Russischer Angriffskrieg Selenskyj spricht von hohen Verlusten des Feindes – und nennt Dialog mit Russen »Zeitverschwendung«

Zerstörte russische Militärfahrzeuge in der Nähe von Kiew (am 14. Februar)
Foto: SERGEY DOLZHENKO / EPAWas in den vergangenen Stunden geschah
Russland erleidet nach Darstellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hohe Verluste bei den Gefechten im östlichen Donbass. Die Situation dort sei »sehr kompliziert«, sagte er in seiner abendlichen Videoansprache. Die Ukraine füge den Invasoren »außerordentlich hohe Verluste« zu. Selenskyj nannte mehrere Orte in der Region, wo seit Monaten schwere Kämpfe toben.
Je mehr Verluste Russland in Bachmut, Wuhledar und anderen Orten im Donbass erleide, desto schneller könne die Ukraine den Krieg mit einem Sieg beenden. Die Angaben können von unabhängiger Seite nicht überprüft werden. Eine russische Stellungnahme liegt nicht vor.
Das sagt Kiew
Der französische Präsident Emmanuel Macron verschwendet nach Ansicht von Selenskyj seine Zeit, wenn er einen Dialog mit Russland sucht. »Es wird ein erfolgloser Dialog sein. Tatsächlich verschwendet Macron seine Zeit. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir nicht in der Lage sind, die russische Haltung zu ändern«, zitierte die italienische Tageszeitung »Corriere della Sera« Selenskyjs Reaktion auf Macrons Äußerung, dass der Konflikt durch Verhandlungen beigelegt werden müsse.

Wolodomyr Selenskyj und Emmanuel Macron (am 8. Februar in Paris)
Foto: Sarah Meyssonnier / dpa»Wenn sie beschlossen haben, sich in dem Traum vom Wiederaufbau des alten Sowjetimperiums zu isolieren, können wir nichts dagegen tun. Es liegt an ihnen, sich für oder gegen eine Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft der Nationen auf der Grundlage gegenseitigen Respekts zu entscheiden«. Er wies jede Äußerung zurück, dass es die westlichen Sanktionen waren, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Isolation getrieben haben. »Es war vielmehr die Entscheidung, den Krieg zu beginnen, die Putin an den Rand gedrängt hat«, so Selenskyj.
Die ukrainische Regierung hat neue Sanktionen gegen den Finanzsektor Russlands erlassen, um die Kriegswirtschaft des Aggressors zu schwächen. Belegt mit Strafmaßnahmen sind demnach nicht nur Vertreter des Bankenwesens in Russland, sondern auch die Moskauer Börse. »Heute gibt es einen neuen Sanktionsschritt unseres Staates gegen all jene, die die russische Aggression speisen«, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache. Die Sanktionen seien Grundlage für Verbündete im Westen, ebenfalls solche Strafmaßnahmen zu erlassen.
Selenskyj erinnerte daran, dass mit Blick auf den Jahrestag des Beginns des russischen Angriffskrieges an diesem Freitag nun bereits das zehnte Sanktionspaket in Arbeit sei. »Wir arbeiten mit unseren Partnern daran, es zu verstärken«, sagte der Staatschef. Darüber hinaus wollen an diesem Montag die Außenminister der Europäischen Union in Brüssel beraten. Selenskyj forderte, dass sich jeder verantwortungsbewusste Staat den »Sanktionen gegen den Terror« anschließen solle.
Bei russischen Angriffen in der Region Cherson sind nach ukrainischen Angaben am Sonntag drei Menschen getötet worden. Vier weitere Menschen, darunter zwei Kinder, seien verletzt worden, als eine Granate in den Hof eines Hauses in dem Dorf Burgunka in der südukrainischen Region einschlug, teilte die Regionalverwaltung im Onlinedienst Telegram mit. In dem Dorf sei zudem ein achtjähriger Junge durch russischen Beschuss verletzt worden.
Das sagt Moskau
In der russischen Grenzregion Belgorod ist nach Behördenangaben ein zwölf Jahre altes Mädchen durch Artilleriebeschuss von ukrainischer Seite getötet worden. Der Gouverneur des Gebiets Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, teilte am Sonntag mit, dass das Mädchen in einem Dorf der Region auf der Straße tödlich von einem Geschoss verletzt worden sei. Unabhängige Medien berichteten, dass bei dem Beschuss mehrere Häuser und Autos beschädigt worden seien. Nach Darstellung von Gladkow gab es auch Beschuss in anderen Ortschaften des Gebiets, wo teils Elektroleitungen getroffen wurden.
Die Behörden in den Grenzregionen, darunter auch Kursk und Brjansk, beklagen seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine immer wieder Beschuss von der gegnerischen Seite. Dabei kamen bereits zahlreiche Menschen ums Leben, es gab Verletzte und Zerstörungen. Russland hat der Ukraine immer wieder gedroht, bei einer Fortsetzung des Beschusses seines Staatsgebiets die Befehlszentralen in der Hauptstadt Kiew ins Visier zu nehmen.
Waffenlieferungen an die Ukraine
Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), dringt auf langfristige Finanzzusagen der Politik für die Rüstungsindustrie und eine Vereinfachung des Vergabeverfahrens. »Die Industrie muss jetzt schleunigst Produktionskapazitäten aufbauen und dafür braucht sie auch Zusagen aus der Politik, dass das finanziert wird – und zwar über den Bundeshaushalt 2024 hinaus«, sagt Högl dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Über das 100-Milliarden-Sondervermögen hinaus müsse der Verteidigungsetat auf jeden Fall um zehn Milliarden Euro aufgestockt werden. »Wir brauchen das Geld, aber auch bessere Verfahren und Strukturen. Es muss alles viel schneller gehen.« Das betreffe die Neubeschaffung sowie die Wiederbeschaffung des Geräts, das an die Ukraine abgegeben werde. »Wir müssen die gesetzlichen Hürden, die Rechtsvorschriften vereinfachen. Das fängt beim europäischen Vergaberecht an.« Beschaffungsprobleme bestünden in allen europäischen Mitgliedstaaten. Allein der Rüstungskonzern Airbus wartet derzeit auf Exportgenehmigungen der Bundesregierung im Wert von mehreren Milliarden Euro.
Wirtschaftliche Konsequenzen
DIW-Präsident Marcel Fratzscher erwartet durch den Ukrainekrieg weiter steigende Kosten für die deutsche Wirtschaft und hohe Wachstumsverluste. »Der Ukrainekrieg und die damit verbundene Explosion der Energiekosten hat Deutschland im Jahr 2022 knapp 2,5 Prozent oder 100 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung gekostet«, sagte Fratzscher der »Rheinischen Post«. Diese Kosten würden in den kommenden Jahren weiter zulegen. »Deutschland ist wirtschaftlich stärker von der Krise betroffen, weil es eine höhere Abhängigkeit von russischer Energie hatte, einen hohen Anteil an energieintensiver Industrie hat und extrem abhängig von Exporten und globalen Lieferketten ist«, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
»Der Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist noch nicht entstanden, wird aber dann entstehen, wenn die Unternehmen die ökologische, wirtschaftliche und digitale Transformation nicht massiv beschleunigen.« Denn höhere Energiepreise würden in den kommenden zehn Jahren ein deutlicher Wettbewerbsnachteil bleiben, sodass Politik und Unternehmen dies durch höhere Innovation und Produktivität kompensieren müssten. »Die Bundesregierung sollte auf keinen Fall den eingeschlagenen Weg massiver Subventionen für fossile Energieträger fortsetzen«, sagte der Berliner Ökonom.
Internationale Reaktionen
China erwägt nach den Worten von US-Außenminister Antony Blinken, Russland im Ukrainekrieg mit Waffen zu unterstützen. »Die Sorge, die wir jetzt auf Grundlage der uns vorliegenden Informationen haben ist, dass sie die Bereitstellung tödlicher Unterstützung erwägen«, sagte Blinken mit Blick auf China am Sonntag im Fernsehsender CBS. Bei einem Treffen mit Chinas Außenpolitiker Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatte Blinken China vor »Konsequenzen« einer Unterstützung Russlands gewarnt.
Auf die Frage, was eine »tödliche Unterstützung« umfasse, sagte der Außenminister im Sender CBS: »alles von Munition bis zu den Waffen selbst«. Jegliche Waffenlieferung an Moskau würde »ernste Probleme« verursachen, warnte Blinken.
Am Sonntag sagte Blinken im Sender ABC, US-Präsident Joe Biden habe den chinesischen Staatschef Xi Jinping bereits im vergangenen März vor Waffenlieferungen an Russland gewarnt. Seither habe China darauf geachtet, »diese Linie nicht zu überschreiten«, hieß es aus US-Regierungskreisen.
Was heute passiert
Die Außenminister der EU-Staaten wollen ab dem Morgen über neue Russlandsanktionen und weitere Militärhilfe für die Ukraine beraten. Als Gast wird in Brüssel der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erwartet.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besucht ab mittags ukrainische Soldaten, die in Deutschland am Kampfpanzer Leopard 2 und dem Schützenpanzer Marder ausgebildet werden. Er wird dazu auf dem Truppenübungsplatz Munster in Niedersachsen erwartet. Deutschland hatte der Ukraine im Januar erstmals die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern zugesagt. Bis März soll die Bundeswehr Kiew 14 moderne Leopard-2-Kampfpanzer zur Verfügung stellen. Aus Industriebeständen sollen zudem 40 Marder-Schützenpanzer kommen.