Staatskrise in Peru Präsident verzweifelt gesucht

Intermimspräsident für nicht mal eine Woche: Manuel Merino dankte am Sonntag ab
Foto: Mariana Bazo / imago images/ZUMA WirePerus Volksvertreter sind mit ihrem Versuch gescheitert, sich nach dem Rücktritt von Interimspräsident Manuel Merino auf ein neues Staatsoberhaupt zu einigen. Das ist das enttäuschende Ergebnis einer mit Spannung erwarteten Abstimmung im Parlament. Die Hängepartie im Kongress verlängert damit die schlimmste politische und wirtschaftliche Krise in der jüngeren Geschichte des Andenstaats.
Die Abgeordneten waren aufgerufen, einen neuen Parlamentspräsidenten zu wählen, der verfassungsgemäß als Interims-Staatsoberhaupt die Nation bis Juli 2021 führen kann. Dann wird ein neuer Präsident ins Amt eingeführt, der im April gewählt wird.
Keine Linke als Präsidentin
Es gab eine einzige Liste mit Vertretern mehrerer Parteien, die von der Abgeordneten einer linken Splitterpartei angeführt wurde, der Menschenrechtsaktivistin und Hochschulprofessorin Rocío Silva Santisteban. Sie wäre die erste Präsidentin in der Geschichte Perus geworden. Doch dazu konnte sich die konservative politische Klasse des Landes nicht durchringen, Silva Santisteban verfehlte die nötige einfache Mehrheit.
Jetzt steht das Land vor einem gefährlichen Machtvakuum. Neue Protestmärsche gegen das politische Establishment sind zu erwarten, womöglich auch neue Gewalt. Am Samstag starben zwei junge Protestierende, peruanischen Presseberichten zufolge wurden sie von Polizisten mit scharfer Munition erschossen. Videos zeigen, wie Hubschrauber und Panzerwagen im historischen Zentrum von Lima mit Tränengas regelrecht Jagd auf Demonstranten machten.
Doch die lassen sich nicht einschüchtern. Die Proteste gegen die Absetzung von Präsident Martín Vizcarra am vergangenen Montag sind zu einer Volksbewegung angewachsen. Ein erstes Ziel haben sie erreicht: Am Sonntag trat Interimspräsident Manuel Merino, der Vizcarras Sturz gemeinsamen mit einer ultrarechten Politkamarilla eingefädelt hatte, zurück.

Aufgebrachte Peruaner protestieren gegen die Amtsenthebung von Präsident Vizcarra in Lima: Die politische Klasse kämpft um ihre Privilegien
Foto: Rodrigo Abd / dpaDer Traum von der Aufsteigernation ist geplatzt
Es war ein Sieg der »Generación Bicentinário«, wie Perus Jugend genannt wird, der »Generation der 200-Jahr-Feiern«. So heißt sie, weil sie eigentlich im kommenden Jahr den 200. Jahrestag der Unabhängigkeit bejubeln sollte. Der Andenstaat wollte sich feiern als Boomland Südamerikas, als eine Nation hoffnungsvoller junger Leute mit glänzender Zukunft.
Der Traum ist geplatzt. Jetzt sind es die Jungen, die fast 200 Jahre nach der Unabhängigkeit die Scherben einer beispiellosen Krise aufkehren müssen. Sie verachten die politische Klasse, der sie den Niedergang anlasten, und stellen den größten Teil der Demonstranten. Ihr Vertrauen in die traditionellen Parteien und politischen Institutionen ist gleich null. Dazu hat auch die Corona-Epidemie beigetragen: Die politische Klasse hat angesichts der Pandemie versagt.
Kein Land in Lateinamerika hat relativ gesehen mehr Corona-Tote zu beklagen als Peru, kaum ein anderes Land hat einen schlimmeren wirtschaftlichen Absturz erlebt. Die Pandemie hat das vom Establishment gepflegte Image der Aufsteigernation als Illusion entlarvt: Das öffentliche Gesundheitssystem ist weitgehend verfallen und von der Seuche hoffnungslos überfordert. Krasse Ungleichheit, Misswirtschaft und Korruption begünstigten die Ausbreitung des Virus.
Fünf Amtsvorgänger des abgesetzten Präsidenten Vizcarra verloren ihr Amt wegen Korruptionsskandalen, innerhalb von zwei Jahren wechselte Peru dreimal das Staatsoberhaupt, immer schneller drehte sich das Karussell. Gegen 68 der 130 Kongressabgeordneten wird wegen Korruption strafrechtlich ermittelt. Der Ruf des Parlaments ist ruiniert, die Parteien sind komplett diskreditiert.
Vizcarra machte Ernst im Kampf gegen die Korruption
Der abgesetzte Präsident Martín Vizcarra galt als Lichtblick im Korruptionssumpf: Zwar werden auch gegen ihn Vorwürfe erhoben; er soll während seiner Amtszeit als Gouverneur im Süden des Landes Bestechungsgelder von Baukonzernen angenommen haben. Er bestreitet das. Die große Mehrheit der Peruaner war Umfragen zufolge gegen seine Absetzung. Sie sah die Vorwürfe als Vorwand, um sich eines Staatschefs zu entledigen, der nicht mit der Mafia im Parlament paktieren wollte.
Denn Vizcarra hatte Ernst gemacht im Kampf gegen die Korruption: Er unterstützte Gesetzesinitiativen gegen die Wiederwahl und für eine Einschränkung der parlamentarischen Immunität. Eine Gruppe rechter Politiker, die ihre Interessen gefährdet sahen, kungelte daraufhin mit gleich gesinnten Abgeordneten seine Absetzung aus.
Viele peruanische Politiker verquicken private und öffentliche Interessen. Ihr Mandat missbrauchen sie zur Bereicherung und zur Zementierung ihrer Privilegien. Über zwanzig Parteien sind im Kongress vertreten, der Präsident ist ihnen ausgeliefert.
Rückkehr mithilfe der Justiz?
Perus politisches System ist dysfunktional: In keinem anderen Land ist es so leicht, sich auf legale Weise eines Präsidenten zu entledigen. In der Verfassung gibt es eine Klausel aus dem 19. Jahrhundert, die eine Art vereinfachtes Impeachment wegen »moralischer Unfähigkeit« ermöglicht.
Jetzt müssen die Abgeordneten einen Spagat vollbringen: Sie wollen einerseits eine Person zum Staatsoberhaupt bestimmen, die die Interessen ihrer eigenen Klasse befriedigt und nicht Gefahr läuft, bei der nächstbesten Gelegenheit ihres Amtes enthoben zu werden. Andererseits benötigen sie jemanden, der glaubhaft den Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch weiterführt, den Vizcarra begonnen hatte. Nur so könnte es gelingen, die Proteste bis zu den Wahlen eines neuen Präsidenten einzudämmen.
Es gäbe allerdings auch noch einen anderen Weg aus der Krise: Ex-Präsident Vizcarra hat das Verfassungsgericht angerufen. Die Richter wollen diese Woche entscheiden, ob seine Absetzung rechtmäßig war. Geben sie Vizcarra recht, könnte er womöglich ins Amt zurückkehren.