Migrationspolitik "Die Idee der freiwilligen Rückkehr ad absurdum geführt"

Was geschieht mit den Asylbewerbern, die von Deutschland aus in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden? Ein Ethnologe erklärt, warum vielen Migranten dort nur eine Möglichkeit bleibt.
Ein Interview von Maria Stöhr
Tagelöhner in Karachi, Pakistan: "Die wenigsten planen, dauerhaft in ihrer Heimat zu bleiben"

Tagelöhner in Karachi, Pakistan: "Die wenigsten planen, dauerhaft in ihrer Heimat zu bleiben"

Foto: RIZWAN TABASSUM/ AFP
Globale Gesellschaft

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Mehr als 3400 Menschen aus Pakistan haben im vergangenen Jahr in Deutschland Asyl beantragt, die Zahl steigt. Sie fliehen vor Armut, religiöser Verfolgung und Unterdrückung.

Doch die wenigsten von ihnen bekommen ein dauerhaftes Bleiberecht. Vielen droht die Abschiebung. Mehr als 300 Frauen und Männer aus Pakistan haben sich deshalb 2019 entschieden, freiwillig in ihr Herkunftsland zurückzukehren.

Doch was wird aus den Menschen, sobald sie wieder in dem Land ankommen, das sie eigentlich hinter sich lassen wollten? Wie werden sie empfangen? Wie gelingt der Neuanfang?

Der Ethnologe Usman Mahar begleitet Asylbewerber auf ihrem Weg zurück in die pakistanische Gesellschaft.

SPIEGEL: Herr Mahar, Sie treffen in Pakistan Asylbewerber, die aus EU-Staaten abgeschoben wurden oder freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Wie geht es diesen Frauen und Männern?

Usman Mahar: Viele haben, sobald sie in Pakistan landen, nur einen Gedanken: Was muss ich besser machen, damit mein nächster Versuch klappt?

SPIEGEL: Menschen, die gerade abgeschoben worden sind, wollen sofort wieder migrieren?

Mahar: Ich habe im vergangenen Jahr viele Geflüchtete begleitet, sie oft getroffen, interviewt. Die wenigsten planen, dauerhaft in ihrer Heimat zu bleiben. Die meisten wollen sich sofort wieder auf den Weg machen. Sie nehmen eine weitere Flucht in Kauf, die oft in einer der folgenden Varianten endet: erwischt, eingesperrt, abgeschoben zu werden - oder unterwegs zu sterben.

SPIEGEL: Wie empfängt Pakistan die Rückkehrer?

Mahar: Das hängt stark davon ab, was ein Rückkehrer mit nach Hause bringt. Zum einen in finanzieller Hinsicht: Wer in Europa einen Job hatte, Geld ansparen konnte, hat einen vergleichsweise leichten Neuanfang zu Hause. Weil er etwa die Familie unterstützen, sich Respekt verschaffen kann. Zum anderen geht es um soziale Fähigkeiten, die jemand im Ausland erworben hat: Damit meine ich Kontakte, Sprachkenntnisse oder eine Ausbildung. Alles Materielle und Immaterielle, was eine Person aus dem Ausland mitbringt, nutzt im Herkunftsland.

SPIEGEL: Oft sind ganze Familien abhängig von dem Geld, das ein Sohn oder eine Tochter im Ausland verdient. Der Druck muss enorm sein, wenn dieser dann plötzlich wieder zu Hause vor der Tür steht.

Mahar: Ja, in manchen Fällen geht das so weit, dass junge Männer nicht mehr zu ihren Familien zurückkehren können. Sie gelten dann als Versager, werden verstoßen, müssen nicht selten mit Gewalt rechnen. Sie sind in Pakistan komplett auf sich gestellt.

SPIEGEL: Wenn Asylbewerber keine Aussicht auf ein Bleiberecht in Europa haben, können sie einer sogenannten freiwilligen Rückkehr ins Herkunftsland zustimmen. Sie erhalten dann finanzielle Starthilfen, um sich zu Hause ein neues Leben aufzubauen. Sie kritisieren jedoch, diese Maßnahme funktioniere nicht. Warum?

Mahar: Zuerst einmal muss man festhalten, dass die Migranten ja nicht wirklich freiwillig aus Europa abreisen. Es ist ein Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip. Wenn Menschen sich für die sogenannte Freiwillige Rückkehr entscheiden, dann meist, weil sie wissen, dass diese Variante immer noch besser ist als eine zwangsweise Abschiebung. Bei einer freiwilligen Ausreise werden Flug und ein Startgeld gezahlt, maximal 3000 bis 4000 Euro.

Dieses Geld, die sogenannte Rückkehrprämie, reicht aber schlicht nicht aus. Damit kann ein Rückkehrer gerade mal das Geld an Freunde, Familie und Kredithaie zurückzahlen, das er sich für seine Flucht geliehen hat. Vielleicht kommt er mit dem restlichen Geld noch ein paar Monate über die Runden. Sich nach so einer Rückkehr tatsächlich eine Zukunft in Pakistan aufzubauen, gelingt in den seltensten Fällen.

SPIEGEL: Und dann?

Mahar: Planen diese Menschen eben ihre nächste Ausreise. Was die ursprüngliche Idee der freiwilligen Rückkehr ad absurdum führt.

SPIEGEL: Was würde helfen?

Mahar: Das Geld für die Reintegration müsste viel breiter investiert werden. Nicht nur in Einzelpersonen, sondern gerade in die Dörfer und Städte, wo der Exodus geschieht. Dafür könnte man gerade Rückkehrer einbinden. Sie wären die perfekten Ansprechpartner, um Fragen zu beantworten: Was bringt Menschen dazu, zu fliehen? Und was müssen Orte anbieten, damit die Leute dableiben? Rückkehrer hätten so eine verantwortungsvolle Aufgabe. Und die Drehtür außer Landes würde aufhören, sich zu drehen.

Was die Finanzhilfe an individuelle Rückkehrer angeht, bräuchte es eine größere Summe, die Menschen nachhaltiger vor einer erneuten Flucht Richtung Europa abbringen würde. Damit ließe sich in Pakistan tatsächlich eine wirtschaftliche Existenz aufbauen. Ein kleiner Laden zum Beispiel. Diese Summe käme EU-Staaten trotzdem weit günstiger als eine zwangsweise Abschiebung. Aus einer Anfrage der Linken im Bundestag geht hervor, dass allein der Abschiebeflug von acht Pakistanern im Jahr 2018 aus Berlin mehr als 460.000 Euro gekostet hat.

SPIEGEL: Wird dann die freiwillige Rückkehr nicht zum Geschäftsmodell?

Mahar: Die Gefahr sehe ich nicht. Es ist ja nicht so, dass alles auf einmal ausbezahlt wird. Das Geld wird gestaffelt überwiesen, manches als Sachzahlung. Außerdem ist der Fall klar geregelt: Wer ein weiteres Mal versucht, in Europa Asyl zu beantragen, muss das bereits erhaltene Geld zurückzahlen.

SPIEGEL: Die Menschen, die Sie in Islamabad und Lahore treffen, haben oft schon zweimal, dreimal versucht, Europa zu erreichen. Sie beschreiben eine Generation, die ständig auf der Flucht ist, zurückgestoßen wird, die sich abermals auf den Weg begibt.

Mahar: Mehr als das. Ich beobachte eine Migrationsbewegung, die wie ein Multi-Generationen-Kreislauf funktioniert. Ein System, das ständig dazulernt – jede neue Generation von Migranten lernt aus den Rückschlägen der vorherigen. Ein Beispiel: Ein pakistanischer Vater verlässt die Heimat, schafft es bis nach Iran oder in die Türkei, verdient dort ein bisschen Geld, wird dann abgeschoben. Zu Hause ist sein Sohn mittlerweile alt genug, um sich selbst auf den Weg zu machen. Er nutzt die Erfahrungen seines Vaters - und schafft es vielleicht bis nach Griechenland.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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