Kommunikationsexperte Fleischmann (l.), Ex-Kanzler Sebastian Kurz (M.), Kabinettsmitglied Ebner (2017)

Kommunikationsexperte Fleischmann (l.), Ex-Kanzler Sebastian Kurz (M.), Kabinettsmitglied Ebner (2017)

Foto: Georg Hochmuth / AFP
Walter Mayr

Die Lage: Inside Austria Wieso die ÖVP plötzlich wieder auf einen geschassten Kurz-Spezi setzt

Walter Mayr
Von Walter Mayr, Korrespondent für Österreich und Südosteuropa, DER SPIEGEL

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute beschäftigen wir uns mit der Frage, warum die Kanzlerpartei ÖVP ausgerechnet einen alten Kurz-Gefährten zu ihrem neuen Sprachrohr macht – und warum die Sozialdemokratie weiter entschlossen scheint, sich selbst zu zerfleischen.

Was wäre Österreich alles erspart geblieben – hätte sich das Burgenland, ehemals Deutsch-Westungarn oder Felsöörvidék, nicht 1921 dem von Wien aus regierten Staatsgebiet angegliedert.

Gefehlt hätte dann auf der aktuellen Politbühne zum Beispiel einer wie Gerald Fleischmann. Der im burgenländischen Wimpassing an der Leitha aufgewachsene Kommunikationsexperte berät seit Jahren die Regierungspartei ÖVP. Unter Journalisten gefürchtet, von Ex-Kanzler Sebastian Kurz hingegen hochgeachtet, galt und gilt Fleischmann als Fachmann für »message control«, also für vorwiegend via WhatsApp straff strukturierte Öffentlichkeitsarbeit.

Bis zum Sturz von Kurz war er einer der mächtigsten Männer in den Kulissen. Inzwischen ermittelt gegen Fleischmann – wie gegen viele andere aus dem Umfeld des Ex-Kanzlers – die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit und Untreue. Es gilt die Unschuldsvermutung.

So weit, so bekannt. Neu ist, dass Fleischmann nun trotz laufender Ermittlungen in hervorgehobener Position wieder auftaucht – als Kommunikationschef in der mittlerweile von Bundeskanzler Karl Nehammer geführten ÖVP.

»Bettler haben keine Wahl«

Muss Fleischmann zurück ins Rampenlicht, weil er über die abgelaufene, aber juristisch längst nicht aufgearbeitete Ära Kurz mehr Herrschaftswissen besitzt als andere? Oder hat Nehammer schlichtweg niemand anderen gefunden, der der fortdauernden Kakofonie in der Kanzlerpartei ein Ende setzen könnte?

Wohl eher Letzteres. »Beggars don't choose«, spottet mit Blick auf die dünne ÖVP-Personaldecke einer aus dem Inneren der Partei: Bettler haben keine Wahl.

Es wirkte zuletzt so, als ob im Lager der Christkonservativen jeder tun oder lassen, vor allem aber: sagen könne, was ihm gerade in den Sinn kam. Der Innenminister etwa sprach sich offen für ein Veto gegen den Beitritt Kroatiens zur Schengenzone aus; er musste daraufhin von seinem Parteifreund und Regierungschef Nehammer öffentlich zurückgepfiffen werden. Nehammer selbst wiederum hielt es für angebracht, sich an der Seite des Serben Alexander Vučić und des Ungarn Viktor Orbán in Belgrad zu zeigen – im Verbund mit Europas lautstärksten Migrationskritikern.

Die wahlkämpfenden ÖVP-Politiker in Niederösterreich beschlossen gar, sich nach dem durch Korruptionsverdacht und Missmanagement bedingten Niedergang ihrer Partei einen neuen Namen zu geben: sie kandidieren nun, fast bis zur Unkenntlichkeit verschwurbelt, unter der Bezeichnung »VPNÖ«.

Von der Schwäche der Volkspartei profitiert vor allem die rechtspopulistische FPÖ.

Sorge um den erhofften Wahlsieg

Sie liefert sich in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der sozialdemokratischen SPÖ. Auch deren Chefin Pamela Rendi-Wagner hat ein Problem mit jemandem, der Wurzeln im Burgenland hat: ihr Partei-»Freund« Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann im von Eisenstadt aus regierten Klein-Königreich an der ungarischen Westgrenze, giftet ausdauernd  gegen die Vorsitzende.

Rivalen Rendi-Wagner (l.) und Doskozil

Rivalen Rendi-Wagner (l.) und Doskozil

Foto: Georges Schneider / photonews.at / IMAGO

Der ehemalige Landespolizeidirektor tut sein Bestes, damit die SPÖ den »aufg'legten Elfer«, wie es in Wien heißt, nicht verwandeln kann – dass sie also den dank Krise der Kanzlerpartei 2024 winkenden Wahlsieg gefährdet. Doskozil sagt zwar nicht öffentlich, dass er Österreichs nächster Regierungschef werden will. Seine nach fünf Kehlkopfoperationen matte Stimme ist zeitweise mit ärztlichem Sprechverbot belegt – aber immer noch kräftig genug, um Unfrieden im Lager der Linken zu stiften.

Fünf Prozent Stimmenanteil mehr wären Österreichs Sozialdemokraten sicher für den Fall, dass er, Doskozil, statt Rendi-Wagner als Kanzlerkandidat anträte – das ergab zuletzt eine ausgerechnet von der burgenländischen SPÖ veranlasste und bezahlte Umfrage. Als Hybrid zwischen quasikommunistischer Sozialpolitik und stramm rechtem Law-and-Order-Ansatz sieht sich der rauflustige Doskozil prädestiniert für höhere Weihen – ohne dass ihn dabei seine Partei und deren Chefin entschieden genug in die Schranken weisen würden.

Ex-Kanzler Fred Sinowatz

Ex-Kanzler Fred Sinowatz

Foto: AP

An Vorbildern für ungewöhnliche Burgenländer-Karrieren mangelt es nicht. »Dass einer, der aussieht wie ich, Minister werden kann, ist ein echtes Privileg«, sprach etwa der nicht als Beau, aber für seinen Humor bekannte Fred Sinowatz vor gut einem halben Jahrhundert.

1983 wurde er Bundeskanzler.

Geschichten, die wir Ihnen empfehlen:

  • Was Österreichs Kanzler an der Seite eines ungarischen Autokraten verloren hat: Viktor Orbán trägt im Stadion einen Schal mit Großungarn-Karte. Schon lange hantiert er mit nationalistischer Symbolik – seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ein besonderer Affront .

  • Die Lage in Österreich – ein Jahr nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz: Die Korruptionsermittlungen der Staatsanwaltschaft in Wien haben eine problematische politische Kultur in Österreich enthüllt. Schafft das Land einen Neuanfang?

  • Wie der SPÖ-Unruhestifter Hans-Peter Doskozil funktioniert: Burgenlands Landeschef ist ein Meister interner Querschüsse, er gilt als Polittalent und Besessener. Ein Psychogramm. 

Mit freundlichen Grüßen

Walter Mayr (Korrespondent für Österreich und Südosteuropa, DER SPIEGEL)

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