Russlands Angriffskrieg Kreml droht mit Attacken auf US-Patriot-Systeme, Ukraine berichtet von Kinder-Folterkammer

Schicken die USA ihr Luftabwehrsystem Patriot in die Ukraine, will Moskau es »definitiv« als Ziel für Angriffe betrachten. Und: Laut Kiew haben russische Besatzer in Cherson auch Kinder misshandelt. Die jüngsten Entwicklungen.
Kellergeschoss in einem Gebäude in Cherson, das nach Angaben eines Staatsanwalts für Kriegsverbrechen von russischen Streitkräften als Folterstätte genutzt wurde

Kellergeschoss in einem Gebäude in Cherson, das nach Angaben eines Staatsanwalts für Kriegsverbrechen von russischen Streitkräften als Folterstätte genutzt wurde

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Evgeniy Maloletka / dpa

Was in den vergangenen Stunden geschah

In der kürzlich befreiten Stadt Cherson sind ukrainischen Angaben zufolge auch Kinder misshandelt worden. »Wir haben in der Region Cherson zehn Folterkammern gefunden, vier davon in der Stadt Cherson«, sagte Dmytro Lubinets, der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments. »In einer der Folterkammern fanden wir einen separaten Raum, eine Zelle, in der Kinder festgehalten wurden... selbst die Besatzer nannten sie so, eine Kinderzelle.«

Die Zelle unterscheide sich von den angrenzenden Räumen nur dadurch, dass die Besatzer dünne Matten auf den Boden gelegt hätten. Die Kinder hätten nur unregelmäßig Wasser und praktisch kein Essen bekommen. Zudem sei psychologischer Druck auf sie ausgeübt worden, sagte Lubinets. »Sie sagten ihnen, ihre Eltern hätten sie verlassen und würden nicht zurückkommen.«

Lubinets legte keine Beweise für seine Behauptungen vor. Seine Aussagen konnten nicht unabhängig überprüft werden. Russland bestreitet die Misshandlung von Zivilisten.

DER SPIEGEL

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU hat bei erneuten Razzien wegen möglicher Verbindungen zu Russland in orthodoxen Kirchen und Klöstern »Propagandaschriften« gefunden. Bei den Durchsuchungen religiöser Stätten im ganzen Land habe er »russische Pässe, Propagandaliteratur und Passierscheine« sichergestellt, die von den russischen Besatzungsbehörden ausgestellt worden seien, erklärte der SBU am Mittwoch. Mit den Maßnahmen wolle er »die Bevölkerung vor Provokationen und terroristischen Handlungen schützen«.

SBU-Einsatz in der Sankt-Georgs-Kathedrale in Lwiw

SBU-Einsatz in der Sankt-Georgs-Kathedrale in Lwiw

Foto: Yuriy Dyachyshyn / AFP

Der Inlandsgeheimdienst hatte zuvor »Spionageabwehrmaßnahmen« in mehr als einem dutzend religiöser Stätten in mehreren ukrainischen Regionen angekündigt, darunter Lwiw im Westen, Cherson im Süden und Schitomir im Nordwesten.

Das sagt Kiew

Nach neuen russischen Drohnenangriffen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew setzt Präsident Wolodymyr Selenskyj auf modernere und effektivere Flugabwehrsysteme aus dem Westen. »Diese Woche haben wir einen bedeutenden Fortschritt in der Frage der Flugabwehr gemacht«, sagte er in seiner am Mittwochabend in Kiew verbreiteten Videobotschaft . Details nannte er nicht.

Selenskyj während einer Schalte nach Straßburg: Dort wurde das ukrainische Volk am Mittwoch mit dem renommierten Sacharow-Preis des Europaparlaments ausgezeichnet

Selenskyj während einer Schalte nach Straßburg: Dort wurde das ukrainische Volk am Mittwoch mit dem renommierten Sacharow-Preis des Europaparlaments ausgezeichnet

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Ukraine Presidency / dpa

Die US-Regierung erwägt Medienberichten zufolge eine Lieferung des modernen Patriot-Flugabwehrsystems an die Ukraine. Die Pläne müssten noch von Verteidigungsminister Lloyd Austin genehmigt werden, berichteten mehrere US-Medien unter Berufung auf namentlich nicht genannte Regierungsquellen. Das Patriot-System (»Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target«) würde in der Ukraine für neue Verhältnisse sorgen. Mit seinen Lenkflugkörpern können Flugzeuge, Marschflugkörper, Drohnen oder Raketen auch in größerer Entfernung abgeschossen werden .

Selenskyj berichtete nun auch, dass am Mittwochmorgen 13 russische Drohnen abgeschossen worden seien. »Das bedeutet 13 verschonte Infrastrukturobjekte, das sind gerettete Leben«, sagte er. Die Ukraine baue ihre Luftverteidigung immer weiter aus. »Und wir tun alles, um mehr moderne und effektivere Systeme für die Ukraine zu bekommen.« Ohne Details zu nennen, sagte Selenskyj, dass an Vereinbarungen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Landes gearbeitet werde.

Selenskyj beklagte zudem, dass Russland es nur auf Zerstörung abgesehen habe und alles in Schutt und Asche legen wolle. »Es gibt keine Ruhe an der Front.« Zugleich berichtete der Präsident, dass einmal mehr 64 ukrainische Offiziere und Soldaten aus russischer Gefangenschaft entlassen worden seien.

Das sagt Moskau

Der Kreml hat sich zu den Berichten geäußert, wonach die USA erwägen, das Patriot-System in die Ukraine zu liefern. Sollten die USA die Lieferung genehmigen, würde das System »definitiv« ein legitimes Ziel für russische Angriffe auf die Ukraine sein, erklärte Kremlsprecher Dmitrij Peskow. Er sagte außerdem, dass ein Waffenstillstand während der Weihnachtstage nicht auf der Agenda stehe.

Die russische Botschaft in Washington wertet die Pläne der US-Regierung als Provokation. Dies könne zu unabsehbaren Folgen führen, warnte die Gesandtschaft bei Telegram. »Auch ohne die Bereitstellung von Patriots geraten die Vereinigten Staaten immer tiefer und tiefer in den Konflikt«, hieß es dort weiter. Und: »Es sind die Vereinigten Staaten, die für die Verlängerung und Eskalation des Ukrainekonflikts verantwortlich sind.«

Internationale Reaktionen

Die USA wollen der Ukraine offenbar militärische Präzisionsbauteile zur Verfügung stellen. Das berichtet die »Washington Post« . Mithilfe der speziellen elektronischen Ausrüstung können ungelenkte Raketen in selbst steuernde Flugkörper (»Smart Bombs«) umgerüstet werden und ein hohes Maß an Zielgenauigkeit erreichen. Die Zeitung beruft sich auf mit der Angelegenheit vertraute US-Regierungsbeamte.

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Die Nato-Staaten haben sich angesichts der neuen Sicherheitslage durch Russlands Angriffskrieg auf eine deutliche Erhöhung der Gemeinschaftsausgaben verständigt. Nach Angaben des Bündnisses vom Mittwoch wird das zivile Budget im kommenden Jahr um rund 28 Prozent auf 370,8 Millionen Euro steigen; das Militärbudget um rund 26 Prozent auf 1,96 Milliarden Euro.

Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, nur gemeinsam könne man der rund eine Milliarde Menschen in den Nato-Staaten in einer gefährlicheren Welt Sicherheit bieten.

Nach dem aktuellen Beitragsschlüssel trägt die Bundesrepublik mit den USA derzeit den größten Anteil der Gemeinschaftskosten der Nato. Beide Länder steuern jeweils rund 16,3 Prozent bei – 2021 waren das damit jeweils etwa 400 Millionen Euro. Der Schlüssel wurde zuletzt überarbeitet, um dem früheren US-Präsidenten Donald Trump entgegenzukommen: Damit stieg der deutsche Anteil, und der US-Anteil sank deutlich.

Kanada widerruft eine zeitliche begrenzte Sanktionsausnahme für Siemens-Energy-Turbinen der russischen Gaspipeline Nord Stream 1. »Kanada trifft diese Entscheidung in der Erkenntnis, dass sich die Umstände für die Gewährung der Ausnahmeregelung geändert haben und sie nicht mehr dem beabsichtigten Zweck dient«: Das teilten Außenministerin Melanie Joly und der Minister für natürliche Ressourcen, Jonathan Wilkinson, in einer gemeinsamen Erklärung am Mittwoch mit. Die Entscheidung, die Sanktionen wieder einzuführen, sei in enger Zusammenarbeit mit der Ukraine, Deutschland und anderen europäischen Verbündeten getroffen worden.

Die unter der Ostsee verlaufende Pipeline wurde am 31. August für Reparaturen abgeschaltet, aber anschließend nicht wieder in Betrieb genommen. Im September wurde sowohl Nord Stream 1 als auch die Schwestern-Pipeline Nord Stream 2 durch Explosionen beschädigt. Nach Ansicht europäischer Regierungen waren die Lecks auf Sabotage zurückzuführen. Der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete westliche Behauptungen, Russland stecke hinter den Explosionen, als »verrückt« und gab dem Westen die Schuld.

Kanada hatte wegen der Sanktionen gegen Russland einen direkten Rücktransport der Turbine abgelehnt, aber eine Lieferung nach Deutschland zur anschließenden Weitergabe nach Russland akzeptiert. Russland hatte zuvor seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Pipeline Nord Stream 1 gedrosselt und dies mit der fehlenden Turbine begründet , die in Kanada von Siemens Energy gewartet wurde.

Humanitäre Lage

Die Schulgewerkschaft GEW beklagt, dass Tausende aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche in Deutschland seit Monaten auf einen Schulplatz warten. Länder und Kommunen müssten daher Sofortprogramme auf den Weg bringen und Schulen deutlich besser ausstatten, sagte Gewerkschaftschefin Maike Finnern dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Nur so könnten Kinder und Jugendlichen, die vor dem russischen Angriffskrieg geflüchtet sind, besser integriert werden.

Bis Ende November wurden mehr als 200.000 geflüchtete Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine an deutschen Schulen aufgenommen. Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) drängte auf mehr Personalstellen.

Was heute passiert

  • Auf dem EU-Gipfel in Brüssel beraten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem über Russlands Angriffskrieg, die Energiekrise, die wirtschaftliche Lage sowie über Sicherheits- und Verteidigungspläne. Anders als zunächst geplant soll der Gipfel nur eintägig sein, dürfte dafür aber bis tief in die Nacht zum Freitag gehen.

  • In Genf berichtet der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte dem Menschenrechtsrat zur Lage in der Ukraine.

  • In Berlin werden die Ergebnisse folgender Studie vorgestellt: »Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland – Flucht, Ankunft und Leben«.

aar/dpa/Reuters
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