Krieg in der Ukraine Russische »Umgruppierungen«, schleppende Evakuierungen – das geschah in der Nacht

Russlands Truppen wollen sich verstärkt in Richtung Charkiw formieren. Vor allem Menschen aus Kiew flüchten. Und der ukrainische Präsident Selenskyj lobt jene Russen, »die nicht aufhören, die Wahrheit zu sagen«. Der Überblick.
Einsatzkräfte an einem beschädigten Haus in Charkiw

Einsatzkräfte an einem beschädigten Haus in Charkiw

Foto:

Pavel Dorogoy / AP

Russische Truppen nehmen offenbar die Stadt Charkiw verstärkt ins Visier. Viele Menschen in der Ukraine versuchen indes weiterhin, besonders umkämpfte Regionen zu verlassen. Etwa 4000 Flüchtlinge, die meisten davon aus der Hauptstadt Kiew, sind am Montag in sicherere Gebiete gebracht worden. Zudem gibt es neue Berichte über Todesopfer durch Angriffe – unter anderem sollen Fahrzeuge mit flüchtenden Zivilisten beschossen worden sein.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj droht Russland derweil mit heftiger Vergeltung – und lobt diejenigen Bürger des Landes, die sich gegen den Krieg auflehnen. So nannte er eine Frau, die mit einem Protestplakat im russischen Staatsfernsehen für eine Unterbrechung der Hauptnachrichtensendung gesorgt hatte. Die Mitarbeiterin war während der Liveübertragung am Montag um 21 Uhr Moskauer Zeit hinter einer Nachrichtensprecherin ins Bild getreten und hatte ein Schild mit der Aufschrift »Stoppt den Krieg« hochgehalten.

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Anschließend brach die Übertragung ab und es wurden Bilder aus einem Krankenhaus gezeigt. Die Frau soll festgenommen worden sein.

Die wichtigsten aktuellen Entwicklungen im Überblick:

Was in den vergangenen Stunden geschah

In der Ukraine gehen die Bombardierungen und Blockaden wichtiger Städte weiter. Die Behörden der Stadt Charkiw berichteten, dass bei einem russischen Luftangriff zwei Menschen getötet und ein weiterer verletzt wurde. Dem ukrainischen Generalstab zufolge plant Russland verstärkte »Umgruppierungen« seiner Truppen in Richtung Charkiw.

In Tschuschujew südöstlich der Stadt wurde demnach außerdem ein 15-Jähriger bei einem Angriff auf eine Jugendeinrichtung getötet.

Bei einem Angriff auf einen Fernsehturm unweit der Großstadt Riwne wurden ukrainischen Angaben zufolge zudem neun Menschen getötet. Durch den Raketeneinschlag seien im Ort Antopil im Nordwesten der Ukraine zudem neun weitere Menschen verletzt worden, teilte die regionale Militärverwaltung auf Facebook mit. Getroffen worden sei neben dem Fernsehturm auch ein nahe gelegenes Verwaltungsgebäude. Die Aussagen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Die ukrainischen Behörden warfen Russland vor, Fahrzeuge mit flüchtenden Zivilisten aus dem Ort Hostomel bei Kiew mit Mörsern beschossen zu haben. Dabei seien eine Frau getötet und zwei Männer verletzt worden. Die Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen.

Unterdessen hat die russische Marine nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums »eine Blockade in einiger Entfernung von der ukrainischen Schwarzmeerküste errichtet«.

Die ukrainische Armee bestritt einen Raketenangriff auf die von prorussischen Separatisten gehaltene Stadt Donezk, in der nach russischen Angaben mehr als 20 Menschen getötet wurden. In der benachbarten Region Luhansk, ebenfalls seit 2014 teilweise unter der Kontrolle der Separatisten, sei indessen der gesamte bislang von der Ukraine gehaltene Teil »unter Beschuss«, teilte der ukrainische Militärchef Sergej Gaidai mit. Er beschuldigte die Russen, »Häuser, Krankenhäuser, Schulen, Wasser-, Gas- und Stromnetze« sowie Züge anzugreifen, die täglich rund 2000 Zivilisten in den Westen evakuieren.

Die Regierung in Kiew hat zudem über den Stand der Evakuierungen aus besonders umkämpften Städten und Dörfern informiert: Am Montag hätten nur sieben der geplanten landesweit zehn Fluchtkorridore funktioniert, sagte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk nach Angaben der Agentur Unian. Insgesamt seien dabei rund 4000 Menschen in sicherere Gebiete gebracht worden. Die meisten Zivilisten kamen den Angaben zufolge aus der Region Kiew (2028).

Eine Frau läuft an einem beschädigten Haus in Mariupol vorbei

Eine Frau läuft an einem beschädigten Haus in Mariupol vorbei

Foto: Evgeniy Maloletka / AP

Über Evakuierungen aus Mariupol gibt es unterschiedliche Angaben. Laut Wereschtschuk scheiterten sie bisher weitgehend. Zudem werde eine Hilfskolonne mit Medikamenten und Wasser für die belagerte Hafenstadt weiter blockiert. Dagegen sagte der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Kyrylo Tymoschenko, dass am Montag rund 160 Autos von Zivilisten über einen Fluchtkorridor Mariupol verlassen hätten. Die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine berichtete über Tymoschenkos Aussagen. Demnach seien seit Kriegsbeginn insgesamt fast 150.000 Zivilisten aus von russischen Truppen belagerten Regionen in Sicherheit gebracht worden.

Das sagt Kiew

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will Russland für die schweren Kriegshandlungen zur Verantwortung ziehen. Das teilte er in einer neuen Videobotschaft mit. »Wir arbeiten mit den Partnern an neuen Strafmaßnahmen gegen den russischen Staat«, sagte er. »Jeder, der für den Krieg verantwortlich ist. Jeder, der für die Zerstörung der Demokratie verantwortlich ist. Jeder, der für Repressionen gegen Menschen verantwortlich ist. Jeder bekommt eine Antwort.«

Russland beginne zu erkennen, dass es mit dem Krieg nichts erreichen werde. »Einen solchen Widerstand hatten sie nicht erwartet. Sie glaubten ihrer Propaganda, die seit Jahrzehnten über uns lügt.«

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Der ukrainische Präsident rief die russischen Soldaten auf, die Waffen niederzulegen. Er zeigte sich zudem jenen Russen dankbar, »die nicht aufhören, die Wahrheit zu sagen«, meinte Selenskyj unter Verweis auf Antikriegsproteste in Russland und jene Frau, die die Nachrichtensendung im russischen Staatsfernsehen unterbrochen hatte.

Zuvor hatte Selenskyj dem Parlament einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem das Kriegsrecht ab dem 24. März um weitere 30 Tage verlängert werden soll.

Ein Berater Selenskyjs teilte mit, dass er von einem Kriegsende Anfang Mai ausgehe. Oleksiy Arestowitsch sagte in einem Video, das von mehreren ukrainischen Medien veröffentlicht wurde, der genaue Zeitplan hänge davon ab, wie viele Ressourcen der Kreml bereitstellen werde.

Ein weiterer Berater des ukrainischen Präsidenten sagte unterdessen, dass die Ukraine bei Verhandlungen mit Russland Sicherheitsgarantien für die Zukunft anstrebe. »Wir wollen, dass sich diese Situation nie wiederholen kann«, sagte Ihor Showkwa in den ARD-»Tagesthemen«. In den Verhandlungsrunden seien zuletzt Überlegungen »über eine mögliche friedliche Lösung, mögliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach Beendigung der Kriegshandlungen« angestellt worden.

Internationale Reaktionen

Bislang hatte sich China im Konflikt um die Ukraine um eine neutrale Haltung bemüht. Nun gaben Mitarbeiter des US-Geheimdienstes laut Nachrichtenagentur Reuters bekannt, dass China seine Bereitschaft signalisiert habe, Russland militärisch und wirtschaftlich zu unterstützen. Die Geheimdienstmitarbeiter stützten ihre Informationen auf die Aussagen eines US-Staatsbeamten, der nicht namentlich genannt wurde.

Die USA haben sich bereits zu den Vorgängen geäußert: Nach einem Gespräch ranghoher Vertreter Pekings und Washingtons in Rom sagte eine US-Vertreterin, Washington halte die »Annäherung« Pekings an Moskau für »zutiefst besorgniserregend«.

Was heute passiert

  • Unterhändler Russlands und der Ukraine hatten am Montag eine vierte Verhandlungsrunde per Videokonferenz gestartet, die dann aber vertagt wurde. Bei der Unterbrechung handele es sich um eine technische Pause für Gespräche in Arbeitsgruppen und eine »Klärung individueller Definitionen«, so der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. Nun werden sie fortgesetzt.

  • In London treffen sich heute die Staats- und Regierungschefs aus den Ländern der nordeuropäischen Verteidigungskooperation Joint Expeditionary Force (JEF). Nach Angaben der britischen Regierung soll es unter anderem darum gehen, dass keine weitere Nation Opfer russischer Aggression wird. Zu den beteiligten Ländern zählen neben Großbritannien die nordischen Staaten Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden und Island, die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie die Niederlande.

  • Gegen acht Uhr will das Statistische Bundesamt zu den Auswirkungen der Russlandsanktionen auf den Außenhandel informieren. Und um zehn Uhr trifft sich der EU-Ministerrat für Wirtschaft und Finanzen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen unter anderem die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die EU besprechen.

aar/cop/dpa/Reuters/AFP
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