Krieg in der Ukraine Städte unter Beschuss, Diskussion über russische Energieimporte – das geschah in der Nacht

Mehrere ukrainische Städte sind offenbar von russischen Truppen angegriffen worden. Unter den Zielen sollen auch Wohngebiete gewesen sein. Der Druck auf Deutschland zum Verzicht auf russisches Öl und Gas wächst. Der Überblick.
Zerstörte Häuser nach einem russischen Luftangriff in Sumy

Zerstörte Häuser nach einem russischen Luftangriff in Sumy

Foto: STATE EMERGENCY SERVICES OF UKRAINE / VIA REUTERS

Behördenvertreter mehrerer ukrainischer Städte berichten von Angriffen. Der Armee zufolge arbeiten russische Truppen weiterhin an einer Einkesselung der Hauptstadt Kiew – ukrainische Streitkräfte halten sie zurück. Derweil sollen am Mittwoch 35.000 Zivilisten in Sicherheit gebracht worden sein. Für die kommenden Stunden sind drei Fluchtkorridore aus ukrainischer Region Sumy geplant. Die wichtigsten aktuellen Entwicklungen im Überblick:

Was in den vergangenen Stunden geschah

In der Nacht meldeten verschiedene lokale Behördenvertreter aus mehreren ukrainischen Städten Beschuss. Russische Flugzeuge hätten die Umgebung der nordostukrainischen Großstadt Sumy bombardiert, schrieb der Chef der Gebietsverwaltung von Sumy, Dmytro Schywyzkyj, auf Telegram. In der Stadt Ochtyrka südlich von Sumy seien erneut Wohngebiete beschossen worden. Es gebe zudem Informationen, dass dort auch eine Gasleitung getroffen worden sei.

Der Bürgermeister der südukrainischen Stadt Mykolajiw berichtete ebenso von Beschuss durch Mehrfachraketenwerfer, aus nördlicher Richtung kommend. »Entweder sie testen die Robustheit unserer Kontrollpunkte, oder sie bereiten sich auf eine Offensive vor«, sagte Bürgermeister Olexandr Senkewitsch in einem Livevideo auf Facebook. Er rief die Menschen dazu auf, im Keller zu übernachten.

Währenddessen arbeiten russische Truppen laut der ukrainischen Armee weiter daran, Kiew zu umzingeln. Auch die Einheiten rund um die südukrainische Großstadt Mykolajiw würden verstärkt. Angriffe gebe es in der Region Charkiw im Osten des Landes zudem auf die Stadt Isjum und die nahen Dörfer Petrivke und Hruschuwacha. Die Angaben können jedoch nicht unabhängig überprüft werden.

Dem ukrainischen Generalstab zufolge wehren die eigenen Streitkräfte aktuell die Offensiven der russischen Truppen ab und halten diese zurück. Das teilte er auf Facebook mit. In manchen Einsatzgebieten hätten die russischen Einheiten ihre Kampfkraft verloren und führten Reserven ein.

Das sagt Kiew

Die Ukraine erhöht den Druck auf Deutschland, die Energieimporte aus Russland zu stoppen. Angesichts der hohen Zahl der Kriegsopfer unter der Zivilbevölkerung sei das Nein der Bundesregierung zu einem Importstopp »moralisch nicht tragbar«, sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, der Nachrichtenagentur dpa. »Wir rufen die Deutschen auf, eine einzig richtige Entscheidung zu treffen und dieses Embargo unverzüglich einzuführen, um dem putinschen Krieg gegen die ukrainischen Frauen und Kinder ein Ende zu setzen.«

Deutschland und die Europäische Union haben Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine zwar mit massiven Sanktionen belegt. Die Kappung der milliardenschweren Lieferungen von Gas, Erdöl und Kohle gehört aber nicht dazu. Deutschland ist in besonders hohem Maße abhängig von russischen Energielieferungen. Bundeskanzler Olaf Scholz schloss einen Importstopp am Mittwoch erneut aus, obwohl die USA zuvor einen solchen Schritt angekündigt hatten.

Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind mindestens 35.000 Zivilisten am Mittwoch aus von russischen Truppen belagerten Städten in Sicherheit gebracht worden. In einer in der Nacht veröffentlichten Videoansprache sagte Selenskyj, dass drei humanitäre Korridore es den Bewohnern ermöglicht hätten, die Städte Sumy im Nordosten, Enerhodar im Südosten und Gebiete um die Hauptstadt Kiew zu verlassen.

Wolodymyr Selenskyj

Wolodymyr Selenskyj

Foto: IMAGO/UKRINFORM / IMAGO/Ukrinform

Am Dienstag hatten erstmals Zivilisten über einen Fluchtkorridor aus Sumy in Sicherheit gebracht werden können. Daraufhin hatten Kiew und Moskau die Einrichtung mehrerer weiterer Fluchtkorridore für Mittwoch verkündet, darunter für die Städte Irpin, Butscha und Hostomel nahe Kiew. Mehrere Versuche, sichere Fluchtrouten zu schaffen, waren zuvor fehlgeschlagen. Moskau und Kiew hatten sich dafür gegenseitig die Schuld zugewiesen.

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Internationale Reaktionen

Die US-Regierung hat die Lieferung von MiG-29-Kampfjets in die Ukraine endgültig abgelehnt. Die Geheimdienste seien zu der Einschätzung gekommen, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Verlegung von Kampfflugzeugen als Eskalationsschritt missverstehen könnte, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. Die USA erteilten damit auch einem Vorschlag Polens eine Absage, der Ukraine MiG-29-Kampfjets mit einem Zwischenstopp auf einem US-Stützpunkt in Deutschland zu überlassen.

John Kirby

John Kirby

Foto: Manuel Balce Ceneta / dpa

Kirby äußerte sich einerseits direkt zu dem Vorschlag Polens – machte aber auch allgemeine Aussagen mit Blick auf Lieferungen von Kampfjets an die Ukraine. »Wir unterstützen die Übergabe weiterer Kampfflugzeuge an die ukrainischen Luftstreitkräfte zum jetzigen Zeitpunkt nicht«, sagte er.

Die US-Regierung warnt zudem vor einem möglichen russischen Einsatz chemischer oder biologischer Waffen in der Ukraine. Moskau wolle mit der Verbreitung von Falschinformationen den Weg dafür bereiten, den ungerechtfertigten Angriffskrieg in der Ukraine weiter zu eskalieren, warnte die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki. Russland folge dabei einem klaren Verhaltensmuster – entweder um selbst Massenvernichtungswaffen einzusetzen, oder um einen Angriff durch die Ukrainer vorzutäuschen, um eine Rechtfertigung für die Fortsetzung des Kriegs zu konstruieren, schrieb Psaki.

Die USA haben vorsorglich zwei »Patriot«-Raketensysteme von Deutschland nach Polen verlegt. Details blieben aber spärlich. Ein Sprecher des Pentagons: »Wir werden nicht darüber sprechen, wo sie stationiert sind, und wir werden auch nicht über ihren Einsatzstatus sprechen.«

Die britische Außenministerin Liz Truss hat die russische Invasion in die Ukraine mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 in den USA verglichen. Wladimir Putin habe nicht nur das ukrainische Volk angegriffen, sondern auch »das Fundament unserer Gesellschaften« wie Demokratie und Souveränität, sagte die britische Diplomatin: »Er [Putin] hat die Architektur der globalen Sicherheit erschüttert. Die Invasion in die Ukraine bedeutet einen Paradigmenwechsel wie 9/11.«

Wirtschaftliche Konsequenzen

Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnt eindringlich vor dramatischen wirtschaftlichen Auswirkungen, die Deutschland bei einem sofortigen Verzicht auf russisches Öl und Gas zu erwarten hätte: »Fünf Prozent wirtschaftlicher Einbruch – wenn es denn so käme – ist mehr als die Covid-Pandemie.« Es gehe darum, wirtschaftliche Schäden abzuwehren, die Deutschland über Jahre binden und auch politisch lähmen würden.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat der Ukraine einen Notkredit über 1,4 Milliarden US-Dollar (knapp 1,3 Milliarden Euro) gewährt. Wegen des russischen Angriffskriegs habe das Land einen »dringenden Finanzbedarf«. Der Krieg werde in diesem Jahr zu einer schweren Rezession in der Ukraine führen, warnte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa.

Als Reaktion auf die russische Aggression stoppt der weltgrößte Onlinehändler Amazon den Versand von Produkten an Privatkunden in Russland und Belarus. Der Konzern gab zudem bekannt, Nutzern in Russland bis auf Weiteres den Zugang zu seinem Streamingdienst Prime Video zu sperren.

Heineken, die weltweit zweitgrößte Brauerei, teilte am Mittwoch mit, Produktion, Werbung und Verkauf seiner Marken in Russland zu beenden. Dies geschehe in Reaktion auf »anhaltende Kriegseskalation«. Vergangene Woche hatte Heineken bereits neue Investitionen sowie Exporte nach Russland gestoppt.

Auch Heinekens Konkurrent Carlsberg, viertgrößter Bierbrauer der Welt, stoppt die Produktion und den Verkauf in Russland. Die Tochtergesellschaft Baltika, die sich mehrheitlich in ihrem Besitz befindet, werde jedoch als eigenständiges Unternehmen weiterarbeiten. Damit sollen die 8400 Mitarbeiter in Russland unterstützt werden.

Wie es heute weitergeht

  • Das erste persönliche Treffen der Außenminister Russlands und der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffs steht bevor. Die Gespräche zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba sollen gegen 9.30 bis 10.00 Uhr Ortszeit (7.30 bis 8.00 Uhr MEZ) in der türkischen Stadt Antalya beginnen. Begleitet werden sie vom türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu.

  • Die Staats- und Regierungschef der Europäischen Union beraten ab dem heutigen Donnerstag über Konsequenzen des Ukrainekriegs (ab 17.30 Uhr). Bei dem zweitägigen Gipfeltreffen auf Schloss Versailles bei Paris geht es um den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit der EU, wie Ratspräsident Charles Michel in seinem Einladungsschreiben mitteilte. Daneben beraten die EU-Spitzen über eine stärkere Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas. Am Freitag soll es um eine robustere Wirtschaftsbasis für Europa gehen. Kurz vor dem Gipfel hatten die EU und die USA ihre Sanktionen gegen Russland sowie das Nachbarland Belarus ausgeweitet. Auch die ukrainischen Wünsche nach weiteren Waffenlieferungen sowie einem EU-Beitritt dürften bei dem Treffen zur Sprache kommen.

  • Einem ukrainischen Behördenvertreter zufolge sind drei Fluchtkorridore zur Evakuierung von Menschen aus der Region Sumy im Nordosten des Landes geplant. Diese führten aus den Städten Trostjanez, Krasnopillja und Sumy jeweils in Richtung der zentralukrainischen Stadt Poltawa, teilte der Chef der Gebietsverwaltung von Sumy, Dmytro Schywyzkyj mit. Der Beginn der Waffenruhe für die betreffenden Routen sei für 8.00 Uhr MEZ geplant.

  • US-Vizepräsidentin Kamala Harris wird bei einem Besuch in der polnischen Hauptstadt Warschau Gespräche mit Staatschef Andrzej Duda und Regierungschef Mateusz Morawiecki führen. Die Stellvertreterin von US-Präsident Joe Biden will dem östlichen Nato-Partner dabei angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine den Beistand der USA zusichern. Wichtiges Thema der Gespräche dürfte auch die mögliche indirekte Lieferung von polnischen Kampfflugzeugen des Typs MiG-29 an die Ukraine sein.

jok/cop/dpa/Reuters/AFP
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