Messerattacke in Nizza Frankreich und das Terrortrauma

Polizisten und Passanten vor der Basilika Notre-Dame in Nizza
Foto: Norbert Scanella / imago images/PanoramiCDie Tat hätte symbolträchtiger kaum sein können: Bei einem Messerangriff in der Basilika Notre-Dame in Nizza wurden am Donnerstagmorgen drei Menschen getötet - der Täter wollte sie offenbar köpfen. Ort, Art und Zeitpunkt des jüngsten Anschlags treffen das bereits von zahlreichen islamistischen Attentaten traumatisierte Frankreich hart.
Bei den drei Toten handelt es sich französischen Medien zufolge um zwei 40 und 70 Jahre alte Frauen sowie den Küster der Kirche. Mindestens sechs weitere Menschen wurden demnach schwer verletzt. Die ältere Frau starb den Angaben zufolge in der Kirche, sie wurde offenbar durch einen Schnitt am Hals halb enthauptet. Auch der Küster soll einen großen Einschnitt am Hals gehabt und noch in der Kirche verstorben sein. Dem 40 Jahre alten Opfer gelang es offenbar noch, sich schwer verletzt in eine Bar zu flüchten, dort erlag auch sie ihren Verletzungen. "Sagt meinen Kindern, dass ich sie liebe", soll sie vor ihrem Tod gesagt haben.
Gegen neun Uhr morgens hörten Augenzeugen in Nizza Schüsse. Sie fielen offenbar bei der Festnahme des mutmaßlichen Täters durch die Polizei. Nähere Informationen zu dem Mann stehen noch aus – laut "BMFTV" soll es sich um einen 21 Jahre alten Tunesier handeln. Er wurde nach seiner Festnahme verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert.
Weitere Angriffe am Vormittag
Die Attacke in Nizza sollte nicht der einzige Angriff auf Frankreich an diesem Tag bleiben. Im südfranzösischen Avignon tötete die Polizei am Donnerstagvormittag gegen 11.15 Uhr einen mutmaßlichen Angreifer, der Passanten und Polizisten mit einer Waffe bedroht hatte. Anders als zunächst behauptet, scheint der Angreifer nach übereinstimmenden Medienberichten keinen islamistischen Hintergrund zu haben - er soll vielmehr eine Jacke der der rechtsextremen Identitären getragen haben.
Ebenfalls am Donnerstagvormittag griff ein Mann am französischen Konsulat in Dschidda in Saudi-Arabien einen Sicherheitsbeamten an und verletzte ihn leicht. Der Täter sei festgenommen worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur SPA. Der Mann sei etwa 40 Jahre alt und habe den Wächter mit einem scharfen Werkzeug angegriffen, hieß es. Die französische Botschaft in Riad sprach in einer Mitteilung von einer "Messerattacke". Ob es einen Zusammenhang zwischen den Taten gibt, war zunächst unklar.
Noch am Vormittag rief Frankreich die höchste Terror-Warnstufe aus. Sie gelte landesweit, teilte Regierungschef Jean Castex in Paris mit. Die Antiterror-Staatsanwaltschaft zog zudem die Ermittlungen wegen "Mordes und Mordversuchs im Zusammenhang mit einer terroristischen Tat" an sich.
Solidarität und Anteilnahme
In Frankreich solidarisierten sich Politiker mit den Bewohnern und Hilfskräften in Nizza. Präsident Emmanuel Macron reiste umgehend nach Nizza, um sich ein Bild der Lage vor Ort zu verschaffen. Er hatte der Stadt schon von Paris aus Hilfe zugesagt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich "tief erschüttert über die grausamen Morde". "Der französischen Nation gilt in diesen schweren Stunden Deutschlands Solidarität", sagte sie nach Angaben ihres Sprechers. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte den "abscheulichen Anschlag". Europa stehe in dieser Situation solidarisch zu Frankreich, erklärte die CDU-Politikerin. Sie sprach sich für ein geschlossenes Auftreten "gegen Barbarei und Fanatismus" aus.
Je suis sur place avec la @PoliceNat06 et la @pmdenice qui a interpellé l’auteur de l’attaque. Je confirme que tout laisse supposer à un attentat terroriste au sein de la basilique Notre-Dame de #Nice06. pic.twitter.com/VmpDqRwzB1
— Christian Estrosi (@cestrosi) October 29, 2020
Parallelen zu anderen Anschlägen
Christian Estrosi, der Bürgermeister von Nizza, hatte schon direkt nach dem Angriff von einem Terroranschlag und einer "islamo-faschistischen Tat" gesprochen. Der mutmaßliche Täter hat offenbar selbst verletzt immer wieder "Allahu Akbar" (Arabisch: "Gott ist größer") gerufen. Auch der Ort, die Kirche, deutet dem Bürgermeister zufolge auf einen religiös-fanatischen Anschlag hin. Estrosi sprach von "Mitleid, Wut und Zorn" und bezeichnete die Morde in einer Ansprache vor dem Tatort als "das absolute Entsetzen, das absolute Symbol".
Die Tat in der Kathedrale weckt in Frankreich Erinnerungen an mehrere islamistische Angriffe der jüngeren Vergangenheit. Nizza selbst wurde am französischen Nationalfeiertag 2016 Ziel eines Attentats, damals raste ein Islamist mit einem Lastwagen auf die Strandpromenade. Er tötete 86 Menschen und verletzte mehr als 400. Der IS reklamierte die Tat für sich.
Zwölf Tage später, Mitte Juli 2016, wurde ebenfalls eine Kirche zum Tatort: In Nordfrankreich ermordeten zwei Islamisten den 86-jährigen katholischen Priester Jacques Hamel i während der Morgenmesse vor dem Altar. Ein weiterer Gläubiger wurde lebensgefährlich verletzt. Auch Nizzas Bürgermeister Estrosi bezog sich in seiner Videoansprache am Donnerstag auf den grausamen Mord an dem Geistlichen vor vier Jahren. Der Angriff vom Donnerstag sei ein "Angriff auf die gesamte christliche Welt".
La #France 🇫🇷 et Nice ont été frappées dans l’une de leurs basiliques les plus emblématiques, inspirée de Notre-Dame de #Paris. « NOTRE-DAME DE NICE ». pic.twitter.com/U0X0PZH4nh
— Christian Estrosi (@cestrosi) October 29, 2020
Parallelen gibt es aber auch zum jüngsten Anschlag: Erst vor knapp zwei Wochen hatte ein 18-jähriger mutmaßlicher Islamist in der Nähe von Paris den französischen Geschichtslehrer Samuel Paty mit einem Messer enthauptet. Paty hatte im Unterricht Mohammed-Karikaturen als Beispiel für Meinungsfreiheit gezeigt. Der Mord an dem Lehrer schockierte Frankreich, Zehntausende gingen auf die Straße und bekundeten ihre Solidarität mit den laizistischen Grundwerten der Republik.
Hass auf Frankreich
In mehreren islamischen Ländern hatte es in den vergangenen Tagen Drohungen und Boykottaufrufe gegen Frankreich gegeben. Die Proteste hatten sich an Macrons Äußerungen bei der Trauerfeier für den getöteten Lehrer Paty entzündet. Dort hatte der französische Präsident Karikaturen - auch religionskritische Zeichnungen - im Namen der Meinungsfreiheit verteidigt. Frankreich werde "nicht auf Karikaturen und Zeichnungen verzichten", auch wenn andere das täten, sagte Macron. Er hatte den Islam zudem insgesamt als Religion "in der Krise" bezeichnet.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach Macrons Äußerungen von einer "Lynchkampagne" gegen Muslime gesprochen und zum Boykott französischer Waren aufgerufen. Paris holte aus Protest seinen Botschafter aus Ankara zurück. Ein französischer Regierungssprecher bezeichnete die verbalen Attacken aus der Türkei am Mittwoch als "hasserfüllt".
Auch das islamisch-konservative Königreich Saudi-Arabien und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi verurteilten die Zeichnungen. Die Grenze der Meinungsfreiheit verliefe Sisi zufolge dort, "wo die Gefühle von mehr als 1,5 Milliarden Muslimen verletzen werden". Muslime sollten zugleich dem vermeintlich wahrgenommenen Hass mit friedlichen Mitteln und auf legalem Wege begegnen, mahnte er.
Die Attacke in Nizza verurteilte Ankara nun scharf. Es gebe nichts, dass Gewalt und das Töten von Menschen rechtfertige, teilte das türkische Außenministerium mit. Menschen, die derartig brutale Angriffe an einem solch heiligen Ort verübten, hätten keine religiösen, humanitären oder moralischen Werte. Man stehe solidarisch mit den Menschen in Frankreich gegen Terror und Gewalt.