
Die Lage am Morgen Wie Olaf Scholz blockiert und Deutschlands Partner verprellt

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um Berlins Blockade bei den Leopard-Lieferungen an die Ukraine – und den Ärger in Washington und anderen Partnerländern. Außerdem geht es um den Streit über die Ukrainepolitik in der Ampel und um ein Geschenk Macrons an Scholz.
Ärger im Bündnis und in der Koalition nach dem Nullentscheid von Ramstein
»Wir handeln nur eng abgestimmt«, so sagte es Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag wieder in Paris. Das war seine Antwort auf die Frage eines Journalisten, wann er anderen Ländern erlauben werde, ihre deutschen Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern.

Scholz im November vor einem Leopard-2-Panzer auf dem Truppenübungsplatz Bergen
Foto: Björn Trotzki / IMAGODiese Geschichte, die Scholz seit Monaten gern erzählt, fällt allerdings gerade mit Getöse in sich zusammen. Sie lautete, Deutschland unternehme in Sachen Waffenlieferungen »keine Alleingänge« und handle stets in enger Abstimmung mit den Verbündeten, insbesondere mit Joe Biden. Doch im Moment erscheint die Bundesregierung vielmehr als Hindernis, das die Lieferung deutscher Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 an die Ukraine blockiert. Trotz des Unmuts vieler Verbündeter. Und entsprechend steigt jetzt auch der Unmut innerhalb der Ampelkoalition.
Am Freitag kam in Ramstein, beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe, ein Nullergebnis heraus. Kaum jemand erwartete, dass die Bundesregierung selbst als Erstes die Lieferung von Panzern ankündigen würde. Aber am Ende gab es noch nicht einmal eine deutsche Zustimmung zur Lieferung der Leoparden durch andere Nationen. Entsprechend verstimmt sind viele Partner im westlichen Bündnis.
Warum verprellt Scholz Deutschlands Partner?
Der polnische Premier Mateusz Morawiecki droht bereits offen, deutsche Panzer auch ohne deutsche Zustimmung zu liefern. Die Außenminister der baltischen Staaten veröffentlichten einen Appell an Scholz, die Leoparden freizugeben.
Und während der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin in Ramstein die Deutschen öffentlich als gute Verbündete bezeichnete, berichtete am Sonntag die »Süddeutsche Zeitung« mit Berufung auf amerikanische Quellen: Die USA seien wütend auf Scholz, weil er den Export der Leopard-2-Panzer verweigere und Washington unter Druck setze, eigene Panzer zu liefern. Austin habe sich in Berlin mit Scholz' engstem Berater Wolfgang Schmidt gar ein Wortgefecht geliefert. Das Kanzleramt dementiert zwar, dass das Treffen so abgelaufen sei. Doch der Eindruck hat sich festgesetzt, dass die Deutschen den anderen westlichen Nationen vor allem im Weg stehen.
Das liegt sicher auch daran, dass der Bundeskanzler seiner Strategie treu bleibt, sich nur äußerst schmallippig in den immer gleichen Worten zu erklären. Irgendwann klingen sie dann hohl.

Lächeln für die Kameras: Bundesverteidigungsminister Pistorius, US-Verteidigungsminister Austin, ukrainischer Verteidigungsminister Reznikow
Foto: Ronald Wittek / EPAGleich zwei große amerikanische Medien haben dieses Wochenende ihren Lesern erklärt, warum Scholz beim Leopard so zögert: Es gehe um die deutsche Geschichte, die zentrale Bedeutung des Begriffs »Frieden« in der deutschen Politik der vergangenen Jahrzehnte, so könnte man die beiden Texte in der »New York Times« und im »Wall Street Journal« zusammenfassen. Weil Deutschland keinen eigenen nuklearen Abwehrschirm habe, setze es so sehr auf amerikanisches Vorangehen, auch in der Panzerfrage, so das »WSJ«. In der »New York Times« sagte der britische Historiker Timothy Garton Ash: »Die deutsche Position ist äußerst verwirrt, weil das alte Denken tot ist, ein Neues aber noch nicht entstanden ist.«
Zur Verwirrung trug gestern Außenministerin Annalena Baerbock bei, die bei einem TV-Interview mit dem französischen Sender LCI sagte : Wenn Polen Leoparden senden wolle, werde Deutschland sich nicht dagegenstellen.
Tatsache ist, dass Scholz viele Partner Deutschlands verprellt hat – nicht nur in den USA und im Osten Europas, sondern auch in Paris. Trotz der gestrigen Feierlichkeiten zum Élysée-Vertrag war das deutsch-französische Verhältnis lange nicht mehr so unterkühlt wie heute . Macron schenkte Scholz am Sonntag den Band »The French« des britischen Soziologen Theodore Zeldin: »Man kann eine Person nur verstehen, wenn man weiß, wie weit man gehen kann, ohne sie zu verletzen«, steht auf dem Cover. Man kann das als Wink verstehen. Lesen Sie hier mehr über den großen Gipfel zum Élysée-Vertrag:
60 Jahre Élysée-Vertrag: Ein Fest im Schatten des Panzers
Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
Die jüngsten Entwicklungen: Luftwaffe verlegt Patriot-Raketen nach Polen. Norwegen meldet 180.000 tote und verletzte Russen. Moskau will auf See Stärke demonstrieren – an der Seite Südafrikas und Chinas. Der Überblick.
»Die Ukraine und Europa werden diesen Krieg gewinnen – mit oder ohne Deutschland«: Nach der Ramstein-Konferenz beharren Polen, Balten und Briten weiter auf Leopard-Lieferungen. Besonders Mateusz Morawiecki legt im Streit mit Olaf Scholz nach.
Baerbock stellt klar: Deutschland würde Leopard-Lieferungen anderer Länder nicht blockieren: Außenministerin Baerbock versichert in Paris, Deutschland werde einer Panzerlieferung durch andere Länder nicht im Wege stehen. Damit folgt sie dem Kurs von Robert Habeck.
Macron schließt Lieferung von Leclerc-Kampfpanzern nicht aus: Hilft auch Frankreich der Ukraine mit Kampfpanzern? Laut Emmanuel Macron ist das durchaus möglich. Zugleich nannte der französische Präsident Bedingungen für eine mögliche Lieferung.
Selenskyj kündigt hartes Vorgehen gegen Korruption in seinem Kabinett an: Ein Minister entlassen, ein weiterer soll angehört werden: Präsident Selenskyj äußert sich zu den Korruptionsskandalen in seiner Regierung. Er kündigt Aufklärung an und dankt den Journalisten, die die Fälle öffentlich gemacht haben.
Der Streit in der Ampelkoalition über Scholz' Panzer-Politik
In der Ampelkoalition ist inzwischen offener Streit über Scholz' Panzer-Politik ausgebrochen: Abgeordnete von FDP und Grünen liefern sich erbitterte Twitter-Gefechte mit ihren Koalitionspartnern von der SPD. So warf FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor, er sei »das Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik« und er sei »nicht mehr in der Lage, sein Weltbild der Realität anzupassen«. Mützenich hatte zuvor Strack-Zimmermann kritisiert, sie rede »uns in eine militärische Auseinandersetzung hinein«, weil sie am Freitagabend in einem TV-Interview über die Regierung, der ihre Partei angehört, gesagt hatte: »Deutschland hat leider gerade versagt.«

SPD-Fraktionschef Mützenich
Foto: IMAGO/Christian SpickerWeil die Ukrainepolitik weitgehend im Alleingang im Kanzleramt gemacht wird, bleibt den Koalitionspartnern aus FDP und Grünen offenbar nur die öffentliche Kritik – was wiederum SPD-Abgeordnete empört. Der SPD-Abgeordnete Michael Roth, der inhaltlich eher Strack-Zimmermann zuneigt, versuchte schließlich das öffentliche Gezänk zu beenden, indem er schrieb: »Hey Leute, unser Gegner heißt Putin!« Doch das ist, was die Regierungskoalition angeht, mittlerweile nur noch die halbe Wahrheit. Die Gräben reichen tief.
Koalitionszoff über Waffenlieferungen: »Hey Leute, unser Gegner heißt Putin!«
Was ist gefährlicher: Panzerlieferungen oder Putins Sieg?
Am Ende läuft die Leopard-Debatte auf die Frage hinaus, wo das größere Risiko vermutet wird: Droht eine wie auch immer geartete »Eskalation« durch die Lieferung von Kampfpanzern – weil die nach der Lieferung von Schützenpanzern und Flakpanzern eine neue Qualität haben könnten? Oder liegt das viel größere Eskalationsrisiko nicht in einer ukrainischen Niederlage, nach der Putin mehr denn je aufrüsten und sein imperiales Projekt gegen den Westen an neuen Fronten vollenden könnte? Im Baltikum, in Moldau, in Polen?

Demonstration von Ukrainern in München
Foto: IMAGO / IMAGO/Wolfgang Maria WeberIch gehöre zu jenen, die das zweite Szenario für eindeutig riskanter halten. Die Zukunft und Sicherheit Europas ist in höchster Gefahr, wenn Putin in der Ukraine Erfolg haben sollte. Daran lassen seine Taten und Worte keinen Zweifel. Frieden schafft man deshalb am ehesten dann, wenn man die Ukraine befähigt, Russland militärisch standzuhalten.
Wenn die Ukraine gegen Russland in der erwarteten Frühjahrsoffensive bestehen soll, muss sie moderne westliche Waffen und Kampfpanzer erhalten. Um Leoparden zu liefern und die Truppen auszubilden, bleibt deshalb kaum mehr Zeit.
Deshalb ist die Berliner Verzögerungstaktik auch so problematisch. Viele Erklärungen sind jedenfalls unglaubwürdig: Warum erzählt Verteidigungsminister Boris Pistorius am Freitag, man wolle nun erst mal nachschauen, was man an Leoparden so im Bestand habe – wenn eine solche Liste laut meinem Kollegen Matthias Gebauer längst existiert?
Waffenhilfe für die Ukraine: Diese Leopard-Panzer könnte die Bundeswehr abgeben
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Verlierer des Tages…

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Ihr Mathieu von Rohr, Leiter des SPIEGEL-Auslandsressorts