Putins Angriffskrieg Ukraine bereitet sich auf neuen Vorstoß Russlands vor, eine gelbe Küche wird zum Sinnbild des Krieges

Foto des zerstörten Plattenbaus in Dnipro, samt fast intakter Küche in der Wohnung des bekannten Boxtrainers Mykhail Korenovskij und seiner Familie
Foto: Yan Dobronosov / REUTERSWas in den vergangenen Stunden geschah
Nach dem russischen Raketenangriff auf die Stadt Dnipro in der Ukraine mit mindestens 40 Todesopfern haben Unbekannte in Moskau Blumen an einem Denkmal niedergelegt. »In Moskau haben Menschen Blumen und Spielzeuge im Andenken an die Toten von Dnipro gebracht«, berichtete das oppositionelle Internetportal Astra. Das Denkmal im Zentrum der russischen Hauptstadt erinnert an die ukrainische Dichterin Lessja Ukrajinka. Dort war auch ein gerahmtes Foto des zerstörten Wohnhauses in Dnipro zu sehen.
Bei dem Angriff auf den neunstöckigen Plattenbau in Dnipro sollen am Samstag 72 Wohnungen zerstört worden sein, darunter auch die des bekannten Boxtrainers Mykhail Korenovskij und seiner Familie. Ein Foto davon wird derzeit in den sozialen Netzwerken und Medien weltweit geteilt: Die Fassade des Gebäudes fehlt – und gibt den Blick frei auf die quietschgelbe, weitestgehend intakte Küche. Auf dem Esstisch steht eine Obstschale mit Äpfeln, in der Spüle stapelt sich das Geschirr, an der Wand hängen Topflappen. Es ist eine alltägliche, banale Szene – wäre da nicht die massive Zerstörung im Umfeld.
Shock at image of Ukrainian apartment wrecked by Russian missile strike https://t.co/OxRNzWVCzE
— BBC News (World) (@BBCWorld) January 16, 2023
Berichten zufolge starb Korenovskij bei der Attacke. Seine Frau und die zwei gemeinsamen Kinder hätten das Haus kurz zuvor für einen Spaziergang verlassen und überlebt, meldete unter anderem die »New York Times« . Die Zeitung beruft sich dabei auf Angaben von einer Frau, die eine Unterkunft für Überlebende des Angriffs betreibt.
Nachdem das Foto der gelben Küche viral gegangen war, tauchte in den sozialen Netzwerken noch ein Video auf , das offenbar in derselben Küche aufgenommen wurde. Es zeigt die Geburtstagsfeier eines kleinen Mädchens, das strahlend vier Kerzen auf ihrem Kuchen auspustet. Laut BBC handelt es sich dabei wohl um die Familie von Korenovskij.
Das sagt Kiew
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angesichts des russischen Raketenangriffs auf Dnipro schwere Waffen aus dem Westen gefordert – und Großbritannien gelobt. »Ein neues Verteidigungshilfepaket wurde angekündigt... genau das, was benötigt wird: Kampfpanzer, andere gepanzerte Fahrzeuge und Artillerie«, sagte der 44-Jährige am Montagabend in seiner täglichen Videoansprache .
An den britischen Premier Rishi Sunak gerichtet, sagte Selenskyj: »Ich danke dir, Rishi, ich danke jedem Briten für die konkrete und rechtzeitige Unterstützung.«
Selenskyj mahnte zudem den Westen zu Eile bei der Lieferung der gewünschten Panzer. Russlands Angriff auf Dnipro und dessen neue Versuche, im Krieg die Initiative zu ergreifen, erforderten »neue Lösungen« und schnellere Entscheidungen.
Der Präsident verwies zudem auf starke russische Truppenkonzentrationen im Donbass, speziell um die Städte Bachmut und Soledar, aber auch im Süden der Ukraine. »Wir sehen, was Russland hier vorbereitet.«
Nach Angaben des Generalstabs der ukrainischen Armee stehen rund 25 Städte und Dörfer in der Umgebung von Bachmut und Awdijiwka im Donbass unter russischem Artilleriebeschuss. Zudem setze Russland den Beschuss von über 30 Siedlungen in den nordöstlichen Gebieten Charkiw und Sumy nahe der russischen Grenze fort.
Auch im Süden würden mehrere Städte mit Mörser- und Artilleriebeschuss angegriffen, darunter die Regionalhauptstadt Cherson. Die Berichte konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Nicht nur Selenskyj forderte schnellere Waffenlieferungen des Westens; auch der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats, Oleski Danilow, rief dazu auf. Die Ukraine rechne mit einem »letzten Vorstoß Russlands« am Jahrestag der Invasion am 24. Februar oder im März, sagte er im ukrainischen Fernsehen. Daher müssten die Waffenlieferungen des Westens beschleunigt werden. »Wir müssen uns jeden Tag auf solche Ereignisse vorbereiten. Und wir bereiten uns vor. Die erste und letzte Frage ist immer die nach Waffen, nach Hilfe, um diesen Aggressor, der in unser Land eingedrungen ist, zu besiegen.«
Internationale Reaktionen
US-Generalstabschef Mark Milley hat am Montag ukrainische Soldaten auf ihrem Truppenübungsplatz in Deutschland besucht. Rund 600 ukrainische Soldaten werden seit Sonntag im bayerischen Grafenwöhr ausgebildet. Das Training soll fünf Wochen dauern und die ukrainischen Truppen laut Milley darauf vorbereiten, eine Offensive zu starten oder einem Anstieg russischer Angriffe entgegenzuwirken.
Milley verbrachte knapp zwei Stunden im »Camp Cherson«. Es ist nach der ukrainischen Stadt benannt, aus der die Russen im vergangenen November vertrieben werden konnten . In Grafenwöhr und im benachbarten Vilseck hat die US-Armee gut 12.500 Soldatinnen und Soldaten stationiert. Es ist einer der größten Standorte der US-Army in Europa.

US-Generalstabschef Mark Milley (M.) am Montag in Grafenwöhr
Foto:Staff Sgt. Jordan Sivayavirojna / AP
Die Veranstalter der Australian Open haben russische und belarussische Flaggen vom Turniergelände verbannt. Der ukrainische Botschafter des Landes, Vasyl Myroshnychenko, hatte dies gefordert, nachdem bei der Erstrundenpartie zwischen seiner Landsfrau Kateryna Baindl und der Russin Kamilla Rachimowa eine russische Flagge störend am Spielfeldrand platziert worden war.
I strongly condemn the public display of the Russian flag during the game of the Ukrainian tennis player Kateryna Baindl at the Australian Open today. I call on Tennis Australia to immediately enforce its “neutral flag” policy. @TennisAustralia @AustralianOpen pic.twitter.com/zw8pLN4FIF
— Vasyl Myroshnychenko (@AmbVasyl) January 16, 2023
»Flaggen aus Russland und Belarus sind bei den Australian Open vor Ort verboten«, teilte Tennis Australia in einer Erklärung am Dienstag mit: »Unsere anfängliche Politik war, dass die Fans sie zwar mitbringen, damit aber keine Störungen verursachen dürfen.« Dazu war es nun aber gekommen.
Wirtschaftliche Konsequenzen
Nach Einschätzung von Wirtschaftsminister Robert Habeck sind auch im Falle einer Knappheit keine europäischen Verteilkämpfe zur Strom- und Gasversorgung zu befürchten. Diese Fragen seien politisch bereits gelöst worden, sagte der Grünenpolitiker am Montag am Rand der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos. Es gebe Regeln, wie eingespart werde und wer wem im Notfall helfe. Deshalb gebe es »keine Verteidigungskämpfe, sondern eine Logik der Solidarität«.
Aktuell sieht Habeck allerdings auch keine Gefahr einer Knappheit. »Die Energiekrise ist handhabbar geworden«, sagte er. Die Gasspeicher in Deutschland und Europa seien zu 90 Prozent gefüllt – für einen Januar sei das ein guter Wert.
Habeck traf sich in Davos unter anderem mit dem Energieminister der Schweiz, Albert Rösti. Im Anschluss erklärte die Regierung in Bern , Deutschland und die Schweiz hielten ein bilaterales Gas-Solidaritätsabkommen für nicht notwendig. Beide Seiten wollten vielmehr einen »pragmatischen« Ansatz wählen, um eventuellen Versorgungsprobleme der Schweiz zu begegnen.
Die Schweiz hat wenig Möglichkeiten der Gasspeicherung und ist sehr von den Nachbarländern abhängig.
Was heute passiert
Geprägt von den Folgen des russischen Angriffskriegs beginnt heute die Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos. Zum Auftakt wollen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (11.15 Uhr) und der chinesische Vizepremier Liu He (11.45 Uhr) sprechen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unterhält sich heute ab 15 Uhr per Internet mit Studierenden aus Frankfurt (Oder) und Berlin. Für den digitalen Austausch sind eineinhalb Stunden vorgesehen. Die Studenten und Studentinnen treffen sich im Audimax der Europauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder) und in der Humboldt-Universität in Berlin. In Berlin sind Studenten aller Universitäten der Hauptstadt eingeladen.