Russlands Ministerpräsident Putins Neuer

Michail Mischustin: effektiver Beamter
Foto: YURI KOCHETKOV/ EPA-EFE/ REXNatürlich wurde Michail Mischustin mit großer Mehrheit ohne Gegenstimmen vom Parlament zu Russlands neuem Premier gewählt. Schließlich ist er der Kandidat von Präsident Wladimir Putin, das Votum also eine Formsache.
Mischustin, wer ist das? Das fragte sich wohl manch einer in Russland, als er Stunden zuvor das erste Mal den Namen des neuen Regierungschefs hörte. Der breiteren Öffentlichkeit war der bisherige Leiter der Bundessteuerbehörde bislang nicht bekannt. Aber genau deshalb passt er so gut in Putins wohlinszenierten Machttransfer, der am Donnerstag nun den nächsten Schritt nahm. Putin hatte einen Tag zuvor Maßnahmen verkündet, die auch nach dem Ende seiner Präsidentschaft 2024 seine Macht absichern sollen. Dafür setzt er – neben Verfassungsänderungen, die er per Votum bald bestätigen lassen will – auch auf Mischustin.
Der 53 Jahre alte Beamte soll vor allem eines: die gestiegenen Erwartungen der russischen Bevölkerung bedienen - und so etwas gegen den Unmut tun, mit dem Putin nach 20 Jahren konfrontiert ist. Das ist insbesondere vor den für 2021 geplanten Dumawahlen wichtig, gilt es doch, die absolute Mehrheit im Parlament zu halten.
Doch viele Russen sind ob der Situation im Land ernüchtert: Auf die reichsten zehn Prozent der Bürger entfallen laut dem Global Wealth Report 83 Prozent des Privatvermögens in Russland. Vor allem in den ländlichen Regionen leben viele Russen unter dem Existenzminimum, zudem sinken die Realeinkommen.
"Heute gibt es in der Gesellschaft klare Forderungen nach Veränderungen“, formulierte es der Präsident in seiner Rede. Dabei hatte Putin vor Beginn seiner vierten Amtszeit noch "ein Jahrzehnt mit glänzenden Siegen“ versprochen. Vielen fällt das immer schwerer zu glauben, zumal Putin den Staat, die sogenannte Machtvertikale, ganz auf sich zugeschnitten hat.
Vorgänger Medwedew habe gehen müssen, weil er zu „toxisch“ für den Präsidenten geworden sei, sagt Tatjana Stanowaya, Politikexpertin vom Moskauer Carnegie Center. So unbeliebt war Medwedew inzwischen geworden, dass er als Premier zu einer Belastung für die Führung wurde. Mit einem Korruptionsskandal um Villen und Weingüter im Ausland und deplatzierten Aussagen sorgte er für Unmut. So sagte er einer Rentnerin auf der annektierten Krim, „Geld gibt es nicht, halten Sie durch“. Einem Lehrer, der nach höheren Gehältern für seinen Berufsstand fragte, empfahl er, in die Wirtschaft zu gehen. Nicht nur die Zustimmungsraten für Medwedew und dessen Regierung litten, nach der unpopulären Rentenreform fielen auch die von Putin.
Für etwas Glanz soll nun Mischustin sorgen und so Putins Macht stabilisieren.
Paradebeispiel eines erfolgreichen Beamten
Der Moskauer gilt als Manager, als professioneller und effektiver Macher mit internationalen Kontakten, was nun vor allem in Wirtschaftskreisen betont wird. Auffällig ist seine tiefe Stimme, kurz und direkt beantwortet er Fragen, die manch ein russischer Beamter ausweichend und lang beantworten würde.
Auch in Russland ist er gut vernetzt - auch wenn er kein Mann aus Putins engem Umfeld ist, werden ihm aber gute Kontakte zu Vertretern der Sicherheitsbehörden nachgesagt. Die Zeitung RBK berichtete, dass er regelmäßig Eishockey mit hochrangigen Mitgliedern des Inlandsgeheimdiensts FSB und Innenministeriums spiele. Mischustin sitzt zudem mit dem einflussreichen Rosneft-Chef Igor Setschin im Aufsichtsrat des Eishockeyclubs ZSKA Moskau.
Als Premier soll er nun für eine effektivere Regierung und Erfolge im Kampf gegen Armut und Ungleichheit sorgen. Anders als sein Vorgänger Medwedew ist er ein Experte, ein Fachmann für Digitalisierung und Steuern. Keiner mit politischen Erfahrungen und Ambitionen, wie mehrere Politologen betonen.
Nicht nur deshalb ist Putins Wahl logisch. Mischustin ist, wenn man so will, das Paradebeispiel eines erfolgreichen Beamten. 2010 war er zum Leiter der Bundessteuerbehörde berufen worden, auf Vorschlag vom damaligen Vizepremier und Finanzminister Alexej Kudrin, einer der liberalen Funktionsträger im Land. Mischustin vollzog dann das, was man in einem Land wie Russland kaum erwartet hätte, wo das Zahlen von Steuern nicht unbedingt weit verbreitet war: Er reformierte das russische Steuersystem und digitalisierte es. So kann die Föderale Steuerbehörde in Echtzeit nachvollziehen, wo und wann ein Kunde einen Kaffee im Restaurant bezahlt, und somit die Mehrwertsteuer erfassen, wie Mischustin stolz selbst einem Reporter der „Financial Times“ vorführte.
Mischustin, gelernter Systemtechniker, Computerexperte und promovierter Wirtschaftswissenschaftler, hat ein Steuersystem in Echtzeit geschaffen. Es soll eines der modernsten der Welt sein, wie auch das Staatsfernsehen nun herausstellt.
Zwar gab es auch während seiner Zeit Korruptionsskandale in den Steuerbehörden der Regionen, dennoch gilt er als Reformer. Die Zahl der Steuerprüfungen bei Unternehmen und Geschäftsleuten sank unter Mischustins Führung stark, diese hatten sich immer wieder über behördliche Willkür beklagt. Mischustin vereinfachte zudem die Verfahren für Selbstständige. Die Steuereinnahmen sind seitdem gestiegen, Mischustin sprach bereits Ende 2018 in einem Interview von einem Wachstum von fast 70 Prozent innerhalb von fünf Jahren.
Mischustin trat 1998 in den Staatsdienst ein - eine kurze Auszeit brachte ihn für zwei Jahre in das private Vermögensmanagement. Nach offiziellen Angaben verdiente der Beamte im Jahr 2018 19 Millionen Rubel, rund 270.000 Euro. Seine Frau, die in der Privatwirtschaft tätig ist, zweieinhalb Mal so viel. Ihnen wird ein großes Anwesen bei Moskau zugeschrieben. In der Duma kündigte er am Donnerstag an, die Hürden für die Wirtschaft abzubauen und den Staat in eine "digitale Plattform" für seine Bürger umwandeln zu wollen.

Wladimir Putin und Michail Mischustin: erster Besuch beim Präsidenten
Foto: Alexei Nikolsky/ Alexei Nikolsky/ Sputnik/ Kremlin/ DPAWelchen Spielraum hat der Neue?
Inwieweit der neue Premier Russland verändern kann, hängt von Putin ab. Er ist es, der entscheidet. Dass Putin nach so vielen Jahren an der Macht einen Kurswechsel hin zur Stärkung von Privatwirtschaft und Mittelstand vollziehen wird, hält kaum ein Beobachter für realistisch. Denn, so ist die Annahme im Kreml, das Gewähren wirtschaftlicher Freiheit würde auch der Forderung nach politischer Freiheit Auftrieb geben. Zuletzt hatte die russische Führung Proteste der Opposition mit Polizeigewalt und Repressionen beantwortet.
Regierungschef Mischustin wird also schauen müssen, welche Spielräume ihm der Präsident lässt. Für den zählt aber vor allem eines: Loyalität.
Medwedew hat er dafür belohnt. Für den Ex-Premier schuf Putin einen neuen Posten im mächtigen Sicherheitsrat, machte Medwedew zum Vizechef. Damit bindet der Präsident Medwedew weiter eng an sich. Welche Rolle für ihn nach 2024 vorgesehen ist, weiß wohl nur einer: Putin selbst.