Die Justizreform der rechts-religiösen Netanjahu-Regierung in Israel bringt sogar im weit entfernten Berlin Demonstrantinnen und Demonstranten auf die Straße - am Rande des Staatsbesuchs des israelischen Ministerpräsidenten protestierten rund 500 Menschen am Brandenburger Tor, weit mehr als in den Wochen zuvor. Denn viele hier sehen die Demokratie in Israel in Gefahr.
Shlomit Yeshayahu ist eine der Organisatorinnen des Protests. Die 35 Jahre alte Sängerin lebt seit sieben Jahren in Berlin.
Shlomit Yeshayahu, Gesangslehrerin:
»Wir wollen uns solidarisch zeigen mit unseren Brüdern und Schwestern, die in Israel für die Demokratie und gleiche Rechte für alle demonstrieren.«
Es sind Hunderttausende, die in Israel seit Jahresbeginn auf die Straße gehen, um gegen eines der ersten großen Vorhaben der mittlerweile sechsten Regierung Netanyahu zu protestieren – eine Justizreform, die – so sehen es die Kritiker – die Gewaltenteilung in Israel infrage stellt.
Auch im zuständigen Parlamentsausschuss kam es bei Beratungen zu dem Gesetzesvorhaben zu Tumulten. »Schämt Euch«, skandieren die Oppositionspolitiker.
Die Justizreform würde bedeuten, dass zukünftig …
die Knesset, das Parlament Israels, Entscheidungen des Obersten Gerichts mit einer einfachen Mehrheit übergehen könnte. Wenn zum Beispiel das Gericht ein Gesetz für unrechtmäßig erklärt, könnte das Parlament diese Bewertung überstimmen.
Die Regierung erhält zudem mehr Einfluss auf die Ernennung der obersten Richter. Bisher bestimmt ein Gremium aus Politikern, Richtern und Mitgliedern der Anwaltskammern.
Außerdem plant die rechts-religiöse Koalition eine Gesetzesänderung, die es deutlich schwerer machen würde, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Auch hier würde der Einfluss des Höchsten Gerichts oder der Generalstaatsanwaltschaft beschnitten.
Ein gefährlicher Umbau des demokratischen Systems, sagen die Demonstranten. Der israelische Präsident Herzog warnt sogar vor einem drohenden Bürgerkrieg.
Isaac Herzog, Präsident Israel:
»Wer denkt, dass ein Bürgerkrieg, bei dem Menschenleben auf dem Spiel stehen, eine rote Linie ist, die wir nicht erreichen werden, hat keine Ahnung, wie nah dieser Abgrund im 75. Jahr des Staates Israel ist.«
Netanyahu hingegen argumentiert, die Justiz habe derzeit zu viel politischen Einfluss – und wiegelt bei seinem Berlin-Besuch ab.
Benjamin Netanyahu, Ministerpräsident Israel:
»Der Gedanke, der in Israel verbreitet wird, das sei ein Bruch mit der Demokratiee, ist nicht wahr. Israel bleibt eine liberale Demokratie, genauso stark und lebendig wie zuvor und wie es Europa heute ist, wir werden kein bisschen davon abweichen.«
Netanyahus großes Projekt hat wohl nicht zufällig mit der Justiz zu tun – er steht selbst wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht. Auch bei seiner neuen Koalition schritt das oberste Gericht ein und verhinderte die Ernennung des Innenministers Arje Deri wegen dessen krimineller Vergangenheit – unter anderem ging es um Verurteilungen wegen Bestechlichkeit, Korruption und Untreue.
All das beobachten Yael Hajos und Shlomit Yeshayahu von Berlin aus mit wachsender Sorge. Die beiden Israelinnen organisieren den Protest gegen Netanjahus Justizreform in der Hauptstadt. Wie für die Demonstranten in Israel geht es für sie um weit mehr als ein Gesetzesvorhaben – sondern um die Zukunft ihres Heimatlandes.
Shlomit Yeshayahu, Gesangslehrerin:
»Wir lieben Israel, wir können nicht unbeteiligt zusehen. Wenn es uns egal wäre, würden wir nicht protestieren. Das ist etwas, was die israelische Gesellschaft hoffentlich zu verstehen lernt – Kritik bedeutet Liebe.«
Netanyahus Koalition will den ersten Teil der Justizreform bis Ende März durch die Knesset bringen, noch vor der Pessach-Pause des Parlaments. Die Proteste, auch in Berlin, dürften also eher noch zunehmen.