Pressekonferenz zum Jahrestag des russischen Feldzugs Selenskyj sieht in Chinas Initiative keinen Friedensplan

Selenskyj bei der Pressekonferenz
Foto: IMAGO/STR / IMAGO/NurPhotoChina regt in einem Positionspapier einen Waffenstillstand in der Ukraine und Verhandlungen an – aber der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj glaubt nicht, dass das Dokument zum Frieden verhilft. »Mir scheint, dass das kein Friedensplan Chinas war«, sagte Selenskyj bei einer Pressekonferenz zum Jahrestag des russischen Angriffskriegs gegen sein Land in Kiew. Es sei aber schon »nicht schlecht«, dass China angefangen habe, über die Ukraine zu sprechen.
»Es gibt ein paar Punkte, die ich verstehe. Es gibt Gedanken, mit denen ich nicht übereinstimme, mit denen die ganze Welt nicht einverstanden ist. Aber trotzdem ist es schon einmal etwas«, sagte Selenskyj. Wichtig sei, dass die territoriale Unversehrtheit von Staaten und die atomare Sicherheit zum Thema gemacht würden. Selenskyj sagte auch, dass er vorhabe, sich mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping zu treffen.
China hatte das Positionspapier zum Jahrestag der russischen Invasion an diesem Freitag veröffentlicht und darin einen Waffenstillstand und Verhandlungen angeregt. Russland hatte das begrüßt, verlangt für Verhandlungen aber ein Ende der westlichen Waffenlieferungen in die Ukraine. Am Donnerstagabend forderte die Uno-Generalversammlung in New York mit einer Mehrheit von 141 Staaten in einer Resolution einen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. China enthielt sich dabei.
Der Präsident wirkte fast erleichtert
Selenskyj hielt zum Jahrestag eine dreistündige Pressekonferenz im Interkontinental-Hotel in Kiew. SPIEGEL-Reporter Thore Schröder zählte mehr als 60 Kamerateams. Der Präsident schien darauf zu achten, Journalistinnen und Journalisten aller vertretenen Nationen Fragen stellen zu lassen und antwortete immer wieder auch auf Englisch.
Selenskyj war sowohl konzentriert als auch stellenweise zu Scherzen aufgelegt. Er wirkte sogar fast erleichtert – womöglich, weil es am Jahrestag keine schweren Luftangriffe gegeben hatte, anders als es viele erwartet hatten. Auf eine Frage eines deutschen Journalisten, ob sich Selenskyj inzwischen sicherer fühle oder sein Leben weiter bedroht sehe, witzelte der Präsident, er habe immer gedacht, dass die Deutschen besser wüssten, was im Kopf des russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgehe.
Selenskyj will engeren Kontakt mit Ländern in Lateinamerika und Afrika
Selenskyj forderte die internationale Gemeinschaft zu einer breiten Teilnahme an einem Gipfel zu seinem Friedensplan auf. »Je mehr Länder mitmachen, desto mehr Unterstützung haben wir«, sagte er. An dem Gipfel sollten nicht nur die Partner der Ukraine im Westen teilnehmen, sondern auch die Staaten Lateinamerikas, afrikanische Länder sowie China und Indien, sagte er. Er stellte sogar einen Besuch in Lateinamerika in Aussicht. In Bezug auf Israel sprach er von einer Verbesserung der Beziehungen. Ein Termin für den Gipfel steht noch nicht fest.
Selenskyj forderte für den Frieden den vollständigen Abzug russischer Truppen vom ukrainischen Staatsgebiet, die Freilassung aller Kriegsgefangenen, ein Tribunal gegen russische Kriegsverbrecher sowie Sicherheitsgarantien für die Ukraine. An die USA gerichtet, warnte er, wenn diese der Ukraine nicht beistünden, würde der Krieg näher an die Nato heranrücken, und es könnten bald Nato-Länder angegriffen werden.
»Die wichtigste Sache ist für mich, dass ich meine Familie nicht enttäusche«
Der für ihn persönlich bislang schlimmste Moment des russischen Krieges sei das Massaker von Butscha an Zivilisten, sagte Selenskyj. Das sei der schrecklichste Tag gewesen. Er erinnerte an die Bilder von toten Zivilisten, die in dem Vorort von Kiew teils mit auf dem Rücken gefesselten Händen gefunden worden waren. Der beste Moment des Krieges liege noch vor ihm, sagte Selenskyj. Das werde dann der »Tag des Sieges«.
Selenskyj antwortete auch auf eine Frage zur größten Enttäuschung seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar vor einem Jahr. Viele Menschen hätten die Hauptstadt Kiew und das Land verlassen, ohne Widerstand zu leisten, sagte Selenskyj. »All diese Leute haben mich enttäuscht«, sagte er. Zugleich räumte er ein, selbst immer wieder Fehler zu machen. Das passiere, weil er von früh bis abends arbeite. Wichtig sei allerdings, keine fatalen Fehler zu machen. Er wünschte, dass ins Ausland geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer wieder ins Land zurückkehren mögen, um beim Wiederaufbau zu helfen.
Gegen Ende der Veranstaltung betonte Selenskyj, wie viel ihm seine Frau, seine Kinder und Eltern bedeuteten, auch wenn er sie derzeit nicht oft sehe: »Die wichtigste Sache ist für mich, dass ich meine Familie nicht enttäusche.«