Krieg in der Ukraine Russlands Armee schrumpft, Hilfsgüter sind blockiert – das geschah in der Nacht

Satellitenbilder zeigen zerstörte Gebäude im Westen der Stadt Mariupol
Foto: Maxar Technologies / AP / dpaNach ukrainischen Angaben sind die russischen Einheiten seit Kriegsbeginn stark geschrumpft. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nennt Russlands Positionen bei den Verhandlungen derweil realistischer als zuvor – man brauche aber noch etwas Geduld. Tausende Menschen sind aus belagerten Städten in Sicherheit gebracht worden. Hilfsgüter für die belagerte Stadt Mariupol werden Selenskyj zufolge von russischen Soldaten weiterhin blockiert. Die wichtigsten aktuellen Entwicklungen im Überblick:
Was in den vergangenen Stunden geschah
Die russische Armee soll nach Angaben des ukrainischen Generalstabs bereits bis zu 40 Prozent der Einheiten verloren haben, die seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar an Kämpfen beteiligt waren. Diese Truppen seien entweder vollständig zerstört worden oder hätten ihre Kampfkraft verloren, teilte der Generalstab in Kiew mit. Eine konkrete Zahl nannte er nicht. Die Angaben können auch nicht unabhängig geprüft werden.
Die russischen Bodentruppen machen indes nach Einschätzung der US-Regierung weiter kaum Fortschritte. Die Hauptstadt Kiew werde von den gegnerischen Streitkräften weiter aus großer Entfernung bombardiert, sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter. Immer öfter würden zivile Ziele wie Wohngebiete getroffen. Das russische Militär sei aber nicht nennenswert näher an die Stadt herangerückt.
Schätzungen zufolge seien die russischen Truppen im Nordwesten etwa 15 bis 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, im Osten seien es zwischen 20 und 30 Kilometer. Die nordukrainische Stadt Tschernihiw und die Stadt Mariupol am Asowschen Meer seien weiter isoliert.
In der Region Odessa sei die Küste von russischen Schiffen beschossen worden, teilte der Berater des Innenministeriums, Anton Heraschtschenko, mit. Es habe aber keinen Landungsversuch gegeben.
Humanitäre Lage
Die schlimmste Situation herrsche weiter in der Gegend um die umkämpfte Hafenstadt Mariupol, hieß es. Hier versuche die russische Armee, die Stadt am westlichen und östlichen Rand zu blockieren. Sie erleide dabei aber erhebliche Verluste. Am Dienstag konnten sich nach Behördenangaben etwa 20.000 Menschen aus der Stadt in Sicherheit bringen.
Insgesamt hätten sich am Dienstag landesweit fast 30.000 Zivilisten aus umkämpften Städten und Dörfern zurückziehen können, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Eine Kolonne mit Hilfsgütern für Mariupol werde von russischen Soldaten jedoch weiterhin blockiert. »Aber wir werden die Versuche nicht aufgeben, Menschen zu retten, die Stadt zu retten«, so Selenskyj.

Wohnungen nach einem Raketeneinschlag in Kiew
Foto: Madeleine Kelly / dpaDer Gouverneur der Region, Pawlo Kyrylenko, erklärte, dass die russischen Streitkräfte die Angestellten eines Krankenhauses in Mariupol und 400 Anwohner als »Geiseln« in der Einrichtung festhielten. Die Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden.
Mariupol liegt etwa 55 Kilometer von der russischen Grenze und 85 Kilometer von der Separatistenhochburg Donezk entfernt. Es ist die größte Stadt zwischen der von Russland annektierten Krim-Halbinsel und den prorussischen Separatistengebieten, die sich noch in der Hand der ukrainischen Regierung befindet. Die Eroberung der Stadt mit einst 450.000 Einwohnern wäre ein Wendepunkt in der russischen Invasion, da sie eine Landverbindung zwischen den beiden Gebieten herstellen und die Ukraine vom Asowschen Meer abschneiden würde.
Nach Uno-Angaben sind mittlerweile mehr als drei Millionen Menschen vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflohen. Dazu kommen Millionen Binnenflüchtlinge.
Das sagt Kiew
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich zu den Gesprächen mit Russland vorsichtig optimistisch geäußert. Die Verhandlungspositionen hörten sich realistischer an, sagte er in einer Videobotschaft. Bis die Ukraine zufrieden sein könne, dauere es aber noch. »Wir alle wollen so schnell wie möglich Frieden und Sieg«, meinte der Präsident. »Aber es braucht Mühe und Geduld. Es muss noch gekämpft und gearbeitet werden.« Jeder Krieg ende mit einer Vereinbarung. »Die Treffen werden fortgesetzt.«
Die Ukraine fordert ein Ende des Krieges und einen Abzug der russischen Truppen. Moskau verlangt unter anderem, dass Kiew die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisch sowie die ukrainischen Separatistengebiete als unabhängige Staaten anerkennt.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine werde für Russland mit Schande, Armut und jahrelanger Isolation enden, sagte Selenskyj in der Videobotschaft. Wer für den russischen Staat oder dessen »Propagandasystem« arbeite, werde alles verlieren. »Kündigen Sie«, riet der Präsident. »Ein paar Monate ohne Arbeit werden für Sie definitiv besser als das ganze Leben mit internationaler Verfolgung.«
Internationale Reaktionen
Die Rolle der Nato ist eine entscheidende in diesem Konflikt. Bisher taktieren die Mitglieder des westlichen Militärbündnisses, um jegliche Eskalation mit Russland zu vermeiden. Eine solche Eskalation könnte unabsehbare Folgen haben. Nun allerdings gibt es einen Vorstoß des Nato-Mitglieds Polen. Das Land hat eine »Friedensmission« der Nato zur Unterstützung der Ukraine gefordert. Die Forderung stammt konkret von Vizeregierungschef Jaroslaw Kaczynski.
Er erklärte, eine solche Mission müsse »von Streitkräften geschützt« werden und »in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen«. Neben der Forderung selbst war auch der Ort von Kaczynskis Aussage bemerkenswert. Er war mit den Regierungschefs von Polen, Slowenien und Tschechien nach Kiew gereist. Bei dem geheim geplanten Besuch trafen sie den ukrainischen Präsidenten. Dieser fordert immer wieder Beistand der Nato – stößt dabei aber bisher im Westen auf taube Ohren. Die USA, aber auch Deutschland haben stets betont, dass ein Einschreiten auf Nato-Basis in der Ukraine nicht infrage kommt.

Ukrainischer Präsident Selenskyj bei Treffen mit Regierungschefs von Polen, Slowenien und Tschechien
Foto: PRESIDENTIAL PRESS SERVICE HANDOUT HANDOUT / EPAStattdessen sollen massive Finanzhilfen die Postion der Ukraine in dem Konflikt verbessern. US-Präsident Joe Biden will einem Beamten des Weißen Hauses zufolge am Mittwoch weitere »Sicherheitshilfen« für die Ukraine über 800 Millionen Dollar (730 Millionen Euro) ankündigen. Damit hätten die USA insgesamt mehr als eine Milliarde US-Dollar an Unterstützung zugesagt, hieß es weiter.
Was heute passiert
Beim Nato-Verteidigungsministertreffen sollen vor allem Pläne für eine erhebliche Verstärkung der Abschreckung gegen Russland besprochen werden. Dabei dürfte es auch um eine deutliche Ausweitung der Militärpräsenz im östlichen Bündnisgebiet gehen.
Der Internationale Gerichtshof urteilt über Klage der Ukraine gegen Russland. Nach Beginn der Invasion hatte die Ukraine vor dem höchsten Uno-Gericht in Den Haag ein Dringlichkeitsverfahren angestrengt, um ein Ende der Gewalt zu erreichen. Russland boykottierte die Anhörung. Die Ukraine beschuldigt Russland der Verletzung der Völkermord-Konvention von 1948.
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu reist nach Moskau. Nach dem Treffen mit den Außenministern der Ukraine und Russlands in Antalya reist er nun zu Gesprächen in beide Länder. Am Donnerstag wird er in der Ukraine erwartet.
Die Gespräche zwischen Kiew und Moskau sollen ebenfalls fortgesetzt werden. Beide Seiten verhandelten am Montag und Dienstag in einer Videoschalte. Am Dienstagabend erklärte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak, die Gespräche würden an diesem Mittwoch fortgesetzt.
Der ukrainische Präsident Selenskyj wird sich per Videoschalte an den US-Kongress wenden. Dabei wird erwartet, dass er seine klaren Forderungen an die Nato wiederholt.