Polen verschärft Abtreibungsrecht "Die Hölle für Frauen"

Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Warschau: "Monströse weltanschauliche Konfrontation"
Foto: Attila Husejnow / dpaDie Front verlief am Donnerstagabend in der Warschauer Szucha-Allee vor dem Gebäude des Verfassungsgerichts: Auf der einen Seite der Barrikaden warfen begeisterte Abtreibungsgegner die Aktivistin Kaja Godek in die Höhe: "Polen ist ein Beispiel für Europa und für die ganze Welt", sagte atemlos die Mutter zweier Kinder, von denen eines das Downsyndrom hat.
Unweit davon demonstrierten wütende Frauen, viele in Schwarz: "Polen ist die Hölle für Frauen." Denn der Staat zwinge sie, selbst schwer kranke Kinder zur Welt zu bringen.
Die Frage der Abtreibungen ist eine von vielen, die die polnische Gesellschaft ideologisch spaltet in katholische Traditionalisten und Liberale. Manche Publizisten sprechen gar von einem polnisch-polnischen Bürgerkrieg. Und der wird sich wohl verschärfen, denn nun hat am Donnerstag das Verfassungstribunal einen Aspekt des Abtreibungsrechts für nicht verfassungskonform erklärt.
"Ein schwarzer Tag"
Danach sind Abtreibungen nicht mehr erlaubt, auch wenn der Fötus schwer und unheilbar geschädigt ist. 1100 Schwangerschaftsabbrüche hat es im vergangenen Jahr in dem katholischen Land offiziell gegeben, 1074 davon, weil der Fötus schwer geschädigt war. Nach dem Diktum des Verfassungsgerichts sind Schwangerschaftsabbrüche jetzt nur noch nach Vergewaltigungen möglich, oder wenn das Leben der Mutter durch die Schwangerschaft in Gefahr ist.
Die Verschärfung des Abtreibungsrechts wird in der polnischen Öffentlichkeit nicht in erster Linie als juristische Entscheidung des Verfassungsgerichts verstanden, sondern als politischer Schritt der nationalkonservativen PiS-Regierung. Er wird Frauen in Not bringen, wird sie zum Schwangerschaftsabbruch in den Untergrund oder ins Ausland treiben. Die Verschärfung des Abtreibungsrechtes wird zudem die Gesellschaft kulturell weiter auseinandertreiben.
"Ein schwarzer Tag", sagte eine Feministin dazu. Am Abend zogen tausend Demonstranten aus der Innenstadt in den Stadtteil Zoliborz vor das Haus von PiS-Chef und Vizepremier Jaroslaw Kaczynski. Polens starker Mann hatte sich dort soeben in Corona-Quarantäne begeben. Es gab Straßenschlachten, und auch für den Freitagabend haben Frauenverbände Demonstrationen angekündigt.
Kaczynskis PiS ist bereits in der zweiten Amtszeit an der Macht. Sie hat das Verfassungstribunal unter Kontrolle gebracht und stellt auch den Präsidenten. PiS hatte unter Kaczynskis Führung dem Ruf des rechten Flügels nach einer Verschärfung des Abtreibungsparagrafen lange widerstanden, entsprechende Gesetzesvorlagen in Ausschüsse verwiesen, wo sie vermodern sollten.
Denn ein restriktives Abtreibungsrecht ist selbst in Polen eigentlich unpopulär: In Umfragen sprach sich etwa die Hälfte der Befragten dafür aus, die bisher geltenden Regelungen unangetastet zu lassen. 28 Prozent wünschten sich eine Liberalisierung, nur 15 dagegen eine Verschärfung. Aber diese Minderheit hat einen starken Verbündeten: die katholische Kirche.
Sie hat PiS bei allen Wahlen offen unterstützt. Dass das Verfassungstribunal jetzt auf Initiative von 114 PiS-Abgeordneten die Verschärfung beschloss, hat wohl damit zu tun, dass Kaczynski die Kirche auf seiner Seite halten will. "PiS musste seine Schulden bezahlen", schreibt etwa die Publizistin Dominika Sitnicka.

in Szczecin protestieren Frauen gegen das faktische Abtreibungsverbot: "Ein schwarzer Tag"
Foto: AGENCJA GAZETA / REUTERSZur Abtreibung zu den Nachbarn
Seit 1997 galt das bisherige Abtreibungsrecht. Es ließ Schwangerschaftsabbrüche bei Vergewaltigungen, Gefahr für die Mutter und schweren Schädigungen des Fötus zu. Es war ein Kompromiss, der zwar viele Menschen unzufrieden ließ, aber für eine Mehrheit tragbar war.
"Bisher hatte eine Frau die Wahl, ob sie einen schwer geschädigten Fötus austragen wollte", sagt die Ärztin Kaja Filaczynska, die eine Petition von Kolleginnen und Kollegen an das Verfassungstribunal initiiert hatte. Jetzt aber seien Frauen gezwungen, die Schwangerschaft durchzustehen. Das gehe mit erheblichen medizinischen Risiken einher, könne die Chance auf Mutterschaft in Zukunft mindern.
Schon bisher sei das Abtreibungsrecht im europäischen Vergleich eher streng gewesen. Doch gebe es Frauenverbände und Organisationen, die helfen. "Eine gewisse Infrastruktur ist da", sagt Filaczynska. Experten schätzen, dass pro Jahr 80.000 bis 150.000 Polinnen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen. Es gibt eine Dunkelziffer illegaler Abtreibungen und viele Frauen suchen Hilfe bei den Nachbarn: "Sie reisen in alle Richtungen, in die Ukraine, die Slowakei, nach Tschechien und Deutschland. Besonders schwierig ist das natürlich für arme Frauen und solche aus kleinen Ortschaften", sagt Filaczynska.
Die falsche Zeit für eine "monströse weltanschauliche Konfrontation"
Gegner der Verschärfung werfen PiS vor, auf autoritäre Weise, ohne öffentliche Debatte und ohne Parlamentsbeschluss einer radikalen Position zum Durchbruch verholfen zu haben. Es sei die falsche Zeit, eine "monströse weltanschauliche Konfrontation" heraufzubeschwören, schreibt der konservative Publizist Boguslaw Chrabota. 13.000 neue Corona-Fälle wurden am Donnerstag registriert. Und Premier Mateusz Morawiecki muss wegen neuer Einschränkungen im öffentlichen Leben an die "nationale Solidarität" appellieren.