Krieg in der Ukraine Selenskyj schwört auf harten Winter ein, Klitschko wehrt sich gegen Kritik

Präsident Selenskyj sieht die Ukraine vor schweren Monaten – mit Kälte und Beschuss. Kiews Bürgermeister will sich nicht kritisieren lassen. Und: Der SPD-Chef geht die Rüstungsbranche an. Die wichtigsten Entwicklungen.
Kriegsfolgen in der Region Charkiw (am 24. November)

Kriegsfolgen in der Region Charkiw (am 24. November)

Foto: Sergiy Kozlov / EPA

Das sagt Kiew

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Landsleute auf einen harten Winter mit heftigen russischen Angriffen eingestellt. »Solange sie Raketen haben, werden sie nicht ruhen«, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache am Sonntagabend über die russischen Soldaten. Die ukrainische Armee bereite sich auf die Abwehr von weiterem Beschuss vor. »Russland versucht in diesem Winter, die Kälte gegen die Menschen einzusetzen«, sagte Selenskyj zudem mit Blick auf die gezielten Angriffe Moskaus auf ukrainische Strom- und Wärmekraftwerke.

Er rief die Ukrainer auf, hilfsbedürftige Mitmenschen in der kalten Jahreszeit besonders zu unterstützen. Nun sei Zusammenhalt gefragt. »Zusammen werden wir alles überstehen«, so der Staatschef.

Wolodymyr Selenskyj

Wolodymyr Selenskyj

Foto: Efrem Lukatsky / dpa

Mehr als neun Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs toben unter anderem in der ostukrainischen Region Donezk besonders heftige Kämpfe. Auch die kürzlich befreite Stadt Cherson im Süden wird von Russlands Armee immer wieder beschossen. Viele ukrainische Haushalte sind bei eisigen Temperaturen zeitweise oder sogar komplett ohne Heizung, Strom und Wasser.

Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, wehrte sich gegen Vorwürfe von Präsident Selenskyj, nicht genug zum Schutz der Bürger angesichts von Energieausfällen und winterlichen Temperaturen zu tun. Es gebe 430 sogenannte Wärmezentren für die Kiewer, weitere Hundert seien geplant, falls sich die Lage weiter zuspitzen sollte, erklärte Klitschko. »Ich will nicht in politische Streitereien verwickelt werden«, schrieb er im Kurznachrichtendienst Telegram. »Das ist sinnlos. Ich habe Dinge in der Stadt zu erledigen.« Selenskyj hatte vergangene Woche moniert, ihn erreichten viele Klagen über die in der Hauptstadt ergriffenen Maßnahmen, angesichts der Schäden an der Infrastruktur.

Vitali Klitschko (im März 2022)

Vitali Klitschko (im März 2022)

Foto: IMAGO/Pavel Nemecek / IMAGO/CTK Photo

Die Ukraine hat weitere Fortschritte bei der Stromversorgung der kürzlich befreiten Gebietshauptstadt Cherson im Süden ihres Landes gemeldet. Mittlerweile seien rund 17 Prozent der Haushalte wieder ans Elektrizitätsnetz angeschlossen, teilte Gebietsgouverneur Jaroslaw Januschewytsch am Sonntagabend mit. Der Vizechef des Präsidialamtes, Kyrylo Tymoschenko, veröffentlichte auf Telegram ein im Dunkeln aufgenommenes Foto, auf dem einzelne erleuchtete Häuserfenster zu sehen sind.

Nach mehreren Monaten unter russischer Besatzung hatte die ukrainische Armee die Stadt Cherson und weitere Orte des gleichnamigen Gebiets Mitte November zurückerobert. Seitdem ist die Stadt mit ihren einst 300.000 Einwohnern nicht nur heftigen russischen Angriffen ausgesetzt, sondern kämpft auch mit massiven Problemen bei der Strom-, Wärme- und Wasserversorgung. Angesichts der schwierigen Lage hat die ukrainische Regierung vor wenigen Tagen damit begonnen, Zivilisten in andere Landesteile zu fahren, wo sie den Winter verbringen sollen.

Humanitäre Lage

Russland beschränkt ukrainischen Angaben zufolge weiterhin die Getreideausfuhren durch die Verzögerung von Schiffskontrollen. »Es war üblich, 40 Inspektionen pro Tag durchzuführen, jetzt gibt es aufgrund der Position Russlands fünfmal weniger Kontrollen«, schreibt der ukrainische Infrastrukturminister Olexander Kubrakow auf seiner offiziellen Facebook-Seite. Im Oktober verließen rund 4,2 Millionen Tonnen Getreide die ukrainischen Häfen, im November sollen laut Kubrakow nicht mal drei Millionen Tonnen exportiert werden.

77 Schiffe warteten in der Türkei auf die Inspektionen, obwohl die drei Schwarzmeerhäfen nur zur Hälfte ausgelastet seien. Russland hatte die für die weltweiten Nahrungsmittelexporte wichtige Verlängerung des Getreideabkommens mit der Ukraine Mitte November bestätigt.

Internationale Reaktionen

Der britische Premierminister Rishi Sunak will keine Abstriche an den der Ukraine von seinen Vorgängern gewährten Hilfen vornehmen. Das geht aus einer auszugsweise veröffentlichten Rede hervor, die der Regierungschef am heutigen Montag halten will. »Wir werden an der Seite der Ukraine stehen, solange das nötig ist. Und wir werden das Niveau unserer militärischen Hilfen im kommenden Jahr halten oder erhöhen. Und wir werden neue Hilfen für die Luftverteidigung geben«, wird Sunak laut den Auszügen sagen. Großbritannien ist nach nationalen Angaben mit 2,3 Milliarden Pfund (2,7 Milliarden Euro) nach den USA das Land mit den größten Rüstungshilfen für die Ukraine.

Angesichts einer mangelnden Ausstattung der Bundeswehr hat SPD-Chef Lars Klingbeil die deutsche Rüstungsindustrie aufgefordert, zügig Produktionskapazitäten aufzubauen. Man müsse insgesamt mit dem Irrglauben aufräumen, dass es irgendwo große Schränke gäbe mit persönlicher Ausrüstung für Soldaten oder Panzern. »Das muss alles produziert werden«, sagte Klingbeil am Sonntagabend in der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin«.

Sollte die deutsche Rüstungsindustrie, die über die vergangenen Jahre immer mehr Kapazitäten abgebaut habe, das nicht hinbekommen, müsse man sich auch im Ausland nach Rüstungsgütern umsehen. Infrage kämen etwa die USA oder andere Nato-Staaten. »Klar ist: Wir brauchen eine schnelle, eine gute Ausrüstung der Bundeswehr, und daran muss mit Hochdruck gearbeitet werden«, sagte Klingbeil.

Klingbeil sagte, er habe nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar oder der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar erwartet, dass die Industrie diese Kapazitäten »mit einer riesigen Geschwindigkeit« wieder aufbaue. »Aber abzuwarten und zu sagen, erst mal gucken wir, was die Politik uns bietet, das ist keine Haltung, mit der wir jetzt erfolgreich diese Defizite abbauen werden.« Scholz hatte am 27. Februar eine massive Aufrüstung und ein Sonderprogramm für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro angekündigt.

Was heute passiert

  • Das Kanzleramt berät mit Fachleuten aus der Rüstungsindustrie über die Krise bei der Munitionsbeschaffung für die Bundeswehr. Die Bundeswehr leidet etwa unter einem Munitionsmangel, weil jahrelang zu wenig bestellt wurde. Die deutsche Industrie hatte ihre Kapazitäten wegen des Sparkurses zurückgefahren oder die Produktion eingestellt. Nun gibt es auch aus den Reihen der Verbündeten wieder eine stärkere Nachfrage – unter anderem als Folge des Ukrainekrieges.

jok/dpa/Reuters
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