»Partygate«-Affäre in Großbritannien Untersuchungsbericht kritisiert Lockdown-Feste der Regierung

Britischer Premierminister Boris Johnson
Foto: PETER CZIBORRA / REUTERSSelten wurde ein Untersuchungsbericht so gespannt erwartet: Nun hat die ranghohe Beamtin Sue Gray in Großbritannien die Ergebnisse ihrer Recherchen zur »Partygate«-Affäre veröffentlicht. In dem Zwischenbericht wirft sie den Verantwortlichen im britischen Regierungssitz Führungsversagen und schwere Regelbrüche vor.
Die Führungsriege habe es versäumt, sich an Standards zu halten, die zur Zeit der Corona-Lockdowns nicht nur von der Regierung, sondern von der gesamten Bevölkerung verlangt worden seien, hieß es in dem Bericht der Spitzenbeamtin. Der stark unter Druck stehende britische Premier Boris Johnson wird allerdings an keiner Stelle direkt kritisiert. Die Opposition forderte dennoch mit Nachdruck seinen Rücktritt; sie sieht durch den Bericht den Beweis erbracht, dass er gegen seine eigenen Regeln verstoßen und das Parlament hintergangen hat.
Problematisch für Johnson könnte sein, dass der Bericht manche Aussagen des Premierministers als äußerst zweifelhaft erscheinen lässt. So ist in dem Report unter anderem die Rede davon, dass es am 13. November 2020 zwei Treffen im Regierungssitz gegeben habe. Konkret darauf angesprochen hatte Johnson im Unterhaus im Dezember gesagt, an jenem Tag habe es keine Partys gegeben. Und ein Sprecher von Johnson Ehefrau Carrie hatte am Wochenende mitgeteilt, es sei unwahr, dass sie am 13. November 2020 in der Wohnung des Paares im Amtssitz eine Party gefeiert habe.
Insgesamt untersuchte Gray 16 Zusammenkünfte; zwölf davon sind Gegenstand der Polizeiermittlungen. Für ihren Bericht hat Gray mehr als 70 Personen interviewt, E-Mails und WhatsApp-Nachrichten sowie Fotos und Anwesenheitslisten ausgewertet. Dem Bericht zufolge hatten mehrere Mitglieder des Stabes im Regierungssitz Bedenken angesichts der Verhaltensweisen, die sie beobachteten. Aber sie hätten zeitweise das Gefühl gehabt, dies nicht thematisieren zu können.
Gray betonte, einige der Treffen hätten nicht stattfinden dürfen oder sich nicht in der Weise entwickeln dürfen, wie es letztlich geschah. Das Verhalten einiger Beteiligter sei »schwer zu rechtfertigen«. Es habe in verschiedenen Bereichen von Downing Street Nr. 10 und dem angegliederten Cabinet Office, der zentralen Regierungsbehörde, ein deutliches Führungsversagen gegeben. Außerdem sei offensichtlich zu wenig darüber nachgedacht worden, welches Gesundheitsrisiko einige Versammlungen bedeutet hätten und wie sie in der Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der landesweiten Notlage erscheinen würden.
Scotland Yard ermittelt parallel
Gray forderte: »Aus diesen Ereignissen müssen wichtige Erkenntnisse gezogen werden, die sofort regierungsweit angegangen werden müssen.« Damit müsse nicht auf das Ende der Polizeiermittlungen gewartet werden.
Scotland Yard führt parallel eigene Ermittlungen zu Zusammenkünften in der Downing Street durch. Deshalb hatte die Behörde die Beamtin gebeten, in ihrem Bericht auf diese Partys nur minimal Bezug zu nehmen. Daher gilt der Report als abgeschwächt gegenüber seiner ursprünglichen Version – worauf die Beamtin auch selbst Bezug nimmt. Was sie über einige Veranstaltungen sagen könne, sei »extrem eingeschränkt«. Es sei daher aktuell unmöglich, eine aussagekräftige Zusammenfassung all ihrer Informationen bereitzustellen.
Stattdessen nennt Gray konkrete Punkte, die sich ihrer Meinung nach in dem britischen Regierungssitz ändern sollten. »Exzessiver Konsum von Alkohol ist in einem professionellen Arbeitsumfeld zu keiner Zeit angemessen«, schrieb sie. Außerdem sei die Zahl der Mitarbeiter in der Downing Street stark gewachsen, allerdings gebe es keine klaren Zuständigkeiten, was reibungslosen Abläufen entgegenstehe.
Premierminister Johnson, der den Bericht am Montagmittag zugestellt bekam, wollte sich am Nachmittag (16.30 MEZ) im Londoner Unterhaus dazu äußern und sich Medienberichten zufolge am Abend mit der Parlamentsfraktion seiner Tory-Partei treffen. Sprechen mindestens 54 Abgeordnete dem Premier das Misstrauen aus, muss Johnson sich einer Abstimmung stellen. Durch die Abschwächung und die noch laufenden Polizeiermittlungen gilt dies jedoch aktuell wieder als unwahrscheinlicher.