Kremlkritiker Russisches Gericht verurteilt Nawalny zu weiteren neun Jahren Haft

Oppositionsführer Nawalny
Foto:Alexander Zemlianichenko / dpa
Der inhaftierte Putin-Gegner Alexej Nawalny ist zu weiteren neun Jahren Straflager mit besonders harten Strafbedingungen verurteilt worden. Ein Gericht in einer Strafkolonie östlich von Moskau verhängte am Dienstag die Haftstrafe gegen den 45-Jährigen. Zuvor hatte es ihn wegen Veruntreuung und Missachtung des Gerichts in einem früheren Verfahren für schuldig befunden.
In dem als politische Inszenierung kritisierten Verfahren sprach die Richterin den bekanntesten Gegner von Präsident Wladimir Putin am Dienstag laut Nachrichtenagentur Interfax unter anderem wegen Betrugs schuldig. Nawalnys Anwälte hatten Freispruch gefordert. Der Kremlkritiker hatte bereits die früheren Verfahren als politisch motiviert bezeichnet und sich für nicht schuldig erklärt.
Nawalnys Anwalt Gazeas: Geschehnisse in Russland »grotesk«
»Dass es ein reiner Schauprozess ist, der da stattfindet, wussten wir von Beginn an. Nun haben wir weiteren, eindeutigen und belastbaren Beweis dafür«, sagte Nikolaos Gazeas, der deutsche Anwalt von Alexej Nawalny, dem SPIEGEL. »Was in diesem Willkürstaat geschieht, ist geradezu grotesk.«

Journalisten verfolgen die Entscheidung des Gerichts
Foto: Sergei Fadeichev / ITAR-TASS / IMAGOKurz nach dem Urteil des Gerichts nahm die Polizei zwei anwesende Anwälte Nawalnys – Olga Mikhailova und Vadim Kobzev – fest, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Nawalny ist in einem Straflager etwa hundert Kilometer östlich von Moskau inhaftiert. Dort sitzt er bereits eine zweieinhalbjährige Strafe in einem anderen Verfahren ab. Der neue Prozess war seit Mitte Februar in einem improvisierten Gerichtssaal in der Strafkolonie abgehalten worden. »Nawalny hat Betrug begangen – den Diebstahl von fremdem Eigentum durch eine organisierte Gruppe«, sagte Richterin Margarita Kotowa.
»Angst vor dem, was ich sagen werde«
Die russischen Behörden hätten »Angst vor dem, was ich sagen werde«, sagte Nawalny zum Prozessauftakt. Deshalb werde der Prozess hinter verschlossenen Türen in der Strafkolonie abgehalten.
Das Team des Kremlgegners sieht das Vorgehen der russischen Justiz als weiteren Versuch an, Nawalny mundtot zu machen. Es handele sich um ein von Putin und der Präsidialverwaltung in Moskau gesteuertes Verfahren, sagte die Sprecherin des Oppositionellen, Kira Jarmysch. »Erst hat er (Putin) versucht, Alexej zu töten, und als das scheiterte, hat er entschieden, ihn für immer im Gefängnis zu halten.«
Genesung in Deutschland nach Anschlag
Der Kremlgegner hatte einen Mordanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok im August 2020 nur knapp überlebt. Präsident Putin wies eine Beteiligung zurück. Die EU hatte wegen des Attentats Sanktionen gegen Russland verhängt.
Nawalny war nach seiner Genesung in Deutschland, wo ihn die damalige Kanzlerin Angela Merkel in der Charité in Berlin besucht hatte, vor mehr als einem Jahr nach Russland zurückgekehrt. Er wurde am 17. Januar 2021 am Flughafen in Moskau festgenommen, weil er gegen Auflagen in einem anderen Strafverfahren verstoßen haben soll.
Die russische Justiz hatte ihm vorgeworfen, während seiner Genesung in Berlin in der Heimat gegen Meldeauflagen verstoßen zu haben. Ein Gericht wandelte daraufhin eine Bewährungsstrafe aus einem früheren Verfahren wegen angeblichen Betrugs in Straflagerhaft um. Die mehrjährige Haftstrafe verbüßt er in einem Straflager in Pokrow rund hundert Kilometer östlich von Moskau.
»Unmöglich, Zugang und Kontakt zu ihm zu haben«
Nawalnys Sprecherin Jarmysch befürchtet, dass er nun als »Wiederholungstäter« eingestuft und in ein Lager mit härteren Haftbedingungen deutlich weiter weg von Moskau gebracht werden könnte. »Es wird dann praktisch unmöglich sein, Zugang und Kontakt zu ihm zu haben«, sagte Jarmysch.
Bisher gelingt es dem Politiker immer wieder, über seine Anwälte Botschaften an die Öffentlichkeit zu bringen. So wurden zuletzt auch Nawalnys Aufrufe zu Protesten gegen Putins Krieg gegen die Ukraine in sozialen Netzwerken verbreitet.
Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte den Prozess als Farce verurteilt. Es handele sich um ein »Scheinverfahren, an dem statt Medien Gefängniswärter teilnehmen«. Es sei »offensichtlich, dass die russischen Behörden sicherstellen wollen, dass Nawalny das Gefängnis so bald nicht verlassen wird«.