eine Debatte über die Corona-Maßnahmen - diesmal geht es um die Maskenpflicht beim Einkaufen, die einige Bundesländer im Osten und im Norden gern aufheben würden. Aber warum eigentlich? Als erstes Bundesland stieß Mecklenburg-Vorpommern die Diskussion an. Der dortige CDU-Wirtschaftsminister Harry Glawe begründete die Absicht in der "Welt am Sonntag" mit der "Ungeduld des Handels". Auch in anderen nord- und ostdeutschen Bundesländern steht das Thema auf der Tagesordnung. Bayern lehnt dagegen ein Ende der Maskenpflicht klar ab, genauso wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: "Wo in geschlossenen Räumen der nötige Abstand nicht immer gesichert ist, bleibt die Alltagsmaske geboten", twitterte er .
Es ist ja richtig: Die Corona-Maßnahmen müssen immer wieder neu diskutiert werden. Und sie sollten schnell aufgehoben werden, wenn das Infektionsgeschehen es zulässt – vor allem jene, die wirtschaftlich besonders schädlich sind oder eine starke Einschränkung der persönlichen Freiheit bedeuten. Auf das Maskentragen hingegen trifft all das nicht zu. Ja, Masken sind ein wenig lästig. Schön anzusehen sind sie auch nicht. Masken sind aber doch eine verkraftbare kleine Alltagszumutung – zumal sie nach Meinung der meisten Experten ein effizientes Mittel sind, um die Übertragung des Virus über die Luft einzudämmen. Der Abstand zu den Mitmenschen lässt sich im Zug oder beim Einkaufen seit den Lockerungen immer schwerer einhalten - auch deshalb macht ein Verzicht auf Masken im Moment besonders wenig Sinn.
Wir sollten Masken nicht politisieren
Wer das Maskentragen selbst zu einer Frage der persönlichen Freiheit stilisiert, der irrt: Unsere Freiheit beschränkt aktuell nicht eine Maske, sondern ein Virus. Bis es dagegen ein Mittel gibt, helfen Masken, unsere Freiheiten im Alltag zu bewahren. Die Masken zu politisieren, wäre ein großer Fehler. Für den kaum noch kontrollierbaren Ausbruch in den USA ist auch verantwortlich, dass Präsident Donald Trump das Maskentragen zur politischen Frage stilisiert hat und seine Anhänger mit seiner Ablehnung von Masken angesteckt hat - so dumm waren die meisten europäischen Länder zum Glück nicht.
Doch auch in Deutschland machen Politiker den Fehler, dass sie nur auf ihre aktuellen Infektionszahlen schauen - aber nicht auf die Entwicklungen im Rest der Welt: Dort zeigt sich immer wieder, wie schnell die Zahlen wieder ansteigen können. Österreich hat das Maskentragen im Handel Mitte Juni abgeschafft, das fiel zusammen mit weiteren Lockerungen, nun steigen die Zahlen wieder. Auch die Schweiz hatte zuletzt deutlich steigende Zahlen - nachdem zuvor fast alle Corona-Einschränkungen auf einen Schlag abgeschafft worden waren. Ausgerechnet die liberale Schweiz, ein Hort der Eigenverantwortung, in der bisher kaum jemand eine Maske trug, geht angesichts dieser Entwicklung nun in die entgegengesetzte Richtung: Die Schweiz führt im ÖPNV ab heute erstmals eine Maskenpflicht ein. Es lebe der Pragmatismus.
Söder verknüpft Kanzlerkandidatur mit Corona
Es ist nun wirklich keine Neuigkeit, dass sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vorstellen könnte, als erster CSU-Mann deutscher Bundeskanzler zu werden - auch wenn er das noch nie so klar gesagt hat. Nun hat er in einem Interview schon mal fast alle anderen möglichen Kandidaten der Union indirekt disqualifiziert: Er könne sich nur einen Kanzlerkandidaten der Union vorstellen, der sich in der Coronakrise bewährt habe. "Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen", sagte er. Nach seiner Logik fiele damit wohl Armin Laschet schon mal aus, weil der in NRW in Sachen Tönnies keine besonders glückliche Hand bewiesen hat. Friedrich Merz und Norbert Röttgen haben keine Exekutivverantwortung, fallen demnach also ebenfalls aus. Damit blieben eigentlich nur noch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn - und Söder selbst, der sich als zupackender, tougher Ministerpräsident gezeigt hat.
Nach Söders eigenen Maßstäben müsste man dann aber auch erwähnen: Sein Bundesland hatte von allen die höchsten Fallzahlen (mehr als 48.000) und die meisten Toten (2600). Ist das ein unfairer Vergleich, weil Bayern direkt neben dem Hotspot Österreich liegt? Vielleicht – aber es zeigt auch das Risiko, das darin liegt, die Kanzlerkandidatur so direkt mit der Corona-Performance zu verknüpfen.
Nein, Kanye West wird nicht Präsident
Die Nachricht, dass der Rapper Kanye West als Präsidentschaftskandidat antreten will, hat für Aufsehen gesorgt - schließlich wissen wir ja alle seit 2016, dass man in der Politik nichts Verrücktes vorschnell ausschließen sollte, richtig? Doch so aufregend die Geschichte klingt: Kanye West können wir als gewichtigen Faktor bei der Präsidentschaftswahl 2020 dennoch guten Gewissens ausschließen. Erstens ist Kanye in vielen Bundesstaaten ohnehin schon zu spät dran, um überhaupt noch als unabhängiger Kandidat antreten zu können. Zweitens ist auch die Vorstellung falsch, schwarze Wähler würden Kanye wählen, einfach nur weil dieser schwarz ist.
Der Mann, der zeitweise mit der Nähe zu Donald Trump flirtete, "Make America Great Again"-Hüte trug und die 400 Jahre Sklaverei in den USA als "eigene Wahl" der Sklaven bezeichnete, ist für die meisten Menschen in den USA ein nicht ernst zu nehmender Clown - und seine Sympathisanten wären wohl auch nicht gerade im linken Spektrum zu finden.
Kanye West hat schon öfter mit dem Gedanken gespielt, Präsident zu werden, er hat aber auch schon über Paralleluniversen gesprochen. Es spricht für sich, dass Kanye nun auch eine Namensänderung in "Christian Genius Billionaire Kanye West" angekündigt hat. Kurz gesagt: Nur weil 2016 etwas sehr Unwahrscheinliches geschehen ist, heißt das noch lange nicht, dass die absonderlichsten Dinge nun immer die größte Chance haben, Wirklichkeit zu werden.
Podcast: Was passiert auf Mallorca, wenn die Touristen fehlen?
Mallorca, die Geisterinsel – das ist diese Woche unser Titelthema, das ich Ihnen noch einmal wärmstens empfehlen möchte. Zur Titelgeschichte geht es hier. Ich möchte Ihnen aber auch die dazu gehörige Folge unseres Auslandspodcasts "Acht Milliarden" ans Herz legen. Host Juan Moreno ist zusammen mit einem SPIEGEL-Team auf die Insel gereist und hat Menschen besucht, die nun herausfinden müssen, wie es weitergeht, wenn der Massentourismus von einem Tag auf den anderen ausbleibt. Die Träume, auf der Insel einen anderen Tourismus zu erfinden, gab es schon lange. Sind sie nun realistischer geworden - oder unrealistischer? Außerdem lernen wir einen Cousin von Juan Moreno kennen.
Verlierer des Tages…
…ist Horst Seehofer. Erst kündigte sein Bundesinnenministerium an, in einer wissenschaftlichen Studie abklären zu lassen, ob es in der Polizei rassistische Tendenzen gebe, insbesondere in Bezug auf das sogenannte Racial Profiling - also die polizeiliche Überprüfung von Personen, nur weil sie nicht weiß sind. Nach den Diskussionen der vergangenen Wochen wäre eine solche Studie sehr interessant gewesen: Man hätte eine Faktenbasis gehabt, nachdem die einen die Polizei für komplett rassistisch und die anderen die Polizei für absolut überhaupt gar nicht rassistisch erklärten.
Doch nun sagt Seehofer die Studie ab. Es gebe nach seiner Ansicht "keinen Bedarf" für die Studie, sagte ein Sprecher "Zeit Online" . Schließlich sei Racial Profiling ja nicht erlaubt. Nicht erlaubt sind allerdings auch andere Dinge, es gibt sie aber trotzdem - genau dafür existiert ja beispielsweise die Polizei. Die Abbestellung der Studie klingt deshalb eher nach einem Fall von Nichtwissenwollen - und bestätigt damit die Kritiker.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Feuer in Atomanlage in Iran: Am Donnerstag brannte es in der Atomanlage in Natanz. Es war von geringen Schäden die Rede. Doch die fallen nun offenbar größer aus als zunächst behauptet. Die Herstellung von Zentrifugen könnte beeinträchtigt sein.
Achtjährige in Atlanta erschossen: Unbekannte haben das Feuer eröffnet, als ein Auto auf einen Parkplatz in Atlanta fahren wollte. Ein Kind kam ums Leben. Die Bürgermeisterin der Stadt wandte sich mit emotionalen Worten an die Öffentlichkeit.
Mutmaßliche Drogenhändler landen auf Landstraße in Mexiko - und zünden Privatjet an: Drogen im Wert von mehr als vier Millionen Euro transportierte offenbar ein Privatjet über Mexiko. Als die Luftwaffe die Verfolgung aufnahm, landete das Flugzeug kurzerhand auf einer Straße.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!
Herzlich,
Mathieu von Rohr