Russischer Angriffskrieg Selenskyj ehrt die Toten von Bachmut – und warnt vor »freier Bahn« nach Eroberung

Der ukrainische Präsident spricht bei CNN über die Bedeutung der umkämpften Stadt Bachmut. Moskau äußert sich zur Pipeline-Explosion. Und: Belarus arbeitet angeblich an neuer Militärdoktrin. Die jüngsten Entwicklungen.
Ukrainische Soldaten bei Bachmut (am 7. März)

Ukrainische Soldaten bei Bachmut (am 7. März)

Foto: Libkos / AP / dpa

Das sagt Kiew

Inmitten der verlustreichen Kämpfe um Bachmut hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj allen Verteidigern der Stadt im Osten seines Landes gedankt. In seiner abendlichen Videobotschaft am Dienstag erinnerte er auch an den unter seinem Kampfnamen »Da Vinci« in der Ukraine bekannt gewordenen Kommandeur Dmytro Kozjubajlo, der in Bachmut getötet worden sei. Der 27-Jährige sei »einer der jüngsten Helden der Ukraine«, sagte Selenskyj. »Einer derjenigen, deren persönliche Geschichte, Charakter und Mut für immer zur Geschichte, zum Charakter und zum Mut der Ukraine wurden.«

Wolodymyr Selenskyj (am 3. März)

Wolodymyr Selenskyj (am 3. März)

Foto: Ukrainian Presidential Office / ZUMA Wire / IMAGO

Um Bachmut, das vor dem Krieg gut 70.000 Einwohner hatte, wird seit Monaten erbittert gekämpft. Inzwischen ist die im Gebiet Donezk gelegene Stadt größtenteils zerstört. Insbesondere der dort agierenden russischen Söldnertruppe Wagner wird ein rücksichtsloses Vorgehen vorgeworfen, bei dem auch hohe Verluste in den eigenen Reihen in Kauf genommen werden. Ungeachtet dessen hat das russische Verteidigungsministerium kürzlich mitgeteilt, den Kampf mit unverminderter Härte weiterführen zu wollen.

Selenskyj äußerte sich im US-Sender CNN  zu den Kämpfen um Bachmut, die auch sein Land weiter fortsetzen will. Mit Blick auf eine mögliche Eroberung durch die Russen sagte er: »Uns ist klar, dass sie nach Bachmut weiterziehen würden. … Sie hätten freie Bahn in andere Städte in Richtung Donezk.« Zudem betonte er die symbolische Bedeutung, die ein Sieg der Russen in Bachmut haben könnte. »Russland braucht einen Sieg, auch wenn es ein kleiner ist. Auch wenn sie Bachmut dabei zerstören und alle Zivilisten töten.«

Mit Entsetzen hat die ukrainische Führung auf ein Video von einer mutmaßlichen Erschießung eines Kriegsgefangenen durch russische Soldaten reagiert. »Kriegsverbrechen werden in Russland kultiviert«, schrieb der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, am Montag im Nachrichtenkanal Telegram. Es sei ein Beispiel für die Schwäche der Russen. »Für jedes dieser Kriegsverbrechen wird es eine Strafe geben. Niemand kann sich dieser entziehen«, sagte der Vertraute von Präsident Selenskyj.

Der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinez, bezeichnete die gefilmte mutmaßliche Erschießung als »Ausdruck von Niedertracht und Gemeinheit«. Die Tötung von Gefangenen sei ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen, betonte der 41-Jährige. Er habe das Video seinen internationalen Kollegen als Beleg für ein »weiteres Kriegsverbrechen Russlands« geschickt. Die Echtheit des Videos war von unabhängiger Seite zunächst nicht überprüfbar.

Zuvor war unter anderem von dem Internetportal »Ukrajinska Prawda« ein Video veröffentlicht worden, bei dem ein Mann in ukrainischer Uniform »Ruhm der Ukraine« ruft und dann mutmaßlich mit mehreren Schüssen getötet wird.

Ermittlungen zu Nord-Stream-Explosion

Im Fall der Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 Ende September 2022 gibt es laut Medienberichten neue Spekulationen über die Täter. Laut Recherchen unter anderem von ARD, SWR und der »Zeit« führen die Spuren offenbar in Richtung Ukraine. Unter Berufung auf geheimdienstliche Hinweise hieß es, eine proukrainische Gruppe könnte verantwortlich sein. An den Ermittlungen seien Behörden in Deutschland, Schweden, Dänemark, den Niederlanden und USA beteiligt gewesen, berichtete die »Zeit« am Dienstagabend online. (Eine ausführliche Meldung dazu finden Sie hier.)

Von deutscher Seite äußerten sich die Bundesregierung und der zuständige Generalbundesanwalt auf Anfrage nicht konkret zu den Berichten. »Der Generalbundesanwalt (GBA) ermittelt seit Anfang Oktober 2022 in der Sache«, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. »Zuletzt vor wenigen Tagen haben Schweden, Dänemark und Deutschland den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darüber informiert, dass die Untersuchungen laufen und es noch kein Ergebnis gibt«, erklärte er.

Das sagt Moskau

Russland wertet die jüngsten Medienberichte zu den Sabotage-Untersuchungen an den Nord-Stream-Pipelines als Versuch, von den wahren Drahtziehern abzulenken. »Es ist einfach ein Mittel, um den Verdacht von denjenigen in offiziellen Regierungspositionen, die die Angriffe in der Ostsee angeordnet und koordiniert haben, auf irgendwelche abstrakten Personen zu lenken«: Das erklärte die russische Botschaft in den Vereinigten Staaten auf der Nachrichtenplattform Telegram. »Wir können und wollen nicht an die Unparteilichkeit der Schlussfolgerungen der US-Geheimdienste glauben.«

Humanitäre Lage

Anlässlich des Internationalen Frauentags hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zur Solidarität mit Frauen in der Ukraine aufgerufen. »Frauen stehen in diesem brutalen russischen Angriffskrieg immer wieder an vorderster Stelle – sei es als Soldatinnen, Ärztinnen und Krankenschwestern, Freiwillige, Betreuerinnen, Binnenvertriebene, Flüchtlinge und allzu oft als Todesopfer und Überlebende«, sagte die stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow. Zudem seien sie zunehmender sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt und gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt.

Amnesty International fordere die internationale Gemeinschaft auf, Frauen, die im Ukrainekrieg unter Menschenrechtsverletzungen litten, zu unterstützen. Zudem müssten die Täter, die Verbrechen nach dem Völkerrecht begingen, strafrechtlich verfolgt werden. Laut Uno-Hilfswerk UNHCR sind mehr als acht Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in Europa registriert worden. Frauen und Kinder machen einen Großteil davon aus.

Internationale Reaktionen

Belarus arbeitet russischen Agenturberichten zufolge wegen der »Eskalation der globalen politischen Spannungen« an einer neuen Militärdoktrin. Darin soll »im Kontext der Eskalation der globalen geopolitischen Spannungen« die Umsetzung von Maßnahmen angeordnet werden, »die darauf abzielen, die Unabhängigkeit, die territoriale Integrität, die Souveränität und die verfassungsmäßige Ordnung vor äußeren und inneren Bedrohungen zu schützen«. Das berichtete die Agentur Tass unter Berufung auf eine entsprechende Anordnung durch den belarussischen Sicherheitsrat. Weitere Einzelheiten über den Inhalt des neuen militärischen Leitfadens wurden zunächst nicht bekannt.

Waffenlieferungen an die Ukraine

Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset hat angesichts einer Anfrage Deutschlands zum Rückkauf von Leopard-2-Panzern Skepsis durchblicken lassen. Es gebe Regeln zum Nichtverkauf von Waffen, bei denen keine gesetzlichen Ausnahmen möglich seien, sagte Berset am Dienstag in New York. Die Rahmenbedingungen könnten zwar vom Parlament geändert werden, und dies werde auch gerade diskutiert. Doch schränkte Berset umgehend ein, man wolle in diesen Fragen »ziemlich konservativ und moderat bleiben«.

Foto: Justin Lane / EPA

Deutschland hatte die Abgabe von Leopard-2-Panzern an die Ukraine angekündigt und will mit einem Rückerwerb von Kampfpanzern aus der Schweiz Materiallücken in der Bundeswehr schließen. Eine entsprechende Bitte wurde an die Schweizer Regierung gestellt. Wie viele Panzer Deutschland kaufen will, ist nicht bekannt. Vertraglich ausgeschlossen werden könne, dass die Panzer aus der Schweiz später an die Ukraine gegeben würden, hatte ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums gesagt.

DER SPIEGEL

Was heute passiert

  • Die Verteidigungsminister der 27 EU-Staaten beraten bei einem Treffen in Schweden über weitere Munitionslieferungen an die Ukraine. Hintergrund sind insbesondere Befürchtungen, dass dem von Russland angegriffenen Land künftig nicht mehr ausreichend Artilleriegranaten zur Verfügung stehen könnten.

jok/dpa/Reuters
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten