Corona-Pandemie auf den Philippinen "Jetzt ist die alte Welt untergegangen"

Auf den Philippinen ist die Demokratie in Gefahr. Präsident Duterte regiert wie ein Autokrat, in Zeiten von Corona erst recht. Die Journalistin Maria Ressa wehrt sich.
Ein Interview von Katrin Kuntz
Journalistin aus Leidenschaft: Maria Ressa

Journalistin aus Leidenschaft: Maria Ressa

Foto: Ted Aljibe/ AFP

SPIEGEL: Frau Ressa, Sie riskieren Ihr Leben, in dem Sie über den "Krieg gegen Drogen", Missstände und Korruption unter der Regierung von Rodrigo Duterte berichten. Gegen Sie sind acht politisch motivierte Verfahren wegen angeblichen Steuerbetrugs bis zu Verleumdung im Netz anhängig, die zu langen Haftstrafen führen könnten. Wegen Covid-19 wurde jetzt ein zentrales Gerichtsurteil verschoben. Verspüren Sie Erleichterung?

Ressa: Ich habe in diesem Jahr mehr Zeit mit Anwälten verbracht als mit Journalismus. Am 3. April sollte ich einen Gerichtstermin wegen einer Verleumdungsklage im Netz haben – eine lächerliche Sache, denn die Regierung verfolgt uns für eine alte Geschichte, die wir vier Monate bevor das Gesetz, das wir verletzt haben sollen, entstanden ist. Wegen des Lockdowns wurde dieser Termin auf unbestimmte Zeit verschoben. Die zweite Sache ist, dass ich seit der Pandemie endlich einmal schlafen kann.

SPIEGEL: Die vergangenen Jahre waren extrem stressig?

Ressa: Die Drohungen gegen unsere Nachrichten-Website Rappler laufen seit 2016. Ich habe seitdem jede Einladung angenommen, öffentlich zu sprechen, um Gerechtigkeit einzufordern. Und natürlich gibt uns Öffentlichkeit auch Sicherheit.

"Wir sind auf der richtigen Seite der Geschichte"

Maria Ressa

SPIEGEL: Sie haben 40 Anwälte engagiert, unter ihnen Amal Clooney. Bodyguards bewachen Sie. Dabei haben Sie zwei Staatsbürgerschaften, die amerikanische und die philippinische. Warum fliehen Sie nicht?

Ressa: Wir sind auf der richtigen Seite der Geschichte. Und wir waren vor Duterte da. Ich will, dass jedes Detail dieses Kampfes dokumentiert wird. Aber es stimmt, wenn wir vor Gericht alles verlieren, drohen mir 104 Jahre Haft. Was ich tue, um dem Druck stand zuhalten? Man muss sich vorstellen, wovor man am meisten Angst hat, es dann umarmen und weitermachen. Ich lache jetzt, aber das ist Galgenhumor.

Foto: Joel Saget/ AFP

Maria Ressa, 56, ist Chefredakteurin des 2012 gegründeten, philippinischen Online-Portals Rappler und gilt als eine der schärfsten Kritikerinnen von Präsident Duterte. Ressa, die für ihre furchtlose Berichterstattung vom US-Magazin Time 2018 zur "Person des Jahres" gewählt worden war, schreibt über Korruption und die Menschenrechtsverletzungen im sogenannten Anti-Drogen-Krieg Dutertes. Bevor sie die Plattform Rappler aufbaute, arbeitete Ressa rund 20 Jahre lang als investigative Reporterin für CNN in Südostasien mit einem Fokus auf Terrorismus.

SPIEGEL: Es gibt auf den Philippinen bislang offiziell mehr als 13.000 Infizierte und 842 Menschen, die an Covid-19 gestorben sind. Die Zahlen sind vergleichsweise niedrig. Ein Erfolg für Präsident Duterte?

Ressa: Die Regierung muss jetzt an handfesten Dingen arbeiten, um mit dem Virus klar zukommen. Sie muss das Vertrauen der Gesellschaft gewinnen, anstatt sie zu spalten. Beides sind Schwachpunkte. In den ersten Wochen des Lockdowns konnten wir sehen, dass die Propagandisten der Regierung keine Ahnung hatten, wie sie mit Menschen umgehen sollten, die wütend werden, wenn die Regierung nicht liefert.

SPIEGEL: Duterte hat einen der weltweit längsten und striktesten Lockdowns durchgesetzt, der sogar vier Tage länger dauern soll als der 76-tägige Lockdown in der chinesischen Stadt Wuhan. Warum diese Härte?

Ressa: Präsident Duterte nahm Covid-19 zunächst nicht ernst, obwohl es auf den Philippinen den ersten Toten außerhalb Chinas gab. Ein Mann, der aus Wuhan gekommen war . Trotzdem schränkte niemand Flüge aus China ein, um das Land nicht zu verärgern. Machtstrukturen dominierten diese Krise bei uns von Beginn an. Erst Mitte März verordnete Duterte einen Lockdown, als die Sache nicht mehr zu ignorieren war. Seitdem war bei den öffentlichen Verlautbarungen kein einziger Arzt anwesend. Auch das Testen auf Covid-19 liegt in der Hand eines Politikers. Alle Regelungen, die den Lockdown betreffen, werden vom Militär und der Polizei durchgesetzt.

SPIEGEL: Die Region um die Hauptstadt Manila mit ihren zwölf bis 13 Millionen Bewohnern ist im Gegenzug zu anderen Landesteilen noch unter einem relativ strikten Lockdown. Etwa 50 Prozent der Geschäfte nehmen langsam ihren Betrieb wieder auf, trotzdem droht eine schwere Rezession im Land. Wie geht es den Millionen Tagelöhnern?

Ressa: Für diese Menschen ist die Krise unfassbar hart. Ich denke, wir haben noch keine Ahnung von dem Ausmaß der Not. In einem Armenviertel bei Manila sind die Menschen vor Hunger auf die Straße gegangen. Die Regierung ließ etliche verhaften. Trotzdem habe ich unsere Reporter zunächst gebeten, zuhause zu bleiben. Ich bin auch verantwortlich für Ihre Sicherheit.

SPIEGEL: Der sogenannten "Krieg gegen Drogen", hat in den vergangenen Jahren bis zu 30.000 Tote gefordert, sagen Menschenrechtler. Dutertes Todesschwadronen haben es vor allem auf die Armen abgesehen. In den Slums leben jetzt zahlreiche Waisen, Frauen, die auf sich gestellt sind.

Ressa: Die Tötungen gehen weiter, nur erfährt die Öffentlichkeit kaum mehr davon. Es ist auch für uns Reporter zur Zeit sehr schwer, gesicherte Infos aus diesen Gemeinden zu bekommen. Wir hatten vor der Pandemie einen Präsidenten, der dazu aufforderte, vermeintliche Süchtige und Dealer zu erschießen, wenn sie sich widersetzten. Was passiert jetzt, wenn niemand hinschauen kann? Wir haben es hier mit einer Regierung zu tun, die alle definierten Normen ignoriert und stolz darauf ist.

Polizisten in einem Slum in Manila: Was passiert, wenn niemand hinschaut?

Polizisten in einem Slum in Manila: Was passiert, wenn niemand hinschaut?

Foto: Eloisa Lopez/ REUTERS

SPIEGEL: Seit Beginn des Lockdowns scheint Präsident Duterte sich mehr Sorgen über "undisziplinierte" Bürger zu machen als über Gesundheit. Sie haben im "Time"-Magazin davor gewarnt, dass die Maßnahmen gegen Covid-19 zum "Tod der Demokratie" führen könnten?

Ressa: Zu Beginn des Lockdowns forderte Duterte Sonderrechte ein. Am 24. März unterschrieb er ein Gesetz, das seine Macht ausweitet.

SPIEGEL: Er hat die Hoheit über Krankenhäuser und Verkehrsbehörden, den Staatshaushalt umgestalten und Privatunternehmen anweisen, der Regierung zu helfen. Kritiker sagen, dass die Befugnisse des Präsidenten viel weiter gehen als das, was er zur Bekämpfung des Virus bräuchte.

Ressa: In die Notstandsgesetze wurde ein Paragraf eingefügt, der auf freie Meinungsäußerung abzielt. Alles, was so interpretiert werden kann, als würde es Panik streuen oder Dissens ausdrücken, kann zur Verhaftung führen.

Priester hilft Obdachlosen in Manila: Widerständler erschießen

Priester hilft Obdachlosen in Manila: Widerständler erschießen

Foto: Eloisa Lopez/ REUTERS

SPIEGEL: Am 1. April, kurz nach der Ausrufung der Notstandsgesetze, rief Präsident Duterte die Polizei öffentlich dazu auf, Bürger, die sich den Auflagen des Lockdowns widersetzen, zu erschießen.

Ressa: Das geschieht tatsächlich. Aber die Menschen wurden sehr wütend, als sie Dutertes Appell hörten. Etliche Filipinos gingen online und verbreiteten den Hashtag #OustDuterte – jagt Duterte aus dem Amt. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, vor allem weil Duterte vor Covid-19 trotz allem hohe Beliebtheitswerte hatte. Wenn man allerdings nicht auf die Straße gehen kann, stirbt jeder Protest recht schnell wieder.

SPIEGEL: Warum ist es so schwer, Duterte zur Rechenschaft zu ziehen?

Ressa: Duterte ist ein ehemaliger Bürgermeister aus Mindanao, der seit 1987 immer wieder an der Macht war. Er regiert die Philippinen eher wie ein König. Unsere Institutionen waren hier immer sehr schwach und unter dem Terror des Präsidenten sind sie schließlich kollabiert. Es gab auf den Philippinen noch nie einen solch mächtigen Mann. Ich halte ihn für mächtiger als Diktator Ferdinand Marcos. Er kommt mit allem davon, weil die Politiker und Institutionen, die ein Gegengewicht bilden sollten, schweigen. Er kommt davon, weil die Filipinos es ihm erlauben. Doch wenn man seine Rechte einmal aufgibt, weiß man nicht, wann man sie wiederbekommt.

Kinder bei einem Krematorium in Manila: Verhaftung bei Protest

Kinder bei einem Krematorium in Manila: Verhaftung bei Protest

Foto: Maria Tan/ AFP

SPIEGEL: Duterte hat vor wenigen Wochen den größten, kritischen Fernsehsender ABS-CBN schließen lassen – angeblich wegen Linzenzproblemen. Millionen Menschen auf dem Land fehlt während der Pandemie jetzt eine unabhängige Informationsquelle. Wie gefährlich ist das?

Ressa: Die Firma beschäftigt 11.000 Arbeiter und macht 300 Millionen US-Dollar Umsatz im Jahr. Muss man sie in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit zumachen? Als Duterte ABS-CBN am 5. Mai schließen ließ, verhielt er sich wie Diktator Marcos im Jahr 1972. Mit dem Unterschied, dass er noch nicht einmal das Kriegsrecht ausrufen musste, um das zu tun.

SPIEGEL: Die Philippinen gehören zu den weltweit gefährlichsten Orten für Journalisten. Vor kurzem etwa starb ein Radiojournalist auf der Insel Mindanao, der die Verteilung von überteuerten Essenspaketen während des Lockdowns kritisiert hatte. Wie ist es soweit gekommen?

Ressa: Ich bin seit 34 Jahren Journalistin. Ganz am Anfang habe ich auf den Philippinen über den Wandel von einer autoritären Ein-Mann-Herrschaft hin zur Demokratie berichtet. Jetzt schwingt das Pendel in die andere Richtung. Und es ist sehr wichtig, was Facebook, YouTube, Google und Twitter dabei tun werden.

"Wenn wir in einer Blase leben und uns nicht auf dieselben Fakten einigen können, sprechen wir nicht mehr miteinander."

Maria Ressa

SPIEGEL: Was meinen Sie damit?

Ressa: Diese Technologien haben die Filter-Funktion von Journalisten übernommen, gleichzeitig weisen sie die Verantwortung von sich, wenn es darum geht, einen öffentlichen Raum zu schützen, in dem Demokratie lebt.

SPIEGEL: Anfang des Jahres haben Sie auf einer Konferenz in Deutschland gesagt: "Unser dystopischer Präsident ist eure dystopische Zukunft - wenn ihr nichts tut." Können Sie das erklären?

Ressa: Der Aufstieg Dutertes wurde zunächst durch Facebook möglich . 100 Prozent aller Filipinos, die Zugang zum Internet haben, sind auf Facebook. Facebook ist unser Internet und Duterte ist der erste Politiker, der die Plattform effektiv genutzt hat, um Desinformationsnetzwerke zu schaffen. Das geht über die Philippinen hinaus. Denn wenn wir in einer Blase leben und uns nicht auf dieselben Fakten einigen können, sprechen wir nicht mehr miteinander. So stirbt die Demokratie.

Regiert die Philippinen mit harter Hand: Präsident Rodrigo Duterte

Regiert die Philippinen mit harter Hand: Präsident Rodrigo Duterte

Foto: Andrew Harnik/ REUTERS

SPIEGEL: Facebook hat in der Coronakrise seinen Kampf gegen Fake News verstärkt. Das Portal blendet Nutzern, die Fehlinformationen zum Coronavirus geklickt haben, jetzt im Nachhinein Warnhinweise ein.

Ressa: Es stimmt. Wir sehen zum ersten Mal, dass Social Media-Plattformen falschen Content rausnehmen. Als sie es mit politischer Desinformation zu tun hatten, haben sie nicht so gehandelt. Erst jetzt merken sie, dass Lügen töten können, wenn sie keine Verantwortung für Inhalte übernehmen.

SPIEGEL: Was gibt Ihnen Hoffnung in diesen Zeiten?

Ressa: Unsere Welt vor der Pandemie war weder nachhaltig, noch empathisch. Unsere Wirtschaft war außer Kontrolle. Autoritäre Herrscher werden auch gewählt, weil der freie Markt viele auf der Strecke lässt. Jetzt ist die alte Welt untergegangen. Was wollen wir erschaffen? Und wie werden es erschaffen? Diese Fragen müssen wir uns jetzt stellen.

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