Krieg in Osteuropa CIA warnt vor russischem Einsatz kleinerer Atomwaffen, Angriffe im Osten der Ukraine – das geschah in der Nacht

Zerstörung in Charkiw
Foto: Roman Pilipey / EPAWas in den vergangenen Stunden geschah
Der angeschlagene russische Raketenkreuzer »Moskwa« ist nach russischen Angaben gesunken. Das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte sei am Donnerstag während eines Sturms untergegangen, als es an sein Ziel geschleppt wurde, berichtete die Staatsagentur Tass am Donnerstagabend unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Ein Abschleppen sei notwendig geworden, da das Schiff seine Stabilität aufgrund von Schäden am Rumpf verloren habe, der während eines Brandes durch die Detonation von Munition beschädigt worden sei.
Ukrainische Militärs hatten zuvor berichtet, das Schiff sei von einer Anti-Schiffs-Rakete getroffen worden. In der Nacht zu Donnerstag hatte es von russischer Seite geheißen, die Besatzung des Schiffes sei nach einem Brand vollständig auf andere Schiffe der Schwarzmeerflotte in der Gegend evakuiert worden.
Russische Einheiten versuchen ukrainischen Angaben zufolge derzeit vorrangig, die Städte Popasna und Rubischne im Gebiet Luhansk im Osten der Ukraine einzunehmen. Sie seien dabei aber nicht erfolgreich, hieß es im Morgenbericht zur militärischen Lage des ukrainischen Generalstabs am Freitag. Kiew erwartet in den nächsten Tagen eine Großoffensive russischer Einheiten im Osten des Landes.
Binnen 24 Stunden habe man in den Gebieten Luhansk und Donezk an acht Stellen Angriffe abgewehrt und dabei mehrere russische Panzer und ein Artilleriesystem zerstört, heißt es in dem Generalstabsbericht weiter. Die Ukraine hat dort besonders starke Truppen, die seit 2014 die Front gegen die von Moskau gelenkten und ausgerüsteten Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk halten.
Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine sind in der Region Charkiw nach ukrainischen Angaben mehr als 500 Zivilisten getötet worden. Insgesamt seien seit dem 24. Februar 503 Zivilisten getötet worden, darunter 24 Kinder, sagte der Regionalgouverneur Oleg Synegubow am Donnerstag in einem bei Telegram veröffentlichten Video.
In den vergangenen 24 Stunden habe es in der Region im Osten der Ukraine 34 Angriffe gegeben. Dabei seien ein Mensch getötet und acht weitere verletzt worden.
Laut der Nachrichtenagentur Reuters wurden gewaltige Explosionen aus Kiew, dem südlichen Cherson, Charkiw im Osten und Iwano-Frankiwsk im Westen gemeldet. Ukrainische Medien berichteten demnach über Stromausfälle in Teilen der Hauptstadt Kiew.
Das sagt Kiew
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seinen Landsleuten für 50 Tage Widerstand gegen Russland gedankt. »Gott sei Dank, den Streitkräften der Ukraine und unserem Volk – wir haben den größten Teil unseres Landes verteidigt«, sagte er anlässlich des 50. Tages seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine in einer am Donnerstagabend auf Telegram veröffentlichten Videobotschaft. »50 Tage unserer Verteidigung sind eine Leistung. Eine Leistung von Millionen von Ukrainern.«

Wolodymyr Selenskyj
Foto: Ukrainian Presidency Press Offic / dpaSelenskyj sagte weiter, er erinnere sich an den ersten Tag der russischen Invasion in die Ukraine. »Um es milde auszudrücken: Niemand war überzeugt, dass wir bestehen würden.« Viele hätten ihm geraten, das Land zu verlassen. »Sie haben dazu geraten, dass wir uns de facto der Tyrannei ergeben.« Sie hätten aber die Ukrainer nicht gekannt und nicht gewusst, wie mutig diese seien und wie sehr sie Freiheit schätzten, »so zu leben, wie wir wollen«.
Selenskyj dankte zudem allen Unterstützern der Ukraine. Er habe in den 50 Tagen viele politische Führer auf eine andere Art gesehen. Er habe »große Großzügigkeit« bei denen gesehen, die nicht reich seien, oder Entschlossenheit bei jenen, die von anderen nicht ernst genommen worden seien. Er habe aber auch Politiker gesehen, die sich so verhielten, als hätten sie keine Macht.
Außerdem spielte er auf das gesunkene russische Kriegsschiff »Moskva« an und pries alle jene, »die gezeigt haben, dass russische Schiffe auf den Grund gehen können«.
Internationale Reaktionen
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck macht sich für eine Ausweitung von Waffenlieferungen an die Ukraine stark. »Wir können die Ukraine in dem Krieg nicht alleinlassen. Sie kämpft auch für uns. Die Ukraine darf nicht verlieren, Putin darf nicht gewinnen«, sagte der Grünenpolitiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Auf die Frage, ob Deutschland auch schwere Waffen liefere, sagte der Vizekanzler: »Die Menschen in der Ukraine wehren sich mit Mut und Opferbereitschaft. Wir stehen in der Pflicht, sie mit Waffen zu unterstützen. Zugleich haben wir eine Verantwortung dafür, nicht selbst zum Angriffsziel zu werden. Das ist im Rahmen, innerhalb dessen wir alles liefern, was möglich ist.« Dieser Rahmen »schließt große Panzer oder Kampfflugzeuge bisher nicht ein«.
Der Chef des US-amerikanischen Auslandsgeheimdiensts CIA mahnt, die Gefahr, dass Russland in der Ukraine taktische Atomwaffen oder Atomwaffen mit geringer Sprengkraft einsetzen könnte, nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Moskau habe sich mit den Äußerungen zur erhöhten Einsatzbereitschaft seiner Atomwaffen der Drohgebärden bedient, sagte Bill Burns. Bislang hätten die USA dafür aber kaum praktische Belege wie Truppenbewegungen oder militärische Vorbereitungen gesehen, sagte er am Donnerstag an einer Universität im Bundesstaat Georgia.
Der russische Politiker Alexander Babakow ist von der US-Justiz der illegalen Einflussnahme und Propaganda beschuldigt worden. Zusammen mit zwei Mitarbeitern soll er seit 2012 auf US-Boden »illegitime Aktionen gegen die Ukraine über das Schlachtfeld hinaus« verfolgt haben, wie die Staatsanwaltschaft in New York am Donnerstag mitteilte. Bei ihren Aktivitäten nutzten die Verdächtigen demnach den Deckmantel der Organisation »Institut für Studien zur internationalen Integration«. So sollen sie 2017 »mindestens ein Mitglied des US-Kongresses« zu einer kostenlosen Reise zu einer Konferenz auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim eingeladen haben.

Zerstörte Brücke, die Kiew mit Irpin verbunden hatte
Foto: Rodrigo Abd / dpaFrankreich will seine Botschaft in der Ukraine wieder von Lwiw nach Kiew verlegen. Der Schritt werde »sehr bald« erfolgen und solle es ermöglichen, die Unterstützung Frankreichs für die Ukraine »weiter zu vertiefen«, teilte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian am Donnerstagabend mit. Die französische Botschaft in Kiew war Anfang März kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine in das westukrainische Lwiw verlegt worden.
Wirtschaftliche Reaktionen
Mithilfe weltweit greifender Sanktionen will die US-Regierung sieben Boeing-Maschinen der staatlichen belarussischen Fluggesellschaft Belavia weitestgehend stilllegen. Das Handelsministerium in Washington erklärte, es sei das erste Mal, dass belarussische Flugzeuge infolge von Verstößen gegen US-Exportbestimmungen mit Sanktionen belegt würden. Zudem wurden drei weitere russische Flugzeuge zur Sanktionsliste hinzugefügt.
Jegliche Dienstleistung zur Ermöglichung von Flügen der Maschinen – sei es zum Beispiel die Wartung oder das Betanken der Maschinen – könne bestraft werden.
Humanitäre Lage
Der Leiter des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen, David Beasley, hat auf das große Leid in Mariupol aufmerksam gemacht. In der Hafenstadt seien weit über 100.000 Zivilisten eingeschlossen, die dringend Nahrung, Wasser und Heizung benötigen, sagte er der Nachrichtenagentur AP.
Die russischen Streitkräfte, die den Zugang zur Stadt kontrollieren, ließen keine Hilfsgüter zu, obwohl das WFP den Zugang gefordert hat. »Wir werden die Menschen in Mariupol und andere Menschen, die wir nicht erreichen können, nicht aufgeben. Aber die Situation ist verheerend: Die Menschen sind am Verhungern«, sagte Beasley. Die humanitäre Krise der Ukraine werde sich wahrscheinlich noch verschlimmern, wenn Russland seine Angriffe in den kommenden Wochen intensiviere.
Aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine sind am Donnerstag etwa 2550 Zivilisten evakuiert worden. Das teilte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk in Kiew mit. Rund 2300 Menschen seien in der südukrainischen Stadt Saporischschja angekommen, darunter 290 Bewohnerinnen und Bewohner Mariupols.
Während der Evakuierungen hätten russische Einheiten »ständig« die dafür eingerichteten Feuerpausen gebrochen, sagte Wereschtschuk. Weitere rund 220 Menschen seien aus der Region Luhansk im Osten des Landes in Sicherheit gebracht worden. Dort wie in der angrenzenden Region Donezk werden in den kommenden Tagen eine russische Offensive und heftige Kämpfe erwartet.
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