Palmölproduktion im Labor Wie das weltweit meistgenutzte Pflanzenöl ersetzt werden soll
Jakarta Mitte Mai: Kleinbauern protestieren in der indonesischen Hauptstadt und in anderen Teilen des Landes. Sie leiden seit Wochen unter den niedrigen Preisen für das meistgenutzte Pflanzenöl der Welt: Palmöl.
Gus Dalhari Harahap, Palmöl-Bauer:
»Bei uns herrscht Flaute, und bald könnte es noch schlimmer kommen. Wir werden das Palmöl nicht mehr los, weil es uns die Mühlen nicht mehr abnehmen. Doch das Palmöl kann nur in speziellen Mühlen verarbeitet werden. Wenn die es uns nicht abkaufen, ist das der Untergang für uns Palmölbauern.«
Doch: Der Preisverfall war von der indonesischen Regierung gewollt. Ende April hatte Präsident Joko Widodo den Export von rohem Palmöl verboten, um, wie er sagte, die Nahrungsmittelversorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Lebensmittel waren in Indonesien derart teuer geworden, dass Menschen auf die Straße gingen und Unruhen drohten. Der Exportstopp sollte zumindest die Preise für Speiseöle im Land regulieren.
Die Maßnahme sorgte jedoch in erster Linie dafür, dass die Preise für die frischen Ölfrüchte und deren Öl ins Bodenlose rauschten. Jetzt gingen diejenigen auf die Straße, die vom Palmöl leben: die Kleinbauern.
Yuslan Thamrin, Palmöl-Bauer:
»Bei solch niedrigen Preisen für Palmöl wollen wir nicht einmal mehr ernten. Auch die Lager sind nicht mehr in der Lage, die Palmöl-Früchte der Bauern anzunehmen. Die Lager sind voll, es ist kein Platz mehr da.«
Die künstliche Verknappung in Indonesien hatte weitreichende Folgen: Der Weltmarktpreis für Palmöl stieg sprunghaft an, ebenso der für andere Speiseöle. Wegen des Klimawandels, der Coronapandemie, und nicht zuletzt des Krieges gegen die Ukraine, fehlt es in vielen Ländern auf der Südhalbkugel an Agrarprodukten. Die Märkte reagieren in dieser globalen Lebensmittelkrise empfindlich auf Unsicherheiten. Und der Exportstopp in Indonesien befeuerte die Krise weiter.
Noch vor 20 Jahren kam die Welt mit weniger als der Hälfte an Palmöl aus. Heute wird der billige Grundstoff fast überall auf der Welt konsumiert. In Asien und Afrika landet das Öl im Kochtopf, hierzulande steckt es in Treibstoff, in Nuss-Nougat-Creme, Keksen, Fertiggerichten, Waschmittel und Duschgel – laut dem WWF in jedem zweiten Supermarktprodukt. Allein Deutschland verbraucht jährlich rund 1,8 Millionen Tonnen des Rohstoffs. 52 Prozent werden zu Biodiesel, 35 Prozent zu Nahrungsmitteln und Tierfutter. 13 Prozent zu Kosmetik, Haushaltsreinigern und Medikamenten.
Um den weltweiten Bedarf zu decken, werden Ölpalmen von internationalen Konzernen auf immer größeren Flächen angebaut. Oft holzen sie dafür Regenwald ab. Dabei werden riesige Mengen klimaschädliches CO₂ freigesetzt. Auch der Mensch leidet: Ureinwohner werden von den Palmölherstellern teils mit Gewalt aus ihren Dörfern vertrieben. Auf den Plantagen arbeiten Kleinbauern, die mit ihren Familien oft am Existenzminimum leben, Kinderarbeit ist keine Seltenheit. Von denen, die es handeln, wird Palmöl auch »flüssiges Elfenbein« genannt, so lukrativ und zerstörerisch ist der Anbau.
Doch einfach ersetzen lässt sich das begehrte Öl nicht. Andere ölhaltige Pflanzen, wie Raps, Kokos und Sonnenblumen erzielen weit niedrigere Erträge pro Hektar Anbaufläche.
Weit weg von den Plantagen in Indonesien, in Hamburg, forscht das Start-up Colipi deshalb nach Alternativen aus dem Labor. Das vierköpfige Forschungsteam will in Zukunft in großem Maßstab pflanzliches Öl aus Hefe herstellen – und dabei weit weniger Schäden anrichten.
Maximilian Webers, Colipi:
»Die Weltbevölkerung wächst. Das heißt, die Nachfrage wächst. Diese Nachfrage darf nicht bedient werden durch eine Vergrößerung der bestehenden Palmöl-Farmen, also durch mehr Rodung von Regenwäldern. Diese Lücke, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entstehen wird, die kann durch biotechnologische Verfahren gefüllt werden.«
Die Forscher füttern spezielle Hefen mit Biomasse, derzeit mit einer Zuckerlösung. später könnten auch Bioabfälle zum Einsatz kommen. Unter optimalen Bedingungen im Bioreaktorwerden die Hefen nach einiger Zeit fett. Sie beginnen Öl zu produzieren, das die Forscher dann nutzbar machen.
Philipp Arbter, Colipi:
»Je nachdem auch wie die Kultivierungsbedingungen sind, ist das dann auch bei Zimmertemperatur flüssig. Oder aber hier mal unter anderen Kultivierungsbedingungen ist es dann fest bei Raumtemperatur. Das heißt, es lässt sich nicht nur Palmöl damit ersetzen, imitieren, sondern auch andere Öle, die andere Schmelzpunkte haben und andere Zusammensetzungen.«
Klimaneutral ist diese sogenannten Hefe-Fermentation aber nicht: Bei den Prozessen im Bioreaktor entsteht verhältnismäßig viel klimaschädliches CO₂. Das Start-up hat deshalb noch einen weiteren Schritt für seine Ölproduktion entwickelt.
Philipp Arbter, Colipi:
»Und das passiert in einem zweiten Bioreaktor hier. Da wird das CO₂ rein geleitet und von anderen Mikroorganismen aufgenommen. Diese Mikroorganismen dienen dann den Hefen wieder als Futter. Das heißt, wir haben ja wirklich einen Kreislauf und einen möglichst guten CO2-Fußabdruck.«
Ab 2050 möchte Colipi eine Million Tonnen klimafreundliches Öl in riesigen Bioreaktoren in Europa produzieren. Dann sollen viele Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle aus der Industrie verwertet werden. Der Flächenverbrauch wäre laut der Gründer wesentlich geringer als beim konventionellen Palmölabbau. Und die Preisschwankungen, die mit den komplexen Lieferketten einhergehen, entfielen auch.
Maximilian Webers, Colipi:
»Die Industrie möchte keine Unsicherheit haben, die möchte am besten einen planbaren Preis haben u nd eine planbare Verfügbarkeit. Und genau das kann man durch biotechnologische Verfahren bewirken, weil wir ja lokal produzieren, mit lokalen Rohstoffen, sehr planbar, mit einer kurzen Lieferkette.«
Die Kosmetik- und Lebensmittelindustrie ist laut den Colipi-Gründern interessiert an einem nachhaltigen Ersatz für Palmöl. Auch andere Start-ups forschen deshalb schon an Alternativen aus dem Labor. Doch bis Unternehmen im großen Stil Öl aus dem Bioreaktor einsetzen, wird es wohl noch Jahrzehnte dauern.
Zeit, die die Regenwälder laut Naturschutzorganisationen nicht mehr haben. Händler, Produzenten und Industrie sitzen deshalb seit 2004 gemeinsam mit dem WWF am sogenannten »Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl«, kurz RSPO. Dessen Mitglieder erklären sich freiwillig dazu bereit, entlang der Palmöl-Lieferkette mehr für Naturschutz und Menschenrechte zu tun. Bis 2020 wollten viele große Marken weltweit nur noch RSPO-zertifiziertes Palmöl in die Regale bringen.
Doch der WWF selbst zog zuletzt eine vernichtende Bilanz: Viele Unternehmen hielten sich nicht an die Zusagen. Der WWF fordert deshalb einen Kurswechsel – auch bei Verbrauchern. Sie sollen weniger kritische Produkte konsumieren. Laut der Naturschutzorganisation könnten die Deutschen die Hälfte ihres Palmöl-Verbrauchs einsparen, indem sie weniger Fertigprodukte, Fleisch und Süßes, und stattdessen mehr frische Lebensmittel essen und das Auto häufiger stehen lassen.
Solange Palmöl auf der ganzen Welt aber konsumiert wird wie bisher, produziert Indonesien auch weiterhin viel mehr davon, als es selbst braucht. Die Regierung hat den Exportstopp nach drei Wochen wieder gekippt – die Versorgungslage im Land sei gesichert.
Die teils arme Bevölkerung hatte nichts von der Maßnahme: Die Lebensmittelinflation stieg auch im Mai weiter an. Der Preis für die Palmölfrüchte der Kleinbauern ist hingegen nach wie vor im Keller. Denn die Händler sitzen nach dem Exportstopp noch auf vollen Lagern und können abwarten – bis sie ihr Palmöl für den bestmöglichen Preis in die ganze Welt verschiffen können.