Walter Mayr

Die Lage: Inside Austria Ein Kronzeuge, ein Ex-Kanzler und viele Spione

Walter Mayr
Von Walter Mayr, Korrespondent für Österreich und Südosteuropa, DER SPIEGEL

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute beschäftigen wir uns mit der Tatsache, dass mit Thomas Schmid ein Topbeamter in den Korruptionsermittlungen ausgesagt hat – der prominenteste Beschuldigte: Sebastian Kurz. Der wiederum lässt sich gerade für die x-te Biografie feiern.

Für Kanzler Karl Nehammer und die regierende ÖVP drohen schlimmste Befürchtungen wahr zu werden: Ausgerechnet der ehemalige Chef der Staatsholding Öbag Thomas Schmid, einer der Hauptbeschuldigten im Wust anhängiger Korruptionsverfahren, will Kronzeuge werden. Die zuständige Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ließ diese Bombe am Dienstagvormittag platzen.

Schmid habe bereits 15 ganztägige Vernehmungen hinter sich. Der tief gestürzte Topbeamte soll dabei sich selbst und andere massiv belastet haben. Der prominenteste unter den restlichen Beschuldigten: Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

Der zurückgetretene Regierungschef beherrschte zuletzt aus anderen Gründen die Schlagzeilen. Die Vorstellung des Buchs »Reden wir über Politik«, einer weiteren Biografie über den erst 36-jährigen früheren Regierungschef, geriet österreichweit zum Medienereignis.

Mediales Trommelfeuer

Es war, »als ginge es um die Verbreitung einer Erstausgabe von Harry Potter«, urteilt der Kolumnist und begnadete Spötter Christian Nusser , dabei sei inhaltlich nicht viel Neues drin im Buch. Auch über Kurz’ idyllische Kindheit auf dem Land, mit Katzen, Hasen und Zwergziegenbock – »die Waldviertler Version der Bremer Stadtmusikanten« – sei doch schon genug geschrieben worden.

Im medialen Trommelfeuer um das neue Buch wäre fast untergegangen, dass der zum Geschäftsmann mutierte Ex-Regierungschef sich inzwischen ein neues Betätigungsfeld zugelegt hat: Cybersecurity »für kritische Infrastruktur«.

Ex-Kanzler Kurz im September 2022 auf dem Münchner Oktoberfest. Kurz macht inzwischen gemeinsame Sache mit einem umstrittenen israelischen Gründer.

Ex-Kanzler Kurz im September 2022 auf dem Münchner Oktoberfest. Kurz macht inzwischen gemeinsame Sache mit einem umstrittenen israelischen Gründer.

Foto: Alexey Vitvitsky / Sputnik / IMAGO

Kurz gründete eine Firma namens »Dream Security«, gemeinsam mit dem israelischen Geschäftsmann Shalev Hulio.

Vom Saulus zum Paulus?

Der war Mitgründer und bis zum August Vorstandsvorsitzender der NSO Group Technologies, die unter anderem Methoden für Cyberangriffe auf Smartphones anbietet. Aus Hulios Unternehmen stammt die berüchtigte Pegasus-Spyware, mit deren Hilfe Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ausgekundschaftet wurden.

Kurz, bereits als »Global-Strategist« beim US-Milliardär und Trump-Anhänger Peter Thiel in Lohn und Brot, legt er Wert auf die Feststellung, dass sein neues Engagement darauf abzielt, Cyberkriminalität mithilfe künstlicher Intelligenz zu bekämpfen. Träfe dies zu, wäre sein Geschäftspartner Hulio in kürzester Zeit vom Saulus zum Paulus geworden.

Ums Spionieren geht es in Wien, dem Schauplatz des Nachkriegs-Filmklassikers »Der dritte Mann«, eigentlich immer. Österreichs Hauptstadt, Sitz diverser internationaler Organisationen wie Uno oder Opec, gilt als beliebter Knotenpunkt für Kundschafter aus aller Welt. Der renommierte Historiker Thomas Riegler gibt in seinem dieser Tage erscheinenden Werk »Österreichs geheime Dienste. Eine neue Geschichte« einen kundigen Überblick.

Außenministerin Kneissl, Russlands Präsident Putin. Ein Knicks vor ihrem Tanzpartner wurde zum ikonografischen Bild.

Außenministerin Kneissl, Russlands Präsident Putin. Ein Knicks vor ihrem Tanzpartner wurde zum ikonografischen Bild.

Foto: Roland Schlager / AFP

Zum Thema passen die seit Wochen kursierenden Gerüchte, Ex-Außenministerin Karin Kneissl sei über Pläne informiert gewesen, in Österreich einen dem Vernehmen nach prorussischen »Schattengeheimdienst« aufzubauen .

Ermittlungen gegen Agentennetzwerk

Die unter der letzten Regierung von ÖVP und FPÖ amtierende Kneissl sorgte am Rande ihrer Hochzeit im August 2018 für ein ikonografisches Bild – sie ging vor ihrem Tanzpartner Wladimir Putin in die Knie. Die frühere Ministerin dementiert, in Pläne für einen dritten österreichischen Geheimdienst eingeweiht gewesen zu sein.

Unstrittig ist, dass in Österreich derzeit noch immer gegen ein Netzwerk ehemaliger Verfassungsschützer ermittelt wird, das dem offenkundig nach Russland geflüchteten Jan Marsalek zu Diensten war. Der Wirecard-Finanzchef soll von den Agenten gegen Bezahlung aus polizeilichen Datenbanken Informationen über ausländische Geschäftspartner und Konkurrenten erhalten haben. Der Ruf des österreichischen Inlandsgeheimdiensts gilt unter ausländischen Partnerdiensten schon länger als ruiniert: Im Zuge einer staatsanwaltschaftlich angeordneten Razzia gelangten im Herbst 2018 sensible Datensätze an die Öffentlichkeit.

Auch dass die damals verantwortliche Staatsanwältin bis heute zäh, aber bisher ohne zählbares Ergebnis Geheimdienstfälle betreuen darf, wirkt alles andere als vertrauensbildend.

Topspitzel unter Verdacht

Die Juristin steht im Ruf, als geheim klassifizierte Details im Ermittlungsakt auszubreiten – offenkundig mit Duldung von ganz oben, wo Justizministerin Alma Zadić von den Grünen das Sagen hat.

Syrischer Ex-General Khaled H.: Mutmaßlich soll sein Asylverfahren manipuliert worden sein, um ihn in Österreich zu verstecken

Syrischer Ex-General Khaled H.: Mutmaßlich soll sein Asylverfahren manipuliert worden sein, um ihn in Österreich zu verstecken

Foto: privat

Als wäre all das noch nicht genug, wird derzeit vier Topagenten des österreichischen Inlandsgeheimdiensts in einer 80-seitigen Anklageschrift vorgeworfen, Khaled H., einem mutmaßlichen »Foltergeneral« der syrischen Staatssicherheit, widerrechtlich Asyl verschafft zu haben . Die Beamten hatten versucht, einer Bitte des Mossad nachzukommen. Die israelischen Kollegen versprachen sich von dem nach Westen übergelaufenen General erstklassige Informationen aus dem Inneren des syrischen Terrorregimes. Den österreichischen Verfassungsschützern, die bei der Geheimoperation behilflich sein sollten, drohen nun bis zu fünf Jahre Haft.

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Mit freundlichen Grüßen,

Walter Mayr (Korrespondent für Österreich und Südosteuropa, DER SPIEGEL)

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