

Die Lage: Inside Austria Die FPÖ spricht schon von »Kanzler Kickl«

Liebe Leserin, lieber Leser,
heute beschäftigen wir uns mit der Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die rechtspopulistische FPÖ zur strahlenden Wahlsiegerin in der niederösterreichischen Heimat des Bundeskanzlers wurde.
Der Grüne Alexander Van der Bellen war 50 und kurz davor, erstmals in den Nationalrat einzuziehen, als die Konkurrenz von der FPÖ mit einem legendären Slogan über ihren damaligen Spitzenkandidaten auf den Markt kam: »Sie sind gegen ihn. Weil er für euch ist.«
»Er«, das war damals, 1994, Jörg Haider, der Volkstribun von der Freiheitlichen Partei. Der Mann, der den Wählern versprach, sich mit den Eliten anzulegen, mit denen »da oben«, die es sich irgendwie immer »richten«. Haiders Slogan, Ausdruck seiner Rolle als Sprachrohr der Ausgegrenzten, zog damals – die FPÖ legte auf mehr als 22 Prozent der Stimmen zu.

Wahlsieger Landbauer (rechts), Parteichef Kickl: Triumph in Niederösterreich
Foto: Helmut Fohringer / APA / dpaDie daraus resultierende Lektion scheint Alexander Van der Bellen, knapp 30 Jahre später und mittlerweile Bundespräsident, vergessen zu haben. Andernfalls hätte er sich nicht am Mittwoch, am Vorabend seiner Vereidigung für eine zweite Amtsperiode, ohne Not zu einem Angriff auf die FPÖ hinreißen lassen.
Das Gewissen des Präsidenten
Van der Bellen wurde im ORF gefragt, ob er den zuletzt massiv erstarkten Freiheitlichen im Zweifelsfall einen Regierungsbildungs-Auftrag erteilen würde. Die Antwort, mit Blick auf die von Herbert Kickl geführten Rechtspopulisten, lautete: Er werde »eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen«.
Der Auftrag, eine Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen, liege laut Verfassung, so Van der Bellen, in seiner »höchstpersönlichen Entscheidung«. Er sei da »frei« in seiner Willensbildung und werde im Fall der Fälle seinem Gewissen folgen.

Tourismusziel Niederösterreich, Burgruine Aggstein
Foto: IMAGO/Volker Preusser / IMAGO/Volker PreußerFürs Protokoll: Bis zur turnusgemäß nächsten Nationalratswahl vergehen noch knapp zwei Jahre. Zu voreiligen Festlegungen bestand entsprechend wenig Anlass.
Der Traum vom Kanzler Kickl
Der nächste politische Stimmungstest hingegen war zum Zeitpunkt von Van der Bellens Interview nur noch vier Tage entfernt: die Landtagswahl in Niederösterreich, im Stammland von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).
Die bewies dann, was Menschen im größten österreichischen Bundesland davon halten, wenn ihnen von oben verordnet wird, wen sie nach Möglichkeit nicht gut finden sollten: Die FPÖ legte im historischen Kernland der konservativen ÖVP um 9,4 Prozent zu und wurde zur zweitstärksten Partei. In der FPÖ bedankte man sich für den »Turbo«, den Van der Bellen mit seinen Aussagen dem eigenen Wahlkampf geliefert habe – und man freut sich bereits über einen zukünftigen »Kanzler Kickl«.
Das Gesicht des Wahltriumphs gehört dem 36 Jahre jungen Udo Landbauer. Der fesche, seit seiner Schülerzeit politisch aktive Jurist sorgte in der Vergangenheit immer wieder für hässliche Schlagzeilen im schönen Niederösterreich.
»Gebt Gas, ihr alten Germanen«
Für die rechtsextremen »Jungen Patrioten« warb er Spenden ein, damit ein Liederbüchlein erscheinen konnte, in dem unter anderem der Text zu »Negeraufstand ist in Kuba« enthalten ist. Als stellvertretender Vorsitzender der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt trug er Mitverantwortung für ein weiteres Liederbuch, in dem rassistische Texte, auch antisemitische (»Da trat in ihre Mitte der Jude Ben-Gurion : ›Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million›«) wiedergegeben wurden.
Landbauer trat daraufhin im Februar 2018 von allen politischen Ämtern zurück, kam aber ein gutes halbes Jahr später mit frischen Kräften zurück. Die regierende Landesmutter Johanna Mikl-Leitner treibt er seither vor allem in Fragen der Zuwanderung vor sich her.

Landeshauptfrau Mikl-Leitner: Als »Moslem-Mama« geschmäht
Foto: HELMUT FOHRINGER / picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.comDeren zuletzt allein regierende Partei ÖVP büßte am Sonntag nahezu zehn Prozent an Stimmen ein. Mikl-Leitner wurde einst von Landbauer »Moslem-Mama« getauft, er warf ihr angebliche »Zwangsislamisierung« im niederösterreichischen Schulwesen vor. In ihm, ihrem künftigen Stellvertreter, wird sie ab sofort einen noch mächtigeren Gegenspieler haben als schon bisher.
Der Clou an der Personalie Landbauer: Die Mutter des Mannes, der in der Vergangenheit davor warnte, »den Islam als zu uns gehörig darzustellen«, stammte selbst aus einem mehrheitlich muslimischen Land. Sie wurde im damaligen Persien geboren.
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Mit freundlichen Grüßen,
Walter Mayr, Korrespondent für Österreich und Südosteuropa, DER SPIEGEL
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