Proteste in den USA Heizen Rechtsextremisten in Minnesota die Stimmung an?

Laut Donald Trump sind es Linksradikale, die die Proteste von Minneapolis zum Gewaltexzess gemacht haben. Jetzt häufen sich Indizien, dass noch ganz andere Extremisten die Wut der Straße nutzen.
Verdächtiger bei Festnahme: Er soll das Gerichtsgebäude in Nashville angezündet haben

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Foto: Twitter/ Metro Nashville PD

"RawStory" ist nicht die bekannteste oder renommierteste Medienadresse Amerikas. Aber sie ist eine Quelle, die von "New York Times" bis zum "Guardian" ungewöhnlich oft zitiert wird: Das kleine, als linksliberal geltende Medienunternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, besonders den Kräften am rechten Rand des politischen Spektrums der USA auf die Finger zu schauen. Dabei gelingen den Reportern der RawStory immer wieder Scoops.

So wie am Donnerstag, dem 28. Mai. Zwei Tage bevor US-Präsident Donald Trump damit begann, angeblich linksradikale Gruppierungen aus dem antifaschistischen Spektrum für die Gewaltexzesse in Amerikas Städten verantwortlich zu machen, outete RawStory als erstes Medium Provokateure ganz anderer Art. "Sie wollen ihren Bürgerkrieg"  war der Bericht überschrieben, und: "Boogaloo-Militante der extremen Rechten haben sich unter die George-Floyd-Proteste in Minneapolis gemischt".

Hinter dem Begriff Boogaloo verbirgt sich eine vergleichsweise jugendliche Bewegung aus dem Dunstkreis der amerikanischen "White Militia"-Rechtsradikalen. Anders als die sonst oft martialisches Schwarz oder Militäroutfits für den Kampfeinsatz vorziehenden rechten Schlägertruppen kleiden sich Boogaloo Bois vorzugsweise bunt - oft sogar in Hawaiihemden. Das macht es ihnen leicht, sich in alle möglichen Proteste und Demonstrationen hineinzumischen, ohne direkt aufzufallen. In Minneapolis, behauptete "RawStory", täten sie dies, um gezielt die Gewalt anzuheizen. Sie stünden hinter zahlreichen Attacken und Brandstiftungen.

Man könnte den Verweis auf die rechten Milizen als Schutzbehauptung von Links abtun. Linke und Antifa anzuprangern, nütze ja auch Donald Trump in seinem Wahlkampf, findet etwa die "Washington Post" und ist sich in dieser Hinsicht durchaus einig mit Nutzern rechtslastiger Social-Media-Foren in den USA: "Das wird den Demokraten nicht guttun", schrieb da in den letzten Tagen nicht nur einer. Im Klartext: Die vom eigentlichen Problem ablenkende Schuldzuweisung sei Wasser auf die Mühlen des Trump-Wahlkampfes.

Damit mal keine Missverständnisse aufkommen: Ein Boogaloo Boi zeigt Flagge bei einer Demonstration in Charlotte, North Carolina

Damit mal keine Missverständnisse aufkommen: Ein Boogaloo Boi zeigt Flagge bei einer Demonstration in Charlotte, North Carolina

Foto: LOGAN CYRUS/ AFP

Rund 20 Prozent aller Demonstrations- und Protestteilnehmer, sagt die Polizei von Minneapolis, seien in den letzten Tagen von Außen angereist. Doch aus welcher Ecke viele davon wirklich kommen, bekamen zuerst kleinere Medien vor Ort mit. Am 29.5. berichtete auch das stets sehr Straßen-nahe "Vice", dass Boogaloo Bois mit Hoffnungen auf einen "neuen Bürgerkrieg" darunter wären .

Am Folgetag interviewte Minnesota Public Radio News Anwohner in Minneapolis, die bewaffnete "Three Percenter" dabei beobachtet haben wollen , wie die gezielt einen Schnapsladen anzündeten. Anwohner, die das mit Blick auf mögliche Explosionen und Großbrände verhindern wollten, seien bedroht worden. Die berüchtigte Nazitruppe habe sich keine Mühe gemacht, ihre Identität zu verbergen: Sogar eine "3-Percent"-Aufschrift an einem Truck wurde angeblich beobachtet. Am Ende habe sich niemand getraut, gegen die Three Percenter vorzugehen. Die landesweit bekannte Rechtsradikalentruppe gilt als knallhart militant und gewaltbereit.

Immer mehr Zeugen berichten von Neonazi-Schlägern

Was passiert, wenn man solchen Leuten in die Quere kommt, mussten Teilnehmer einer friedlichen Kundgebung in Minneapolis Sonntagnacht erleben, wie am Montagmorgen "Vice" berichtete. Eine junge Frau habe mehrere junge, weiße Männer beim Verwüsten von Geschäften beobachtet. Als sie herüberging, um sie zur Rede zu stellen, habe man sie bedroht. Ein junger Afroamerikaner, der ihr zur Hilfe kam, sei - im Rahmen einer Demo gegen Gewalt gegen Schwarze - brutal zusammengetreten worden: Ein Handyvideo zeigt einen der Täter mit einer Eisenstange, ein anderer trug eine Machete. Erst Demo-Teilnehmer, die zur Hilfe eilten, hätten sie in die Flucht getrieben.

Rechts von der Demo: Andere Protestierende beobachten einen bewaffnet aufgelaufenen Boogaloo Boi bei einem Protest in Charlotte, North Carolina

Rechts von der Demo: Andere Protestierende beobachten einen bewaffnet aufgelaufenen Boogaloo Boi bei einem Protest in Charlotte, North Carolina

Foto: LOGAN CYRUS/ AFP

Spätestens seit Donald Trump am Samstag damit begonnen hat, die Antifa für das Anheizen der Stimmung verantwortlich zu machen, stellen nun immer mehr Politiker und Medien die Frage, was für Gruppierungen und Interessen dahinter denn stecken könnten. Dass die Proteste aus der verständlichen Wut über die Ermordung George Floyds begonnen hätten, stehe ja außer Frage, sagte am Sonntag auch Tim Walz, der Gouverneur von Minnesota. Inzwischen aber verfolgten da Radikale ihre ganz eigenen Interessen. Dass er vor allem Rechtsradikale im Blick hat, hatte er schon zuvor klargemacht.

Wer was gegen den Staat hat, spielt Trittbrettfahrer

Doch ganz so eindeutig ist das alles nicht - vor Ort vermischen sich offenbar Radikale verschiedenster Couleur. Dass die Trump-Regierung dabei die Aktivitäten Rechtsradikaler ausblende, sagte der ehemalige FBI-Top-Beamte Frank Figliuzzi dem TV-Sender MSNBC, halte er allerdings für einen Skandal.

Denn extrem Rechte wie Linke kämpfen da offenbar nicht mit-, aber durchaus nebeneinander gegen den ihnen verhassten Staat. "Aber welche?" , fragte die "New York Times" am Sonntag und schloss sich den Erkenntnissen von "RawStory" und "Vice" weitgehend an: Es gebe zahlreiche Hinweise darauf, dass Rechtsradikale hinter etlichen Eskalationsversuchen stünden. Nur Beweise gebe es eben nicht - und schon gar nicht auf eine rein rechte Unterwanderung der Proteste. Auch die von Trump und anderen beschuldigten "Anarchisten" seien nachweislich aktiv. In New York sollen sie bei gewalttätigen Protesten mit hochgradig organisierten Nachschublinien und der Vorbereitung informeller Erste-Hilfe-Stationen für Verletzte aufgefallen sein.

Dass da etwas zu befürchten sei, wussten FBI und andere Beobachter schon seit Tagen. In den Social-Media-Kanälen der Extremen aller Seiten hatte es kräftig rumort. Auf der Linken wurden unverhohlene Aufforderungen verbreitet, an bestimmten Protesten teilzunehmen. Auf der Rechten mischten sich in das Frohlocken darüber, dass die Eskalation den "Kollaps des multiethnischen Staates" beschleunigen könne, subtilere Botschaften. So veröffentliche die rechtsradikale Three-Percenter-Militia ein offizielles Statement , in dem sie sich von Gewalt bei den Protesten sogar distanzierte. Teilnehmen sollten ihre Mitglieder allerdings schon: Friedlich, versteht sich, "ohne Schlachtgebrüll, offen getragene Waffen und in weicher Kleidung". Ihre Gruppenführer ermahnte sie dazu, die Proteste strategisch zu planen: Bei An- und Abfahrt solle man auf Vollständigkeit durchzählen, man solle Kartenmaterial, Funkgeräte, medizinisches Material bereithalten und "Eintritts- und Fluchtpunkte" vorher festlegen.

Eine hochprofessionelle Vorbereitung, wie es klingt: "Vermeidet alle Gewaltakte", mahnen die Führer der Organisation noch, "aber wenn nötig, dann in Selbstverteidigung."

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Davon, wie die dann aussah, bekamen Polizeibehörden in verschiedenen Städten einen Eindruck. In Knoxville kassierten Polizisten eine Gruppe Weißer, die als Material für eine Demo, die in Plünderungen eskaliert war, unter anderem Heroin in großer Menge sowie sechs Handfeuerwaffen, zwei Schrotflinten und zwei Gewehre mitgebracht hatten.

In Nashville klickten am Sonntagabend kurz nach neun die Handschellen für einen 25-Jährigen (siehe Polizei-Tweet oben). Der junge Mann sieht sich mit vier Anklagen konfrontiert: einmal wegen ungehörigen Benehmens auf einer Demonstration, einmal wegen Vandalismus. Und zweimal wegen Brandstiftung. Das bekannteste wohl von ihm angezündete Gebäude war das Gericht in Nashville. Er sitzt nun in Untersuchungshaft, die Kaution wurde auf 760.000 Dollar festgelegt - für einen unter anderem wegen Heroinmissbrauchs und Kindesvernachlässigung Polizeibekannten wäre das wohl nicht einfach aufzubringen.

Völlig hoffnungslos muss seine Lage aber nicht sein. Sowohl im linken, als auch im rechten Spektrum beobachteten Polizeibehörden in den letzten Tagen Geld-Sammelaktionen für solche Fälle. Ob der Verein des 25-Jährigen eine solche Summe aufbringen kann oder will, bleibt allerdings abzuwarten. Das Emblem der Organisation, für die er kämpft, ist auf manchen Fotos seiner Verhaftung deutlich zu sehen. Das Tattoo an seinem Handgelenk weist ihn allerdings nicht als Antifa aus, die Donald Trump nun zur Terrororganisation erklären will.

Der mutmaßliche Brandstifter von Nashville ist offenbar bekennendes Mitglied der Neonazitruppe Three-Percenter.

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