Krieg in der Ukraine Luftalarm in Kiew, Selenskyj verlangt von seinen Truppen mehr russische Kriegsgefangene

Das ukrainische Militär soll mehr Gefangene nehmen – so will es Präsident Selenskyj. In Norwegen sind vier Russen wegen verdächtiger Fotos festgesetzt worden. Wieder Drohnen über Kiew. Das geschah in der Nacht.
Kampfdrohne am Himmel über Kiew (am 17. Oktober)

Kampfdrohne am Himmel über Kiew (am 17. Oktober)

Foto:

YASUYOSHI CHIBA / AFP

Was in den vergangenen Stunden geschah

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist am Montagabend zum vierten Mal an einem Tag Luftalarm ausgelöst worden. Um die Millionenstadt war nach Behördenangaben die Luftabwehr im Einsatz, um anfliegende Drohnen der russischen Streitkräfte abzufangen. Ein Abschuss einer solchen Drohne wurde aus dem Ort Browary am östlichen Stadtrand gemeldet. Bei Drohnenangriffen auf Kiew waren am Morgen vier Menschen getötet worden.

Abends gab es Luftalarm auch über den südlichen Gebieten Mykolajiw und Odessa. In Odessa waren demnach Explosionen zu hören. Im zentralukrainischen Gebiet Dnipropetrowsk wurde nach Behördenangaben am Tag ein Objekt der Energieversorgung getroffen. »Es brach ein Brand aus, die Schäden sind groß«, schrieb Gouverneur Mykola Lukaschuk auf Telegram.

In Norwegen sind erneut vier Russen festgenommen worden, die unerlaubt Fotos von verschiedenen Objekten gemacht hatten. Die drei Männer und eine Frau seien am vergangenen Donnerstag im Norden Norwegens festgenommen worden, teilte die Polizei am Montag mit. Sie seien in einem Wagen mit russischem Kennzeichen unterwegs gewesen.

Bei ihnen sei umfangreiches Fotomaterial beschlagnahmt worden, sagte der Polizeibeamte Gaute Rydmark dem Sender TV2. Die vier Russen hätten aber bestritten, etwas Verbotenes getan zu haben, und sich stattdessen als einfache Touristen ausgegeben.

Bereits in der vergangenen Woche waren in Norwegen bei unterschiedlichen Vorfällen zwei Russen festgenommen worden, die Drohnen eingesetzt und teils Fotos von Bell-Hubschraubern des norwegischen Militärs gemacht hatten (mehr dazu lesen Sie hier ).

Das sagt Kiew

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Soldaten seines Landes aufgerufen, mehr russische Soldaten gefangen zu nehmen. Diese könnten dann gegen ukrainische Gefangene auf russischer Seite ausgetauscht werden. »Je mehr russische Häftlinge wir haben, desto schneller können wir unsere Helden befreien«, sagt Selenskyj. »Jeder ukrainische Soldat und jeder Kommandeur an der Front sollte daran denken.«

Wolodymyr Selenskyj

Wolodymyr Selenskyj

Foto: IMAGO/Ukrainian Presidential Press Off / IMAGO/ZUMA Wire

Angesichts der gehäuften russischen Luftangriffe bat Selenskyj die Staatengemeinschaft um mehr und bessere Waffen zur Luftabwehr. »Wenn wir über Luftabwehr reden, dann reden wir über reale Menschenleben«, sagte er. »Das ist nicht nur im Interesse der Ukraine. Je geringer die terroristischen Möglichkeiten Russlands sind, desto schneller endet dieser Krieg.« Die russischen Streitkräfte griffen am Montag vor allem mit Kampfdrohnen iranischer Bauart an. Die Ukraine habe seit Sonntagabend 37 solcher Drohnen und mehrere Marschflugkörper abgefangen, sagte Selenskyj.

Für die ukrainische Präsidentengattin Olena Selenska war immer klar, dass ihr Mann Wolodymyr in dem russischen Angriffskrieg auf seinem Posten bleibt. »Ich wusste von Anfang an, dass er Kiew nicht verlassen wird«, sagte Selenska der »Bild«-Zeitung: »Wenn ein Land im Krieg ohne Führung bleibt, dann wird es erschüttert.«

Olena Selenska (im September in Straßburg)

Olena Selenska (im September in Straßburg)

Foto: Philipp von Ditfurth / dpa

Selenskyj hatte trotz wohlgemeinter Ratschläge seine Hauptstadt nach Kriegsbeginn am 24. Februar nicht verlassen. Damals wie heute trachteten russische Spezialkräfte ihm nach dem Leben, sagte Selenska. »Ich versuche, nicht darüber nachzudenken.« Sie selbst sehe ihren Mann »manchmal bei der Arbeit im Büro«. Aber die Familie sei »im Alltag getrennt«. Auch Tochter Oleksandra (18) und Sohn Kyrylo (9) sähen ihren Vater nur selten. Mehr dazu erfahren Sie hier.

Das sagt Moskau

Die russische Hauptstadt hat nach Behördenangaben die Ziele der von Präsident Wladimir Putin angeordneten Teilmobilmachung erreicht und die Einberufungen beendet. Das teilte der Militärkommissar der Stadt, Maxim Loktjew, russischen Agenturen zufolge mit. Er machte keine Angaben darüber, wie viele Männer in Moskau seit dem 21. September eingezogen wurden. Freiwillige könnten sich weiter zum Dienst in der Armee melden.

Beim Absturz eines russischen Kampfjets über der russischen Stadt Jejsk am Asowschen Meer hat es am Montag Tote und Verletzte gegeben. Der Kampfbomber vom Typ Suchoj Su-34 fiel kurz nach dem Start direkt neben ein achtstöckiges Wohnhaus, das zum Teil in Brand gesetzt wurde. 72 Wohnungen wurden dabei beschädigt. Nach Angaben der russischen Behörden vom Dienstagmorgen starben mindestens 13 Menschen bei dem Vorfall. 19 weitere Personen seien verletzt worden. Zuvor war von mindestens sechs Todesopfern die Rede gewesen.

Absturzstelle in Jejsk

Absturzstelle in Jejsk

Foto: Uncredited / dpa

Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte den Absturz. Beim Start von einem nahen Fliegerhorst habe eines von zwei Triebwerken Feuer gefangen, hieß es. Die zwei Personen aus dem Cockpit hätten sich mit Fallschirmen gerettet.

Für einen gemeinsamen Militärverbund von Belarus und Russland sollen nach Angaben von Minsk bis zu 9000 russische Soldaten und rund 170 Panzer in Belarus stationiert werden. Neben dieser »Gesamtzahl« russischer Soldaten werde Russland auch »etwa 170 Panzer, bis zu 200 gepanzerte Fahrzeuge und bis zu 100 Waffen und Mörser mit einem Kaliber über 100 Millimeter« nach Belarus entsenden, teilte der Berater des belarussischen Verteidigungsministeriums für internationale militärische Zusammenarbeit, Valeri Rewenko, auf Telegram mit.

Die russischen Einheiten werden demnach auf vier Truppenübungsplätzen im Osten und im Zentrum des Landes stationiert. Dort würden sie an Übungen teilnehmen, die vor allem »Gefechtsschießen und Luftabwehr« beinhalteten, erklärte Rewenko.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte in der vergangenen Woche die Aufstellung eines gemeinsamen Militärverbundes mit Russland bekannt gegeben. Die Aussage hatte Befürchtungen ausgelöst, belarussische Soldaten könnten gemeinsam mit der russischen Armee im Osten der Ukraine eingesetzt werden.

Humanitäre Lage

Russland und die Ukraine haben einen der bisher größten Gefangenenaustausche seit Kriegsbeginn durchgeführt. Insgesamt seien 218 Gefangene ausgetauscht worden, darunter 108 ukrainische Frauen, teilen Behörden beider Seiten mit. Einige der Frauen waren nach ukrainischen Angaben seit 2019 inhaftiert, nachdem sie von russlandtreuen Kräften in östlichen Regionen der Ukraine festgenommen worden waren. Russland hatte angekündigt, die Ukraine werde 80 zivile Seeleute und 30 Militärangehörige freilassen.

Internationale Reaktionen

Die USA haben die jüngsten Angriffe Russlands auf die ukrainische Hauptstadt Kiew und an anderen Orten in der Ukraine scharf verurteilt. Sie demonstrierten aufs Neue die Brutalität des russischen Präsidenten, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre. »Wir werden das ukrainische Volk weiterhin unterstützen und dafür sorgen, dass es das hat, was es braucht, um seinen mutigen Kampf fortzusetzen«, sagte sie. Am Freitag hatten die USA neue Militärhilfe mit einem Volumen von bis zu 725 Millionen Dollar (745,6 Millionen Euro) angekündigt.

Die USA werfen Iran vor, Russland Drohnen zu liefern, die bei den jüngsten Attacken zum Einsatz kamen. Jean-Pierre wiederholte am Montag, dass es »umfangreiche Beweise« für den Einsatz von Waffen aus Iran durch Russland gegen militärische und zivile Ziele gebe.

Außenministerin Annalena Baerbock hat sich für den Fall iranischer Drohnenlieferungen an Russland für weitere Sanktionen gegen die Islamische Republik ausgesprochen. Sie habe am Montag bereits im Europäischen Rat angekündigt, »dass aus meiner Sicht auch mit Blick auf diese Drohnenlieferung aus Iran nach Russland eben ein weiteres Sanktionspaket gegenüber dem iranischen Regime folgen muss«, sagte die Grünenpolitikerin im ZDF-»heute journal«. Baerbock sagte aber auch, dass für ein weiteres Sanktionspaket Klarheit über die Herkunft der von Russland eingesetzten Drohnen herrschen müsse. »Es muss alles natürlich rechtlich sauber sein.«

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Baerbock machte im ZDF deutlich, dass für sie klar sei, woher die Drohnen für die jüngsten Attacken auf die Ukraine kämen. »Die Kamikazedrohnen, die da abgeschossen worden sind und die ja auch in Kiew eingeschlagen sind, da ist doch sehr, sehr deutlich, woher sie kommen«, sagte sie.

Was heute passiert

  • Die Europäische Kommission stellt am Nachmittag Regeln für gemeinsame Gaseinkäufe der EU vor. Das Vorhaben ist Teil eines neuen Pakets im Kampf gegen die hohen Energiepreise. Ziel ist, dass die EU durch ihre geballte Marktmacht niedrigere Preise aushandeln kann. Laut einem Entwurf sollen Gasunternehmen ihre Nachfrage für mindestens 15 Prozent der vorgeschriebenen Speicherkapazität bündeln. Über diese Menge würde dann zentral mit Gaslieferanten verhandelt.

jok/Reuters/dpa
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