

Die Lage: Inside Austria Stresstest für Kanzler Nehammer

Liebe Leserin, lieber Leser,
heute beschäftigen wir uns mit einer saftigen Korruptionsaffäre in der Vorarlberger ÖVP, mit den Auswirkungen auf Parteichef Karl Nehammer - und mit der Sehnsucht mancher nach einem Comeback von Sebastian Kurz.
Wo Österreich im Westen endet, liegt das kleine Bundesland Vorarlberg. Der Landstrich ist wunderschön, der Zungenschlag alemannisch, in Sachen Mentalität fühlt man sich dem benachbarten Baden-Württemberg oft näher als dem fernen Wien. Als fleißig und besonders korrekt galten »Ländle« und Leute bislang. Doch zumindest die seit jeher dominierende Volkspartei (ÖVP) ist diesen guten Ruf los.
Ende März war durch den STANDARD bekannt geworden, dass der Wirtschaftsbund – eine Teilorganisation der ÖVP – der Landespartei größere Summen weitergeleitet hat. Seitdem gab es noch mehr Enthüllungen, die Causa entwickelt sich zur Polit-Lawine. In Millionenhöhe sind Gelder diskret in die ÖVP geflossen, es geht um den Verdacht illegaler Parteienfinanzierung. Regierungschef Markus Wallner räumt inzwischen ein, von Zahlungen gewusst zu haben.
Missglückter Putin-Besuch und Umtrunk-Affäre
Ob er selbst korrekt handelte, wird in Zweifel gezogen: Ein Unternehmer warf dem Landeshauptmann in einer eidesstattlichen Erklärung vor, persönlich Anzeigen für ein parteinahes Medium gekeilt zu haben – Gegenleistungen sollen in Aussicht gestellt worden sein. Wallner dementiert und fühlt sich diffamiert , aber sein Posten wackelt. Letztlich blieben dem Regierungschef nur zwei Möglichkeiten, schreibt der Chefredakteur der »Kronen Zeitung«: »Entweder er geht selbst. Oder er wird abgesetzt.«
Damit wären wir bei Wallners Bundesparteichef, bei Kanzler Karl Nehammer. Der sagt bislang lieber nichts zu der Affäre, was nicht nur die mächtige »Krone«, sondern auch die Tageszeitung »Die Presse« kritisiert: »Die Causa Wallner ist auch eine Causa Nehammer«, schreibt das konservative Blatt.
Anfang des Jahres hatte Nehammer behauptet, seine Partei habe kein Korruptionsproblem. Die Behauptung war damals schon absurd, zumal gegen namhafte Parteifreunde ermittelt wird. Aber angesichts der Vorgänge in Vorarlberg steht der Kanzler einmal mehr blamiert da.
Dabei lasten noch andere Dinge auf ihm: Da ist seine Visite bei Kremlchef Wladimir Putin, die wie ein missglückter Profilierungsversuch wirkte. Da ist die Posse um einen Umtrunk von Leibwächtern mit seiner Gattin Katharina Nehammer , die mit einem Ausparkunfall der stark alkoholisierten Beamten endete. In den Landesverbänden zerren Teilorganisationen am Kanzler, den obendrein erfahrenes Personal verlässt , die Umfragen tendieren Richtung 20 Prozent – eine Katastrophe für die Konservativen.
Nehammer und die ÖVP befinden sich in einem Stresstest – Ausgang ungewiss.
Parteiintern breitet sich derweil Sehnsucht nach Sebastian Kurz aus. Der hätte wegen der Korruptionsvorwürfe im Oktober nicht als Kanzler zurücktreten, sondern in Neuwahlen gehen sollen, erklärt der ÖVP-Veteran Andreas Khol. Und Wolfgang Fellner, der Herausgeber des Boulevardmediums »Österreich«, spekuliert sogar: »Wirft Nehammer frustriert hin? Kommt Kurz im Herbst zurück?«
Was der Medienzampano unerwähnt lässt: Er selbst gilt als Beschuldigter in einem Korruptionsverfahren, in das auch Kurz verwickelt ist. Im Raum steht der Verdacht der Ermittler, dass Umfragen zugunsten von Kurz frisiert und vor Veröffentlichung entsprechend angepasst wurden – das Ganze soll durch steuergeldfinanzierte Inserate in Fellners Medienimperium bezahlt worden sein.
Am 14. Mai will sich Nehammer auf einem Parteitag offiziell zum Vorsitzenden wählen lassen. Bis dahin dürften die mitregierenden Grünen auch bezüglich Vorarlberg überwiegend stillhalten. Der weitgehende Verzicht auf Kritik am Koalitionspartner brachte ihnen den Vorwurf ein, alles für den Machterhalt zu tun. Doch eines kann als sicher gelten: Eine Rückkehr von Kurz ins Kanzleramt dürfte mit den Grünen nicht zu machen sein.
Social-Media-Moment der Woche:
In diesen Tagen erregt ein Video des umstrittenen Parlamentspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) die Gemüter in sozialen Netzwerken. Mit Blick auf die Finanzaffäre seiner Vorarlberger Parteifreunde offenbart er darin ein bizarres Rechtsverständnis . Die Ertappten sollten eben Steuern nachzahlen, sagt Sobotka – aber man solle aufhören, die Sache zu »kriminalisieren«. Der Parlamentschef fordert Straffreiheit für Steuerbetrug? In Österreich ist derzeit anscheinend viel möglich.
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Eine gesunde Woche wünscht
Oliver Das Gupta
Autor für SPIEGEL und STANDARD
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