Nordmazedoniens langwieriger EU-Beitritt Nation ohne Nachbars Genehmigung

Premier Zaev (l.) mit EU-Kommissar Oliver Varhelyi: Viele Hindernisse auf dem Weg in die EU
Foto: Anadolou / Getty ImagesManche Nationalisten vereinnahmen sie als slawischsprachige Griechen. Andere als Südserben oder als Westbulgaren. Die Mazedonier hatten es in ihrer jungen Geschichte nie leicht, als eigene Nation mit eigener Sprache anerkannt zu werden. Bis heute gilt Mazedonien bei seinen Nachbarn Bulgarien, Griechenland und Serbien verbreitet als »Konstrukt« und »künstliche Nation«.
Dass die »mazedonische Frage« – eine der politischen Schlüsselfragen in der Geschichte des Balkans – weit davon entfernt ist, nur noch von Historikern erforscht zu werden, beweist derzeit die bulgarische Regierung. Sie verlangt vom Nachbarland Nordmazedonien, dass es offiziell erklärt, die mazedonische Nation sei bulgarischen Ursprungs und die Sprache des Landes, das Mazedonische, ein westbulgarischer Dialekt. Solange die nordmazedonische Regierung dem nicht nachkommt, will Bulgarien nicht in den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Westbalkan-Land einwilligen.
Ein grundsätzlicher Beschluss darüber sollte am Dienstag während eines Video-Gipfels der EU-Europaminister fallen. Doch Bulgarien hatte zuvor angekündigt, eine Entscheidung zu blockieren. Dabei blieb es auch. Die bulgarische Außenministerin Ekaterina Sachariewa erklärte dazu nach dem Gipfel knapp, Mazedonien erfülle die bulgarischen Bedingungen nicht.
Missbraucht Bulgarien sein Vetorecht?
Nach dem Veto Ungarns und Polens gegen den EU-Haushalt beschert die bulgarische Blockadehaltung zu Nordmazedonien der Union eine weitere Krise. Bulgarien schafft einen neuen Präzedenzfall in der Brüsseler Erweiterungspolitik – es setzt seine Geschichtsauffassung in grotesker Weise als politisches Mittel gegen ein Nachbarland ein.
Dabei geht um mehr als nur um das Zwei-Millionen-Land Nordmazedonien, das längst alle technischen Voraussetzungen für EU-Beitrittsverhandlungen erfüllt. Es geht darum, wie Regierungen einzelner EU-Mitgliedsländer ihr Vetorecht für nationalistische innenpolitische Kampagnen missbrauchen. Damit schaden sie der Glaubwürdigkeit der EU in ihrer wichtigsten Nachbarregion, dem Westbalkan, massiv.
Im Gespräch mit dem SPIEGEL zeigt sich der sozialdemokratische Regierungschef Nordmazedoniens, Zoran Zaev, enttäuscht von der bulgarischen Haltung, die er »absurd und lächerlich« nennt. »Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel getan, um auf unserem Weg der europäischen Integration gut voranzukommen«, sagt Zaev. »Wir haben bewiesen, dass wir uns europäisch verhalten können.« Er wirft Bulgarien vor, »in völlig uneuropäischer Weise Dinge« zu verlangen, »die unsere Identität und unsere Würde als Nation betreffen. Diesen Streit wird man im Rest Europas wahrscheinlich kaum verstehen. Aber er enthält eine bittere Botschaft für die Zukunft Europas, weil er Grundwerte der EU wie ethnische und sprachliche Vielfalt betrifft«.
Der lange Weg in die EU
Mazedonien ist bereits seit fünfzehn Jahren offizieller EU-Beitrittskandidat. Lange Zeit blockierte Griechenland den Beginn von Aufnahmeverhandlungen – es warf seinem Nachbar vor, durch den Staatsnamen Mazedonien implizit territoriale Ansprüche auf die gleichnamige griechische Region zu erheben. Der Namensstreit hatte jedoch im Wesentlichen mit griechischer Innenpolitik zu tun und nicht mit angeblichen Forderungen Mazedoniens.
Dennoch schloss die sozialdemokratische Reformregierung unter dem Premier Zaev vor zwei Jahren ein historisches Abkommen mit Griechenland ab: Es fügte seinem Staatsnamen den geografischen Zusatz »Nord« hinzu – ein weltweit einmaliges Zugeständnis eines Landes an einen Nachbarn. Es machte damit den Weg frei für den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen.
Doch im vergangenen Jahr war es Frankreich, das den Verhandlungsbeginn mit Nordmazedonien wie auch mit Albanien blockierte, weil es auf eine Reform der EU-Erweiterungsmethodologie drängte. Sie ist inzwischen umgesetzt. Nun heißt das neueste Hindernis für Nordmazedonien Bulgarien.
Die beiden Länder schlossen 2017 einen Freundschaftsvertrag, der historiografische Streitigkeiten in die Arbeit einer Historikerkommission verlagerte. Sie erzielte in strittigen Fragen bereits zahlreiche Fortschritte. Doch vor einigen Wochen legte die bulgarische Regierung überraschend einen neuen Forderungskatalog an Nordmazedonien vor.
Gegenüber dem SPIEGEL vermutet Zoran Zaev »innenpolitische Gründe«. Er spielt damit auf die monatelangen Antikorruptionsproteste gegen die rechtskonservativ-nationalistische Regierung unter Premier Bojko Borissow an. Im kommenden Frühjahr findet in Bulgarien die Parlamentswahl statt. Borissow brauche ein griffiges Thema, um von den Protesten gegen sein korruptes System abzulenken, so die Vermutung.
Für Nordmazedonien soll es nun noch einmal im Dezember einen Anlauf geben, den Weg für den Beginn von Beitrittsverhandlungen freizumachen. Es ist jedoch ungewiss, ob Bulgarien einlenken wird. Premier Zaev warnt eindringlich davor, seinem Land die EU-Perspektive zu nehmen. »Wenn es diese Motivation nicht mehr gibt, dann verlangsamt das nicht nur den Reformprozess im Land«, so Zaev. Dann stünde Nordmazedonien auch vor der Perspektive eines neuen, radikalen Nationalismus, der, wie so oft in der Geschichte des Balkans, in Gewalt umschlagen könne.