Frauenrechte in Kriegszeiten »Feministische Außenpolitik muss nicht pazifistisch sein«

Schweden hat sie jüngst abgeschafft, Deutschland führt sie erst ein – Norwegen legt in seiner Außenpolitik schon lange einen Fokus auf Frauenrechte. Eine Friedensforscherin sagt, was sich daraus lernen lässt.
Ein Interview von Jan Petter
Kämpferin der Farc-Guerilla in Kolumbien 2016, kurz bevor sie wie im Friedensvertrag vorgesehen ihre Waffen abgeben sollten: »Wenn Rebellengruppen entwaffnet werden, geht es meist nur um Männer«

Kämpferin der Farc-Guerilla in Kolumbien 2016, kurz bevor sie wie im Friedensvertrag vorgesehen ihre Waffen abgeben sollten: »Wenn Rebellengruppen entwaffnet werden, geht es meist nur um Männer«

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Kaveh Kazemi / Getty Images

Globale Gesellschaft

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SPIEGEL: In Ihrem Land gehört das Thema längst zum politischen Alltag, in Deutschland wurde die feministische Außenpolitik erst vor wenigen Tagen offiziell etabliert. Was würden Sie der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock empfehlen, um damit erfolgreich zu sein?

Torunn Tryggestad: Die wichtigste Lektion ist, allen Beteiligten zuzuhören. Als die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström 2014 eine feministische Außenpolitik ankündigte, passierte das sehr spontan nach ihrem Amtsantritt. Danach gab es monatelang Streit, was das überhaupt bedeuten soll. So wie ich es mitbekomme, wurde das in Deutschland anders angegangen. Es wurde viele Monate überlegt, verschiedene Expertinnen und Experten konnten sich einbringen, auch im Auswärtigen Amt. In der Diskussion wurde Bezug auf die Erfahrungen aus anderen Ländern genommen, auch aus Norwegen. Das hat mich sehr gefreut. Diese Weitsicht dürfte auch beim diplomatischen Personal die Akzeptanz deutlich erhöhen.

SPIEGEL: Und was bedeutet »feministische Außenpolitik« jetzt aus Ihrer Sicht?

Tryggestad: Feministische Außenpolitik ist nach meinem Verständnis nicht Außenpolitik nur für Frauen. Es ist viel mehr eine Politik, die alle Interessen berücksichtigt und versucht, ansonsten marginalisierte Menschen stärker in den Blick zu nehmen. Feministische Außenpolitik möchte also mehr Menschen ansprechen und nicht weniger.

»Manchmal braucht es einen Bulldozer, um etwas zu erreichen.«

SPIEGEL: Hat es sie überrascht, dass Deutschland jetzt auch diesen Schwerpunkt setzt?

Tryggestad: In der Vergangenheit hat sich Deutschland in Fragen bezüglich der Gleichstellung der Geschlechter und Frauenrechten in der Außenpolitik nicht besonders lautstark geäußert. Mir ist zuletzt eher aufgefallen, dass Deutschland immer sehr kurzfristig gehandelt hat, wenn es ein Zeichen setzen wollte. Bei einer Resolution für Frauenrechte im Uno-Sicherheitsrat sind die deutschen Vertreter vor einigen Jahren beispielsweise sehr forsch aufgetreten, um sie durchzusetzen. Manchmal braucht es einen Bulldozer, um etwas zu erreichen. Die Deutschen sind das gern. Aber solch ein Auftreten irritiert auch und zerstört Vertrauen in der internationalen Zusammenarbeit. Ich halte es für gut, dass die neue Bundesregierung jetzt längerfristig plant. Das sendet das Signal an andere Länder, dass dieser Ansatz auch für größere Nationen relevant geworden ist.

SPIEGEL: Während Deutschland es erst einführt, wurde das Konzept von der neuen Regierung in Schweden, die erstmals auch von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten unterstützt wird, gerade wieder einkassiert. Ist feministische Außenpolitik wirklich mehr als Eigenwerbung linksliberaler Regierungen?

Tryggestad: Natürlich ist das ein Schlagwort, das vor allem sozialdemokratischen und progressiven Parteien gefällt. Aber in Norwegen haben die Ideen dahinter parteiübergreifend Unterstützung gefunden. Und der Ansatz wurde jahrelang auch von einer konservativen Außenministerin vertreten, die damit sehr erfolgreich war. Ich habe das gerade erst mit meinem Team untersucht.

Ehemalige norwegische Außenministerin Søreide: »Sie konnte zeigen, dass auch Konservative erfolgreich sein können, wenn sie sich international glaubwürdig für die Rechte von Frauen einsetzen«

Ehemalige norwegische Außenministerin Søreide: »Sie konnte zeigen, dass auch Konservative erfolgreich sein können, wenn sie sich international glaubwürdig für die Rechte von Frauen einsetzen«

Foto: Alexander Shcherbak / TASS / picture alliance / dpa

SPIEGEL: Was haben Sie herausgefunden?

Tryggestad: Als Ine Eriksen Søreide 2017 Außenministerin wurde, war sie in Norwegen die erste Frau im Amt. Dass sie davor im Verteidigungsministerium war, hat ihr sicherlich geholfen. Ihr Schwerpunkt lag auch auf Sicherheitspolitik. Von Feminismus hat sie nie geredet. Dennoch: Sie hat mehr Frauen zu Botschafterinnen gemacht und dafür gesorgt, dass mehr Frauen bei Friedensverhandlungen dabei sind. Außerdem hat sie erwirkt, dass Frauen auch im Uno-Sicherheitsrat beteiligt sind, wenn es um Sicherheitsfragen geht. Unterm Strich war das klar feministisch.

SPIEGEL: Sie selbst haben dem norwegischen Außenministerium einst dabei geholfen, die Diskussion in Norwegen zu etablieren. Wie kam es damals dazu?

Tryggestad: Unser Institut wurde 2006 gebeten, erstmals einen Aktionsplan für die Stärkung von Frauenrechten in der Außenpolitik zu entwerfen. Norwegen war nach Dänemark das weltweit zweite Land, das sich dafür interessierte. Zuvor hatten feministische Gruppen das jahrelang gefordert, auch in der Entwicklungspolitik wurde das Thema immer wichtiger. Aber im Außenministerium gab es dazu nicht genügend Know-how. Inzwischen wird der fünfte Aktionsplan vorbereitet, mittlerweile erstellt das Ministerium ihn selbst. Offensichtlich hat sich unser Ansatz in den vergangenen 17 Jahren bewährt.

SPIEGEL: Ist es nur Zufall, dass das Konzept in den nordischen Ländern zuerst aufkam?

Tryggestad: Wir sind vergleichsweise kleine Nationen. Die Nordeuropäer sind zwar in vielen Bereichen führend, wir haben viel Wohlstand, gute Bildung. Aber außenpolitisch könnten wir uns nicht mit militärischer Stärke behaupten. Wir sind also auf verlässliche Regeln angewiesen. Es ist deshalb in unserem eigenen Interesse, dass wir auf Frieden und Gleichberechtigung setzen und daran arbeiten, internationale Vereinbarungen Stück für Stück in diese Richtung zu bewegen.

Ukrainische Mütter auf der Flucht

Ukrainische Mütter auf der Flucht

Foto: Omar Marques / Getty Images

SPIEGEL: Wo hat denn dieser Ansatz in Norwegen bislang für Verbesserungen gesorgt?

Tryggestad: Zuallererst bei uns selbst. Inzwischen wird beinahe die Hälfte der norwegischen Botschaften von Frauen geführt. Auch in der diplomatischen Ausbildung werden Frauen heute besser gefördert, wir gewinnen viel mehr talentierte junge Absolventinnen für unsere Arbeit als noch vor einigen Jahren. Das Thema selbst ist heute im Außenministerium längst quer durch alle Abteilungen etabliert, nicht mehr nur in der Entwicklungszusammenarbeit.

SPIEGEL: Und international?

Tryggestad: Norwegen arbeitet viel hinter den Kulissen, vermittelt bei Friedensverhandlungen, schlägt neue Formulierungen für internationale Vereinbarungen vor, die Frauenrechte stärker berücksichtigen. In Kolumbien haben wir beispielsweise geholfen, den Friedensvertrag mit der Farc durchzusetzen.

SPIEGEL: Norwegen hat feministische Außenpolitik in Südamerika eingesetzt?

Tryggestad: Ja! Wenn Rebellengruppen entwaffnet werden, geht es meist nur um Männer. Sie legen die Waffen nieder und bekommen dafür Geld, vielleicht etwas Land. Viele Mitglieder der Farc-Guerilla waren aber Frauen. Während der Kämpfe waren sie weitgehend gleichberechtigt, es gab für sie also wenig zu gewinnen, als sie ins zivile Leben zurückkehren sollten. Viele waren von ihren Familien verstoßen worden. Während der Kämpfe waren Familiengründungen verboten. Nicht wenige Frauen hatten nach dem Waffenstillstand aber den Wunsch, doch noch eine Familie zu gründen. Wir haben dafür gesorgt, dass es neben den klassischen Angeboten zusätzlich auch medizinische Unterstützung für werdende Mütter gab und sie ansonsten gleichberechtigt behandelt wurden. Das alles hat den Frieden gestärkt.

SPIEGEL: Seit dem vergangenen Jahr eskaliert ein Krieg in Europa. Der russische Angriff auf die Ukraine hat viele Gewissheiten zerstört. Statt um Verständigung mit Putin geht es jetzt um Waffenlieferungen und nukleare Abschreckung. Ist in Zeiten des Krieges überhaupt noch Platz für solche Konzepte?

Tryggestad: Ich habe das Gefühl, dass die Situation von Frauen gerade sehr viel Aufmerksamkeit findet. Vergewaltigungen und andere Formen von sexualisierter Gewalt wurden früh systematisch erfasst. Präsident Selenskyj spricht das Thema regelmäßig an. Auch die westlichen Partner und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben sich früh für den Schutz von Frauen und Kindern eingesetzt. Ich frage deshalb umgekehrt: Wann, wenn nicht im Krieg, sollte man über die Situation von Frauen diskutieren?

Podcast Cover

SPIEGEL: Für Feministinnen waren Gewalt und bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit lange eng verknüpft – der Krieg erschien vielen als schlimmste Zuspitzung männlicher Gewaltanwendung. Jetzt geht es fast täglich um Waffenlieferungen und Aufrüstung. Wie passt das alles zusammen?

Tryggestad: Sie haben recht, dass das ein Widerspruch ist. Die feministische Außenpolitik kommt letztlich aus der Friedensbewegung. Aber jetzt sehen wir, dass es selbst in Europa Konflikte gibt, in denen man sich mit Waffen wehren muss, um seine Grundrechte zu verteidigen. Feministische Außenpolitik muss nicht pazifistisch sein. Für viele Aktivistinnen ist das sicherlich eine Zumutung. Ich glaube aber, dass diese Diskussion wichtig ist. Und auch bei Waffenlieferungen muss man fragen, wie sie eingesetzt werden und an wen sie gehen. Wer bestimmt darüber und was sind die Ziele im Krieg? Entscheiden auch Frauen oder wieder nur Männer?

Deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem schwedischen Kollegen Tobias Billström

Deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem schwedischen Kollegen Tobias Billström

Foto: Fredrik Sandberg / TT / IMAGO

SPIEGEL: Die deutsche Außenministerin nannte das kürzlich »Realfeminismus«.

Tryggestad: Den Begriff kannte ich noch nicht. Aber ich glaube nicht, dass Feministinnen bislang unrealistisch waren. Viel mehr haben sie doch schon immer angeprangert, was sonst oft vergessen oder einfach geleugnet wird.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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