Abtreibungsverbot in Polen "Es geht ein Graben durch Familien"
Jan Puhl, DER SPIEGEL:
"PiS hat in diesem Fall ohne eine gesellschaftliche Debatte, über den Umweg des Verfassungstribunals, einen entscheidenden weltanschaulich für viele - Polen ist sehr katholisch – sehr wichtigen Bereich eine Entscheidung durchgesetzt, eine konservative Entscheidung. Und das wollen die Leute sich nicht gefallen lassen."
Seit Tagen gehen nahezu überall in Polen Menschen auf die Straße, um gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes zu demonstrieren. Am Wochenende versammelten sich hunderte Demonstranten vor dem Präsidentenpalast in Warschau, wiederholt kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Das überwiegend katholische Land erlebt zum ersten Mal auch Proteste direkt an und in Kirchen – wie hier in Warschau.
Zuvor hatte das polnische Verfassungsgericht das eh schon strenge Abtreibungsgesetz weiter verschärft. Bisher hatten Schwangere das Recht, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, wenn das Leben der Mutter direkt bedroht ist, nach einer Vergewaltigung und wenn der Fötus schwer geschädigt oder unheilbar krank ist. Ein missgebildeter oder geschädigter Fötus ist derzeit Anlass für so gut wie alle legalen Abtreibungen in Polen. Somit gilt nun ein faktisches Verbot der Eingriffe in Polen.
Jan Puhl, DER SPIEGEL:
"Diesen dritten Aspekt, diese medizinische Indikation, wurde jetzt vom Verfassungstribunal gekippt. Das empört nicht nur Frauen, wie gesagt, sondern auch viele Männer. Vor allem, weil das Ganze nicht als eine juristische Entscheidung eines Gerichtes daherkommt, das nur formal, sondern in Wahrheit eine politische Entscheidung ist. Denn die nationalkonservative regierende PiS dominiert personell das Verfassungstribunal schon seit einiger Zeit. (…)"
Offiziell gab es im Jahr 2018 nur etwa 1100 legale Schwangerschaftsabbrüche in Polen. Experten schätzen, dass bis zu 150.000 Schwangere entweder illegale Abtreibungen haben vornehmen lassen oder für den Eingriff ins europäische Ausland gereist sind – vor allem nach Tschechien, Deutschland und in die Ukraine. Das ist in Polen weithin bekannt. Doch auch etwas anderes treibt die Menschen jetzt auf die Straße.
Jan Puhl, DER SPIEGEL:
"Zudem steckt dahinter natürlich grundsätzlich der Konflikt: Was für ein Polen wollen wir eigentlich? Wollen wir ein Polen, das irgendwie traditionell auf katholischen Werten beruht, sich immer stärker auf die Nation zurückbesinnt? Oder soll Polen ein Land sein, in dem der Schutz von Minderheiten, Rechten, von Frauen, Gleichberechtigung, das Prinzip der Gleichberechtigung hochgehalten wird? Das ist die Meta-Ebene über dem konkreten Streit um das Abtreibungsrecht."
Polens Regierungspartei, die PiS, weiß, dass die von ihr vorangetriebene Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen unpopulär ist. Nach Umfragen aus dem vergangenen Jahr wollen mehr als 50 Prozent das Recht so beibehalten, wie es ist. Nur 15 Prozent seien für eine Verschärfung. Laut Beobachtern müsse PiS aber von Zeit zu Zeit auch den rechten Rand der Bevölkerung bedienen und symbolisch wichtige Entschlüsse fällen – auch um sich die Unterstützung der Kirche zu sichern.
Jan Puhl, DER SPIEGEL:
"Die Stimmung ist extrem aufgeladen in Polen. Schon eine ganze Weile geht ein Graben, man kann wirklich sagen, durch Familien. Es ist ein sehr polarisiertes politisches Klima. PiS fördert das auf der einen Seite, die stacheln das an, zum Beispiel durch Beschlüsse wie die sogenannten LGBT-freien Zonen, die in einigen Landstrichen eingeführt wurden. Auf der anderen Seite muss man ganz klar sagen: trotz der Heftigkeit der Proteste derzeit gefährdet das die PiS-Herrschaft nicht wirklich. Es macht sie vielleicht für den Moment unpopulär. Aber wie gesagt, bis zu den nächsten Wahlen ist noch eine Menge Zeit."