Russischer Angriffskrieg Selenskyj spricht von »historischer Konfrontation«, Belarus stellt Armee aus Freiwilligen auf

Ukrainischer Soldat (in der Region Donezk am 17. Februar)
Foto: OLEG PETRASYUK / EPADas sagt Kiew
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich kurz vor dem ersten Jahrestag des russischen Einmarsches in sein Land siegesgewiss gezeigt. Die Ukraine werde diese »historische Konfrontation« gewinnen, sagte Selenskyj am Montagabend in seiner täglichen Videoansprache. »Der Aggressorstaat, der sich immer mehr zu einem Terrorstaat entwickelt, wird für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.« Die gesamte freie Welt helfe Kiew, die Freiheit, Unabhängigkeit und internationale Rechtsordnung zu verteidigen, sagte er weiter.

Wolodymyr Selenskyj
Foto: President Of Ukraine / dpa»Gerade jetzt und in der Ukraine entscheidet sich das Schicksal einer Weltordnung, die auf Regeln, Menschlichkeit und Berechenbarkeit beruht«, so Selenskyj. »Wir müssen alles tun, um der russischen Aggression in diesem Jahr ein Ende zu setzen, unsere noch besetzten Gebiete zu befreien und unserem Land und allen Völkern Europas, die in Freiheit und Frieden leben wollen, verlässliche Sicherheit zu garantieren«, sagte er. Die konkreten Schritte dorthin seien bekannt. »Alles, was wir brauchen, ist Entschlossenheit.«
Am Montag war US-Präsident Joe Biden zu Gast in Kiew gewesen – »in unserer freien Hauptstadt unseres freien Landes«, sagte Selenskyj. Dies sei ein Zeichen dafür, wie widerstandsfähig die Ukraine sei.
Das sagt Moskau
Russland hat Schweden aufgefordert, Ergebnisse der laufenden Untersuchung der Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines offenzulegen. »Seit den Sabotageakten an den Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sind fast fünf Monate vergangen. Die ganze Zeit über haben die schwedischen Behörden jedoch wie bestellt geschwiegen«, schrieb die russische Botschaft in Schweden auf der Nachrichtenplattform Telegram. »Wovor hat die schwedische Führung solche Angst?«
Der Uno-Sicherheitsrat wird sich am Dienstag auf Drängen Russlands mit einem möglichen Sabotageakt an den beiden Doppelröhren befassen. Eine Abstimmung über eine Untersuchung werde bis Ende der Woche erfolgen, teilte der stellvertretende russische Uno-Botschafter, Dmitrij Poljanski, auf Telegram mit.
Waffenlieferungen an die Ukraine
Laut einer Analyse des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hat die Ukraine mindestens ein Viertel der zugesagten schweren Waffen vom Westen noch nicht erhalten. »Die Geberländer haben bisher zwischen 65 und 75 Prozent der zugesagten schweren Waffen an die Ukraine geliefert«, sagte IfW-Experte André Frank dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Noch größer sei der Verzug bei den Finanzhilfen der beiden größten Geldgeber USA und EU. »Bisher wurden nur etwa die Hälfte ihrer Zusagen ausgezahlt.«
Deutschland gebe vor allem Geld zur Linderung der eigenen Kriegsfolgen aus. »Kein Land in Europa hat so viel Geld für die Linderung der eigenen Kriegsfolgen ausgegeben wie Deutschland – in absoluten Zahlen und auch gemessen am BIP«, sagte Frank dem RND. Deutschland gebe dafür mehr als doppelt so viel aus wie beispielsweise Großbritannien, Italien, Frankreich oder Spanien. Allerdings verplanten laut IfW alle Länder mehr Geld für die Linderung der Kriegsfolgen für die eigene Bevölkerung, als sie für Hilfen an die Ukraine veranschlagten.
Die Ukraine hofft auf Milliardenhilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF). »Wir streben ein neues mehrjähriges Unterstützungsprogramms im Volumen von über 15 Milliarden Dollar an«, schrieb Ministerpräsident Denys Schmyhal auf Telegram nach Gesprächen mit IWF-Chefin Kristalina Georgiewa in Kiew. Ein auf dem Telegram-Account von Präsident Selenskyj veröffentlichtes Video zeigt Georgiewa bei einem Treffen mit ihm und anderen hochrangigen Vertretern der Ukraine.
Internationale Reaktionen
China ist laut Außenminister Qin Gang »zutiefst besorgt« über den Konflikt in der Ukraine. Dieser »verschärft« sich und »gerät sogar außer Kontrolle«, sagte er am Dienstag in einer Rede zur globalen Sicherheit. Peking werde »mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um den Dialog und die Konsultation zu fördern, auf die Bedenken aller Parteien einzugehen und um nach gemeinsamer Sicherheit zu streben«, so Qin.
Peking werde »weiterhin Friedensgespräche fördern«, hieß es. »Gleichzeitig fordern wir die betroffenen Länder auf, so schnell wie möglich aufzuhören, Öl ins Feuer zu gießen.« Zudem solle »die Schuld nicht mehr auf China« geschoben werden. US-Außenminister Antony Blinken hatte am Sonntag gesagt, China erwäge möglicherweise Waffenlieferungen an Russland.
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko stockt mit der Anordnung einer neuen freiwilligen Territorialverteidigung seine Streitkräfte auf. Die »Erfahrungen in der Ukraine« würden eine zusätzliche Verteidigung erforderlich machen, erklärte Lukaschenko auf der Sitzung seines Sicherheitsrates. »Die Situation ist nicht einfach. Ich habe mehr als einmal gesagt: Jeder Mann – und nicht nur ein Mann – sollte mit Waffen umgehen können, um zumindest im Bedarfsfall seine Familie, sein Haus, sein eigenes Stück Land und – wenn nötig – sein Land zu schützen.«

Belarussischer Präsident Alexander Lukaschenko (l.) mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (am 17. Februar)
Foto: Vladimir Astapkovich / APLaut Verteidigungsminister Viktor Chrenin soll die paramilitärische Formation aus 100.000 bis 150.000 Freiwilligen bestehen und im Idealfall in jedem Dorf und jeder Stadt zu finden sein. Die Berufsarmee des Landes umfasst der Militärbilanz des Internationalen Instituts für Strategische Studien zufolge etwa 48.000 Soldaten und etwa 12.000 staatliche Grenztruppen.
Wirtschaftliche Konsequenzen
Der Krieg in der Ukraine hat die Weltwirtschaft nach einer noch unveröffentlichten Studie im vergangenen Jahr über 1600 Milliarden US-Dollar gekostet, berichtet die »Rheinische Post« aus einer Untersuchung des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). »Gemäß einer IW-Schätzung dürfte die weltweite Wirtschaftsleistung im Jahr 2022 um deutlich über 1600 Milliarden US-Dollar niedriger ausgefallen sein, als es ohne die russische Invasion in der Ukraine der Fall gewesen wäre«, zitiert das Blatt Studienautor Michael Grömling. Der Krieg habe weltweit zu Liefer- und Produktionsstörungen geführt, heißt es in der Studie. Zudem seien die Energiepreise in die Höhe geschnellt.
Die Inflation sei überall stark gestiegen und habe die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher reduziert. Angesichts der unsicheren Wirtschaftsperspektiven, steigender Finanzierungskosten und der Verteuerung von Investitionsgütern hielten sich die Unternehmen rund um den Globus mit ihren Investitionen zurück. »Im Jahr 2023 können sich die weltweiten Produktionsausfälle auf nochmals rund tausend Milliarden US-Dollar belaufen.«
Was heute passiert
Nach seiner Reise in die Ukraine besucht US-Präsident Joe Biden das Nachbarland Polen. In der Hauptstadt Warschau plant er nach Angaben des Weißen Hauses unter anderem ein Treffen mit Präsident Andrzej Duda sowie am frühen Abend eine Rede vor dem Warschauer Königsschloss. Am Mittwoch will Biden außerdem mit Vertretern weiterer osteuropäischer Nato-Staaten zusammenkommen.
Der russische Präsident Wladimir Putin hält seine Rede zur Lage der Nation – kurz vor dem Jahrestag des von ihm befohlenen Krieges gegen die Ukraine. Die Föderale Versammlung – die Staatsduma und der Föderationsrat – tritt dazu in Kremlnähe im Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor zusammen. Putin wird nach Kremlangaben auf den Krieg und die aktuelle Lage in Russland eingehen. Zudem will er sich demnach zur Wirtschaft und auch zur Sozialpolitik äußern.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba wird im Nato-Hauptquartier in Brüssel erwartet. Bündnis-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat ihn und den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zu gemeinsamen Beratungen eingeladen. Wie Kuleba bei Facebook mitteilte, geht es bei dem Treffen um weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Daneben soll es um die Ausbildung weiterer ukrainischer Soldaten auf EU-Gebiet gehen. Die Mitgliedsländer der Nato und der EU gehören zu den größten Unterstützern der Ukraine.