Walter Mayr

Die Lage: Inside Austria Auch ohne Sebastian Kurz geht's weiter mit den Skandalen

Walter Mayr
Von Walter Mayr, Korrespondent für Österreich und Südosteuropa

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute beschäftigen wir uns mit neuen Erkenntnissen, die zeigen, in welche Kanäle das österreichische Steuergeld abfließt; und wir blicken auf familiäre Verwicklungen in der Politik.

Als wäre der Ruf der regierenden ÖVP nicht ruiniert genug, lieferte ausgerechnet das von den Christkonservativen geführte Finanzministerium weiteres belastendes Material. Es lässt den gestürzten Kanzler Sebastian Kurz und seinen Langzeitvertrauten Gernot Blümel, Finanzminister unter Kurz, in noch trüberem Licht dastehen: Im Abschlussbericht einer Revision, der neunwöchige Recherchen in der Kommunikationsabteilung des Finanzressorts vorausgingen, ist von gravierenden Defiziten die Rede – keine Spur von »einer modernen und effektiven Verwaltung«. Deutlicher noch in seinem Urteil wird der amtierende Minister Magnus Brunner: Die Vorkommnisse im zuletzt von Parteifreund Blümel geführten Finanzressort zeugten von »Strukturversagen«.

Ein Bild aus glücklicheren Tagen: Der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein damaliger Finanzminister Gernot Blümel

Ein Bild aus glücklicheren Tagen: Der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein damaliger Finanzminister Gernot Blümel

Foto: photonews.at / imago images

Dubiose Transaktionen

Im Kern geht es um den strafrechtlich relevanten Vorwurf, parteipolitisch motivierte Studien und Umfragen seien über Scheinaufträge abgerechnet und aus Mitteln des Finanzministeriums beglichen worden. Von 28 im Untersuchungszeitraum vergebenen Studien waren 26 nicht im dafür vorgesehenen elektronischen Register aufzufinden. Zwei konnten überhaupt nicht aufgespürt werden, bei anderen stießen die Ermittler auf rätselhafte Kostenexplosionen. Im Zentrum der dubiosen Transaktionen steht einmal mehr jene Meinungsforscherin, die für Sebastian Kurz’ Image nützliche Umfragen erstellte. Nach Ansicht der Staatsanwälte wurden sie zum Teil »frisiert« und aus Steuergeldern bezahlt. Die Demoskopin, deren frühere Chefin bis 2017 als Familienministerin gemeinsam mit Kurz im Kabinett saß, ist nach vorübergehender Haft nun wieder auf freiem Fuß. Zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen äußert sie sich bislang nicht.

Unbeschadet davon kommt im Bericht Susanne Thier. Zwar arbeitete die Lebensgefährtin von Sebastian Kurz und, neuerdings, Mutter des gemeinsamen Sohns in der fraglichen Abteilung des Finanzministeriums – ihre Rolle in der Causa sei aber, so die Prüfer, »nicht der Rede wert« gewesen. Entfernt erinnert der Sachverhalt trotzdem an andere, selbst für österreichische Verhältnisse ungewöhnliche Querverbindungen: Verteidigungsministerin Klaudia Tanner etwa ist die Schwägerin des langjährigen Kurz-Chefstrategen Stefan Steiner; Tanners ehemalige Vize-Kabinettschefin Katharina Nehammer wiederum war zuvor für Sebastian Kurz tätig und repräsentiert nun an der Seite ihres Ehemanns, von Kanzler Karl Nehammer, die Republik; der wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch suspendierte Johannes Peterlik schließlich, einst Österreichs ranghöchster Diplomat, ist verheiratet mit einer ehemaligen Spitzenbeamtin des nicht gerade skandalarmen Inlandsgeheimdiensts BVT.

Revisionsbericht sei eine »Flucht nach vorne«

Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Auf den ersten Blick nichts. Auf den zweiten Blick hingegen drängt sich der Verdacht auf, dass an den jüngsten Skandalen und Affären der österreichischen Innenpolitik auch allzu eng geknüpfte Netzwerke Schuld tragen könnten.

»Wenn das ÖVP-geführte Finanzministerium dieses für Ex-Kanzler Kurz, Ex-Finanzminister Blümel und die türkise Clique desaströse Ergebnis selbst veröffentlicht, dann ist das wohl die Flucht nach vorne«, vermutet der stellvertretende Fraktionschef der Sozialdemokraten Jörg Leichtfried. Er spricht von der »Spitze des Eisbergs«. Ein im Parlament beschlossener Untersuchungsausschuss zur Korruption im Umfeld der ÖVP soll am 2. März starten. Mehr als zwei Dutzend Sitzungen im Verlauf von mindestens 14 Monaten versprechen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.

Social-Media-Moment der Woche

Zehnmal mehr Menschen als Bundeskanzler Karl Nehammer erreicht via Twitter Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung »Falter«. Der vielfach preisgekrönte Investigativjournalist neigt auf Social Media zum sogenannten »Oversharing«: In einer – später gelöschten – Nachricht informierte er seine gut 313.000 Follower vergangene Woche darüber, wie es im Nachtzug Richtung Venedig zugeht: »Im Sitzwagen trägt praktisch keiner Maske. Diese Rücksichtslogikeit (sic) ist echt zum Sch…«, schrieb Klenk. Nach weiteren sechs Minuten fotografierte er unter Protest und erheblicher öffentlicher Anteilnahme die Außentür des Zug-WC und textete: »Ich reise jetzt hier.« So genau wollten wir das eigentlich gar nicht wissen.

Screenshot von Tweets des Falter-Chefredakteurs Florian Klenk, mittlerweile hat er sie gelöscht

Screenshot von Tweets des Falter-Chefredakteurs Florian Klenk, mittlerweile hat er sie gelöscht

Geschichten, die wir Ihnen empfehlen

Der Bericht der internen Revision des Finanzministeriums offenbart einen weiteren Tiefschlag für die Regierungsbilanz von Sebastian Kurz.

Die Ergebnisse der internen Untersuchung im Finanzministerium haben es in sich. Sie zeigen, dass die Kommunikationsabteilung im Finanzministerium über Jahre in Eigenregie Aufträge für Studien, Umfragen und Inserate vergeben hat, dass dafür die Kosten regelrecht explodierten und es kein Controlling oder Qualitätskontrolle gab.

Der Antisemitismus hat eine lange Tradition in der konservativen Partei. Auch der neue Innenminister Gerhard Karner fiel durch judenfeindliche Aussagen auf. Warum fällt es der ÖVP so schwer, sich von dieser Tradition zu distanzieren?

Freundliche Grüße,
Walter Mayr

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