Enthüllung in Österreich Wer steckt hinter den Angriffen auf die Kurz-Ermittler?

Ausgerechnet die Anwälte des Ex-Spindoctors von Sebastian Kurz waren involviert, als es gegen die Wiener Korruptionsermittler ging. Das zeigen Recherchen von SPIEGEL und STANDARD. Die Opposition wittert Parteilichkeit.
Ex-Kanzler Kurz als Abgeordneter im österreichischen Parlament

Ex-Kanzler Kurz als Abgeordneter im österreichischen Parlament

Foto: LEONHARD FOEGER / Reuters

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Die Anwälte von Sebastian Kurz’ Spindoctor Gerald Fleischmann waren involviert in einen aufsehenerregenden öffentlichen Angriff auf die Arbeit der Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) – deren Ermittlungen den Bundeskanzler Sebastian Kurz zum Rücktritt gezwungen hatten. Das zeigen gemeinsame Recherchen des SPIEGEL und des STANDARD.

Foto: Clemens Fabry / picture alliance / Clemens Fabry / Die Presse / pic

Gabriele Aicher ist Rechtsschutzbeauftragte der österreichischen Justiz, eine Art Ombudsfrau. Ihre Aufgabe ist es zu überprüfen, ob Maßnahmen der Justiz angemessen sind, in manchen Fällen muss sie Überwachungsmaßnahmen genehmigen. Ausgerechnet Aicher attackierte Ende Oktober scharf die Ermittlungen der WKStA in der Wiener Staatsaffäre: Die Ermittler hatten großflächige Razzien im Wiener Kanzleramt, in der ÖVP-Zentrale und bei der Mediengruppe »Österreich« angeordnet.

Aicher verteilte eine Pressemitteilung an ausgewählte Boulevardmedien, in der sie die Maßnahmen scharf kritisierte: »Wer den Rechtsstaat vertritt, hat sich selbst an die Vorgaben des Rechtsstaats zu halten. Der Zweck heiligt nicht die Mittel«, schrieb sie in Richtung Korruptionsermittler. Diese hätten eine »rote Linie überschritten«. »Hinzu kommt, dass in diesem Fall aufgrund der Aktenlage eine solche Ermächtigung niemals hätte erteilt werden können«, schrieb Aicher in dem Dokument.

Doch in dessen Metadaten wird eine Anwaltskanzlei als Erstellerin angeführt: die Kanzlei Ainedter.

Welche Rolle spielte der Spindoctor von Sebastian Kurz?

Da die Kritik ausgerechnet von der Rechtsschutzbeauftragten kam, hatte ihr Wort in der Öffentlichkeit Gewicht – und die Verteidiger von Sebastian Kurz, die seit Längerem versuchen, die Justiz als politisiert darzustellen, sahen sich von ihr bestätigt. Die Angriffe aus dem ÖVP-Lager sind nicht neu: Der lauteste Verteidiger von Sebastian Kurz, der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger, hatte in der WKStA »linke Zellen« geortet und die Staatsanwälte in einer Pressekonferenz attackiert. Der »Plagiatsjäger« Stefan Weber hatte versucht, private Liebesbeziehungen innerhalb der WKStA  zu skandalisieren.

Gerald Fleischmann, der Ex-Medienberater von Sebastian Kurz, im Oktober

Gerald Fleischmann, der Ex-Medienberater von Sebastian Kurz, im Oktober

Foto: Georges Schneider / photonews.at / IMAGO

Doch der Angriff der unabhängigen Rechtsschutzbeauftragten Aicher erscheint nun nach Informationen von STANDARD und SPIEGEL in neuem Licht: Demnach hatte Aicher zumindest bei der Pressemitteilung Hilfe – und zwar von der Kanzlei Ainedter. Das Problem dabei: Die Kanzlei vertritt zwei Beschuldigte in einem Teil der Verfahren gegen Kurz und dessen Entourage.

Einer der beiden ist ausgerechnet der einstige Medienbeauftragte im Kanzleramt, Gerald Fleischmann, bekannt als der Spindoctor von Sebastian Kurz. Fleischmann war einer der Beschuldigten, deren Büros am 6. Oktober 2021 in einer Großaktion durchsucht worden waren. Auslöser war die Inseraten- und Umfrageaffäre, dabei geht es um den Vorwurf der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Im Zuge der Affäre stand Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) so unter Druck, dass er wenige Tage nach den Razzien zurücktrat.

Die Rechtsschutzbeauftragte Aicher gibt die Beratung zu

Die Kanzlei vertritt zudem einen zweiten Beschuldigten in dem deutlich umfangreicheren sogenannten Casinos-Akt: den ehemaligen Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP), der mit der Umfrage- und Inseratenaffäre direkt nichts zu tun hat. Erst vor wenigen Wochen bekam die Kanzlei zudem Besuch von Sebastian Kurz. Der Ex-Kanzler suche dort »juristischen Rat«, schrieb das Boulevardmedium oe24.at am 20. Oktober. In der Vorwoche sei Kurz dabei beobachtet worden, »wie er die Kanzlei Ainedter & Ainedter Rechtsanwälte in der Taborstraße in Wien-Leopoldstadt verließ«.

Medienunternehmer Wolfgang Fellner

Medienunternehmer Wolfgang Fellner

Foto: Peter Hartenfelser / imago/Hartenfelser

Auf Anfrage bestätigt die Rechtsschutzbeauftragte Aicher nun, sie habe sich »von meinen anwaltlichen Vertretern auf Basis meines Vortrags« bei der Pressemitteilung beraten lassen. Sie korrigierte ihre Aussagen im Verlauf der Recherche mehrfach. 

Mit Ainedter sei sie »seit Jahren freundschaftlich verbunden«, was sie immer offengelegt habe. Sie habe Ainedter schon vergangenes Jahr mit ihrer Vertretung beauftragt, da sie befürchtet habe, dass ihre »in Wahrnehmung meiner Pflichten gemachten Äußerungen ›gegen die WKStA‹ mit Anzeigen und unrichtiger medialer Berichterstattung einhergehen können.« Die Kosten dafür trage sie selbst. Ainedter berief sich auf seine Verschwiegenheitspflicht. Das lässt den Angriff der Rechtsschutzbeauftragten auf die WKStA in einem neuen Licht erscheinen.

Es gab tatsächlich einen Fehler vor der Hausdurchsuchung

Der Hintergrund von Aichers Kritik: Wie vor fast jeder Hausdurchsuchung wollten die Ermittler auch am 6. Oktober die Smartphones der Beschuldigten orten. Damit wollen sich die Einsatzkräfte darauf vorbereiten, ob der oder die Beschuldigte überhaupt im Büro oder zu Hause ist – um nicht vor verschlossener Tür zu stehen. Um die Smartphones von Journalisten zu orten, um die es im Fall von Wolfgang Fellner ging, dem Herausgeber der Zeitung »Österreich«, müssen Ermittler jedoch eine spezielle Genehmigung einholen. Hier kommt die unabhängige Rechtsschutzbeauftragte ins Spiel. Die WKStA vergaß, laut eigenen Angaben »irrtümlich«, Aicher zu informieren. Das war den Staatsanwälten aber rechtzeitig aufgefallen, sodass es zu keiner rechtswidrigen Peilung kam.

Dennoch musste Aicher aus formalen Gründen eine Beschwerde einlegen. Richterlich genehmigt wäre die Peilung ja gewesen – es handelte sich also um einen Fehler des Richters, wie auch der fallführenden Staatsanwälte. In ihrer Mitteilung ging Aicher jedoch weit darüber hinaus, die fehlende Absprache mit ihr zu beklagen. Vielmehr unterstellte sie der WKStA, die Anklage falsch zu führen und dadurch Leaks zu provozieren und außerdem den Rechtsschutz für Beschuldigte zu schwächen.

Nachdem sich die WKStA dagegen gewehrt hatte, ließ sich Aicher auf ein öffentliches Scharmützel mit der Antikorruptionsbehörde ein. Dass sie sich dabei ausgerechnet von einer Kanzlei beraten ließ, die Beschuldigte vertritt, ist allerdings bemerkenswert.

Ist die Rechtsschutzbeauftragte wirklich unabhängig?

Es ist ein heikler Interessenkonflikt, der nun für breite Kritik sorgt. Die österreichische Justizministerin Alma Zadić (Grüne) will nun das Gespräch mit Aicher suchen , die allerdings weisungsfrei und unabhängig agiert.

Auf die Enthüllungen von STANDARD und SPIEGEL reagierte auch die Opposition: Neos-Politikerin Stephanie Krisper sprach von »schwerwiegenden Vorwürfen«, die »rasch aufgeklärt werden« müssen: »Eine derart wichtige Funktion des Rechtsstaates darf nicht einmal den Eindruck der Parteilichkeit haben.« Für SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer habe Aicher »wie ein Teil der türkisen Familie« agiert. »Wir brauchen eine unabhängige Rechtsschutzbeauftragte«, so Krainer. Er betonte auch »die Vehemenz und Unverschämtheit, mit der die ÖVP gegen die Ermittlungen der WKStA zum türkisen System vorgeht«.

Aicher, die gegenüber SPIEGEL und STANDARD beteuert, »keine Nähe zur ÖVP« zu haben, trat ihr Amt als Rechtsschutzbeauftragte erst am 1. April 2021 an. Nach Bekanntwerden ihrer Beschwerde über die WKStA geht Aicher derzeit gegen kritische Berichterstattung vor. STANDARD und SPIEGEL liegt eine Klage Aichers gegen das Onlinemedium »Zackzack« vor. Darin schreibt die Rechtsschutzbeauftragte unter anderem, die Plattform werfe ihr eine »gezielt parteiliche Amtsausübung« vor und behaupte dabei die Unwahrheit.

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