Moria Kanzler Kurz stellt Österreichs Grüne vor die Zerreißprobe

In Österreich regiert Kanzler Kurz gemeinsam mit den Grünen. Die tragen dessen Flüchtlingspolitik nach der Katastrophe von Moria mit - aber an der Basis wächst die Kritik massiv.
Eine Analyse von Walter Mayr, Wien
Regieren Österreich: Kanzler Sebastian Kurz und Werner Kogler, Parteichef der Grünen

Regieren Österreich: Kanzler Sebastian Kurz und Werner Kogler, Parteichef der Grünen

Foto: Georges Schneider / photonews.at / imago images

Es ist ein heißer Spätsommertag in Wien und im Stamm-Kaffeehaus des österreichischen Vizekanzlers Werner Kogler sind die Zeitungen voll vom drohenden Koalitionskrach. Kogler, Parteichef der Grünen, gehe mit dem Koalitionspartner mittlerweile hart ins Gericht, steht da am Freitag im "Standard" zu lesen.

Die restriktive Haltung der konservativen ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz hinsichtlich des abgebrannten griechischen Flüchtlingslagers Moria sei mit grünen Prinzipien schwer vereinbar: "Ich erwarte mir mehr europäischen Geist und mehr Menschlichkeit und weniger Zynismus", so Kogler. "Österreichs internationales Ansehen war immer getragen von dieser Menschlichkeit und solidarischem Verhalten in Europa und der Welt."

Im Regierungslager aber zeigt man sich wenig beeindruckt von der Drohung des Chef-Grünen, er werde weiter hart daran arbeiten, den "Koalitionspartner zu überzeugen" - dass nämlich Not leidende Flüchtlinge von der Insel Lesbos aufgenommen werden sollten.

Kogler sei ein "ausgewogener und fairer Partner", mit dem sich gut auskommen lasse, heißt es im Kanzleramt. Man sieht dort keinerlei Veranlassung, von der bisherigen Position abzuweichen. Bei Bedarf an Decken und Zelten sei auf Österreich Verlass, ansonsten aber gelte: Man habe bereits mehr Asylsuchende aufgenommen als - gemessen an der Bevölkerungszahl - zum Beispiel Deutschland.

"Moria, was für eine Schande"

Welchen Fliehkräften, welcher Zerreißprobe Vizekanzler Kogler in diesen Stunden ausgesetzt ist, das verdeutlichen die kritischen Stimmen aus dem grünen Lager, die von der Basis bis hinauf an die Spitze reichen:

  • Da wirft sich die grüne Fraktionschefin Sigrid Maurer am Donnerstagabend in Pose und verkündet, ihre Partei sei in der Flüchtlingsfrage "durchaus kampfbereit" und sie selbst "erschrocken" über die zynischen Argumente im Lager des Koalitionspartners ÖVP. Sagt es und räumt am Ende ein, dass jetzt, während des laufenden Wiener Landtagswahlkampfs, mit der Forderung nach weiteren Flüchtingskontingenten bei der ÖVP wohl wenig zu holen sei: Die Grünen bissen da "leider auf Granit".

  • Maurers Stellvertreterin Ewa Ernst-Dziedzic spendet zumindest ein wenig Balsam für die grüne Parteiseele, indem sie seit Donnerstag auf Facebook, Twitter und weiteren Kanälen live von der Insel Lesbos in einem Tonfall berichtet, der den Erwartungen der Basis entspricht. "Moria, was für eine Schande", schreibt die Spitzen-Grüne im Kurznachrichtendienst. Und unter einem Foto, das sie reisefertig im gepunkteten Sommerkleid zeigt, postet sie auf Facebook: "Ich schäme mich für die Ohnmacht, die Machtlosigkeit, den Zynismus."

Allerdings, so die stellvertretende Fraktionschefin, sei ein Bruch der Koalition mit der ÖVP keine ernst zu nehmende Option. Denn danach stünde als Partner für Kanzler Kurz einmal mehr nur die rechtspopulistische FPÖ zur Verfügung. Was das bedeuten würde, werde sich schon am kommenden Mittwoch zeigen.

Dann soll aller Voraussicht nach im Nationalrat über einen Antrag der Opposition abgestimmt werden, Flüchtlinge aus griechischen Lagern aufzunehmen - selbst wenn die Grünen gemäß Koalitionsvertrag hier ihr Recht wahrnehmen und gegen die Kanzler-Partei stimmen würden, ergäbe das, so Ernst-Dziedzic, keine Mehrheit gegen ÖVP und FPÖ.

"Absurder geht's nicht"

Doch die Ungeduld an der grünen Basis wächst. "Ob es eine Mehrheit wird oder nicht" am Mittwoch, das könne ja nicht die ausschlaggebende Frage sein, protestiert eine Sympathisantin. Sollten die Grünen sich aus Koalitionsraison oder aus arithmetischem Kalkül dafür entscheiden, gegen die Aufnahme von Flüchtlingen zu stimmen, legten sie die Axt an die Wurzeln ihrer Bewegung: "Absurder geht's nicht."

Wahr ist: Außer dem Bruch mit der ÖVP und dem Ausstieg aus der Koalition verfügt die österreichische Öko-Partei über wenig Druckmittel. Folgerichtig wird seit Beginn des ungleichen Bündnisses versucht, der grünen Gefolgschaft zumindest jene Erfolge zu verkaufen, die den konservativen Partnern abgetrotzt wurden:

  • unter anderem der in Gesetzesform gegossene Kampf gegen Hasspostings im Netz und gegen das Unter-den-Rock-Fotografieren,

  • das Eintreten für sozial schwache Corona-Opfer,

  • und für den "dritten Geschlechtseintrag",

  • sowie für Pop-up-Swimmingpools und -Radwege im rot-grün regierten Wien.

"Das Beste aus beiden Welten" - so lautet das zu Jahresbeginn von Konservativen wie Grünen ausgerufene Koalitionsmotto. Kanzler Kurz lebt damit bis dato deutlich lockerer als sein Vizekanzler.

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