Krieg in Osteuropa London will russische Kriegsverbrechen aufklären, Selenskyj sendet Botschaft zum orthodoxen Weihnachtsfest

Wladimir Putin während des Weihnachtsgottesdiensts
Foto: Mikhail Klimentyev / APWas in den vergangenen Stunden geschah
Die russische Flugabwehr hat staatlichen Angaben zufolge erneut einen Drohnenangriff auf die seit 2014 von Moskau annektierte Halbinsel Krim abgewehrt. Das unbemannte Flugobjekt sei am frühen Samstagmorgen über einer Mole nahe Sewastopol, der Marinebasis der russischen Schwarzmeerflotte, abgeschossen worden, schrieb der Gouverneur der Stadt, Michail Raswoschajew, laut Staatsagentur Tass in seinem Telegram-Kanal. Der Hafen war bereits mehrfach Ziel ukrainischer Drohnenangriffe.
Trotz der von Kremlchef Wladimir Putin anlässlich des orthodoxen Weihnachtsfests einseitig verkündeten Waffenruhe kam es in der Ukraine zu erneuten Kämpfen. Die 36-stündige Feuerpause, die ab Freitagmittag Moskauer Zeit beginnen sollte, wäre die erste Waffenruhe entlang der gesamten Frontlinie seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar vergangenen Jahres gewesen. Die orthodoxen Kirchen der Ukraine feiern Weihnachten traditionell erst am 7. Januar.
Raswoschajew monierte weiter, selbst das »heilige Weihnachtsfest« könne die »unmenschlichen Wesen« nicht davon abhalten, »unsere Heldenstadt anzugreifen«. Die Ukraine hatte die Feuerpause anlässlich des orthodoxen Weihnachtsfests als heuchlerisches Ablenkungsmanöver der russischen Angreifer abgelehnt. Am Freitag dann galt für die gesamte Ukraine – trotz Waffenruhe – rund zwei Stunden lang Luftalarm. Der Auslöser dafür sollen Medienberichten zufolge mehrere über dem benachbarten Belarus aufgestiegene russische Flugzeuge gewesen sein, die Angst vor neuen Angriffen schürten.
Der russische Präsident Wladimir Putin nahm derweil offenbar allein an einem Weihnachtsgottesdienst der orthodoxen Kirche in einer Kreml-Kathedrale teil. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA war es das erste Mal seit Jahren, dass Putin Weihnachten in Moskau und nicht in der Region um die Hauptstadt feierte. Das staatliche Fernsehen zeigte zwei Videos von Putin, auf denen er sich mehrfach bekreuzigt.
Das sagt Kiew
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seinen Landsleuten eine Botschaft zum orthodoxen Weihnachtsfest gesendet. »Das ist ein Feiertag der Harmonie und des Familienzusammenhalts. Und zusammen sind wir alle eine große ukrainische Familie«, sagte er in einem am Freitagabend veröffentlichten Video.
Mehr als 300 Tage nach dem russischen Einmarsch sei die ukrainische Familie geeint wie nie zuvor – »in ihrem Mut, ihrer Standhaftigkeit, ihrem gegenseitigen Respekt und ihrer gegenseitigen Hilfe«, so Selenskyj.

Wolodymyr Selenskyj
Foto: IMAGO/Oliver Contreras - Pool via CNP / IMAGO/ZUMA WireAußerdem bekräftigte Selenskyj seine Dankbarkeit für die angekündigten Schützenpanzer-Lieferungen aus Deutschland und den USA. »Es ist uns gelungen, die Stärke der Ukraine und die Zusammenarbeit bei der Verteidigung mit den Partnern auf ein neues Level zu bringen«, sagte er in seiner Videoansprache am Freitagabend. »Von nun an hat die Ukraine mehr Flugabwehr, mehr gepanzerte Fahrzeuge, erstmals westliche Panzer, mehr Geschütze und Geschosse.«
Internationale Reaktionen
London will die Aufklärung von russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine vorantreiben. Dazu hat Großbritannien gemeinsam mit den Niederlanden zu einem internationalen Treffen eingeladen. Im März sollen sich Justizministerinnen und Justizminister aus aller Welt in London treffen, um finanzielle und praktische Unterstützung für die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu organisieren, wie die britische Regierung am Samstag mitteilte.
»Die russischen Streitkräfte sollten wissen, dass sie nicht ungestraft handeln können, und wir die Ukraine unterstützen werden, bis Gerechtigkeit herrscht«, sagte der britische Justizminister Dominic Raab einer Mitteilung zufolge . Die internationale Gemeinschaft müsse dem Weltstrafgericht starke Rückendeckung geben, damit Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden könnten.

Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag
Foto: Peter Dejong / dpaIn der belarussischen Opposition mehren sich Sorgen vor einer möglichen Mobilmachung in ihrem Land zur Unterstützung von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der im Warschauer Exil lebende Oppositionspolitiker Pawel Latuschka sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Vorbereitungen dafür seien weit fortgeschritten. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko brauche nur noch auf Befehl des Kremls auf den Knopf zu drücken, um mit der Mobilmachung zu beginnen. Der frühere belarussische Kulturminister Latuschka gehört dem Exilkabinett von Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja an.
Wie Latuschka unter Bezug auf Quellen aus Minsk berichtete, seien fast alle Mitarbeiter, die dem belarussischen Innenministerium unterstehen, aufgefordert worden, ihre Pässe abzugeben. Diese Informationen gäbe es aus verschiedenen Städten des Landes. »Das bedeutet, dass diese Personen das Territorium von Belarus im Falle ihrer Mobilisierung nicht mehr verlassen können.« Man könne zudem beobachten, dass die russische Militärpräsenz in Belarus ständig wachse. Das betreffe die Zahl der Soldaten und die Ausrüstung.
Die US-Regierung stellt der Ukraine weitere milliardenschwere Militärhilfen zur Verfügung. Das US-Verteidigungsministerium teilte am Freitag mit, das Paket habe einen Umfang von mehr als drei Milliarden US-Dollar (2,8 Milliarden Euro). Davon kämen Waffen im Wert von 2,85 Milliarden Dollar aus den Beständen der US-Streitkräfte. Es sei das bislang größte Einzelpaket dieser Art. Geliefert würden etwa 50 Schützenpanzer vom Typ Bradley, die unter anderem mit Anti-Panzer-Raketen bestückt seien.
Nach der deutschen Zusage von Schützenpanzern an die Ukraine hat der Koalitionspartner FDP den Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weiter erhöht, auch Leopard-Kampfpanzer zu liefern. »Moderne Kampfpanzer sind für die russischen Invasionstruppen eines der überzeugendsten Argumente, die Heimreise anzutreten. Diese Heimreise beendet Putins Krieg«, sagte Marcus Faber, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verteidigung der FDP-Bundestagsfraktion, der »Rheinischen Post«. Deutschland müsse seine Blockadehaltung aufgeben. 180 Leopard 1 warten Faber zufolge bei der deutschen Industrie auf Exportgenehmigungen in die Ukraine. »Den Ukrainern läuft die Zeit davon. Zudem erscheint es absurd, Gepard-Panzer und Panzerhaubitzen zu liefern, aber bei über 300 Leopard 2 Zurückhaltung walten zu lassen.«
Was heute passiert
Angesichts der orthodoxen Weihnachtsfeierlichkeiten beginnt offiziell der zweite und letzte Tag einer von Kremlchef Wladimir Putin einseitig angeordneten Feuerpause, die allerdings bereits am Freitag nicht hielt. Die Ukraine hat die Geste als Propagandatrick und Heuchelei zurückgewiesen und ihre Rückeroberungsversuche fortgesetzt.
Im berühmten Kiewer Höhlenkloster will unterdessen die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine ihre Weihnachtsmesse feiern. Die Nutzungsverträge der konkurrierenden ukrainisch-orthodoxen Kirche für die zwei Hauptkirchen des Klosterkomplexes waren zum Jahresende nicht verlängert worden. Die Kirche war lange Zeit mit dem Moskauer Patriarchat verbunden und hatte sich von diesem erst mit dem russischen Einmarsch Ende Februar losgesagt.