Russische Aggression Kiew spricht von »dritter Phase« des Kriegs, nach Deutschland kommen weniger Flüchtlinge – das geschah in der Nacht

Zerstörtes Gebäude in Bachmut in der Oblast Donezk
Foto: Andriy Andriyenko / APWas in den vergangenen Stunden geschah
In der georgischen Separatistenregion Südossetien soll am 17. Juli eine Volksbefragung über einen Beitritt zur Russischen Föderation abgehalten werden. Der Präsident des Gebietes, Anatoli Bibilow, unterzeichnete am Freitag ein entsprechendes Dekret, wie sein Büro mitteilte. Die Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine.
Das Ringen um die Rettung der letzten Verteidiger von Mariupol, die sich im Asow-Stahlwerk verschanzt haben, geht weiter. Die Verhandlungen um einen möglichen freien Abzug oder Teilabzug gestalten sich nach Darstellung Kiews »äußerst schwierig«. Das sagte die für die Gespräche zuständige ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk, wie die Agentur Unian berichtete. »Ich teile die Angst und Sorge der Menschen, die den Verteidigern der Festung nahestehen«, sagte sie. Doch es herrsche Krieg. »Und im Krieg geschehen keine Wunder, es gibt nur bittere Realitäten.« Daher helfe nur ein »nüchternes und pragmatisches Herangehen«. Möglicherweise werde der Ausgang nicht alle zufriedenstellen, so Wereschtschuk. Dennoch werde alles getan, um die Soldaten zu retten.

Asow-Stahlwerk in Mariupol
Foto: IMAGO/Nikolai Trishin / IMAGO/ITAR-TASSDas sagt die Ukraine
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat noch mehr Engagement der internationalen Gemeinschaft gegen Moskau gefordert. »Mit jedem Tag des Kriegs nehmen die globalen Bedrohungen zu, gibt es eine neue Gelegenheit für Russland, Instabilität in anderen Teilen der Welt zu provozieren, nicht nur hier in Europa«, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache. Derweil aber stürben in der Ukraine Männer und Frauen, »die ihr Bestes geben, damit alle Menschen frei leben können«, sagte Selenskyj. »Daher ist viel mehr Druck auf Russland erforderlich.«
Dennoch gebe es Länder, in denen Sanktionen gegen Moskau zurückgehalten würden oder Hilfe für die Ukraine blockiert werde, kritisierte Selenskyj. Dabei sei inzwischen bekannt, dass Russlands Blockade ukrainischer Häfen sowie der Krieg insgesamt eine große Nahrungsmittelkrise provozierten. »Und russische Beamte drohen der Welt auch offen, dass es in Dutzenden von Ländern Hungersnöte geben wird.«
»Tatsächlich kann heute niemand vorhersagen, wie lange dieser Krieg dauern wird«, sagte Selenskyj. »Aber wir tun alles, um unser Land schnell zu befreien. Das ist unsere Priorität – jeden Tag daran zu arbeiten, den Krieg zu verkürzen.« Dazu aber brauche die Ukraine die Hilfe ihrer Partner.
Unterdessen hat die ukrainische Führung mitgeteilt, dass sie den Beginn der »dritten Phase« des russischen Angriffskriegs sehe. »Phase eins« sei der Versuch gewesen, die Ukraine »in wenigen Tagen« zu überrollen, sagte Viktor Andrusyw, Berater im ukrainischen Innenministerium. In der zweiten Phase sollten wiederum die ukrainischen Streitkräfte in mehreren Kesseln eingekreist und zerschlagen werden. »Und auch das haben sie nicht geschafft.«
In der neuen »dritten Phase« bereiteten die russischen Militärs die Verteidigung der bisher erreichten Geländegewinne vor. »Das zeigt, dass sie einen langen Krieg daraus machen wollen«, sagte Andrusyw. Offenbar denke die russische Regierung, dass sie mit diesem Hinausziehen des Kriegs den Westen an den Verhandlungstisch und damit wiederum die Ukraine zum Einlenken zwingen könne.
Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes sagt hingegen ein Ende des Kriegs mit einer russischen Niederlage bis Jahresende voraus. Spätestens Mitte August komme es zu einer Wende an den Fronten, sagte Generalmajor Kyrylo Budanow dem britischen Sender Sky News am Freitagabend. Bis zum Jahresende werde die Ukraine wieder die Kontrolle über alle ihre Gebiete zurückerlangen, auch über die Halbinsel Krim.
Der Geheimdienstler sprach den russischen Streitkräften die oft nachgesagte Stärke ab. »Das ist ein Mythos.« Die russische Armee sei »nur eine Horde von Menschen mit Waffen«.
Nach Meinung des ukrainischen Präsidentenberaters Olexij Arestowytsch stehen Russlands Armee und Wirtschaft auf tönernen Füßen. Das Bild des russischen Präsidenten Wladimir Putin von der »unbesiegbaren zweitgrößten Armee der Welt« habe sich bereits »als Fake« entpuppt, sagte er nach Angaben der Agentur Unian. Die Realität der vergangenen Wochen habe ein reales Bild von der Kampffähigkeit der russischen Armee gezeigt: »Sie hat gedroht, die Nato zu zerlegen, ist aber schon an zwei Dörfern in der Region Sumy (in der Nordostukraine) gescheitert.«
Arestowytsch sagte zugleich den aus seiner Sicht bevorstehenden Zusammenbruch der russischen Wirtschaft im Sommer voraus. »Jeder Versuch zu Verhandlungen mit dem Westen wird scheitern.« Das werde sich spätestens im Juli oder August bei einer möglichen Mobilmachung bemerkbar machen. Er bezweifele, dass die russische Wirtschaft diesem Druck standhalten könne.
Der Bürgermeister von Odessa hat die im Mariupoler Asow-Stahlwerk verschanzten ukrainischen Soldaten gewürdigt. »Mariupol rettet meiner Ansicht nach nicht nur Odessa, sondern die gesamte Ukraine«, sagte Hennadij Truchanow nach Angaben der Agentur Unian. »Denn diese Selbstlosigkeit, die unsere Militärs in Mariupol zeigen, das ist ein wahres Beispiel von Heldentum.«
Zwar liege die Hafenstadt Odessa weiterhin unter wiederholtem Beschuss durch russische Raketen, doch könnten sich die Bewohner immer noch in relativer Sicherheit wiegen. In Mariupol gehe es »buchstäblich nicht mehr um Leben, sondern um den Tod«.
Internationale Reaktionen
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Solidarität mit der Ukraine bekräftigt, zugleich aber um Geduld bei der Lieferung schwerer Waffen gebeten. Es sei Konsens, »dass wir an der Seite der Ukraine stehen müssen, damit es nicht weitere Kriegsverbrechen gibt, damit die Ukraine sich verteidigen kann«, sagte Baerbock am Freitagabend in den »Tagesthemen« der ARD mit Blick auf das Treffen der G7-Außenministerinnen und -minister in Schleswig-Holstein.
Deutschland wie auch viele andere Bündnispartner könnten aber »nicht per Knopfdruck sofort Unterstützung« gerade im Bereich Luftverteidigung liefern, fügte die Außenministerin hinzu. Daher täten sich die Verbündeten zusammen, etwa Deutschland und die Niederlande bei der Lieferung von Haubitzen.
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sieht durch den russischen Krieg gegen die Ukraine das politische Ende von Kremlchef Wladimir Putin besiegelt. Auf die Frage, ob Putin im eigenen Land gestürzt werde, sagte Klingbeil dem »Redaktionsnetzwerk Deutschland« (RND) : »Die Bevölkerung wird erkennen, dass Putin und seine Elite die Verantwortung dafür tragen, dass dieser unmenschliche Krieg in der Ukraine auch im eigenen Land Wohlstand, Arbeitsplätze und Lebensperspektiven kosten wird.« Putin habe mit diesem Krieg Russland über Jahre isoliert. »Das Land, die elftgrößte Volkswirtschaft, wird durch die Sanktionen um Jahrzehnte zurückgeworfen.« Fachkräfte verließen gerade zu Tausenden das Land.
Humanitäre Lage
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht eine Beruhigung beim Zustrom von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. »Pro Tag kommen derzeit nur noch ungefähr 2000 Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland an. Mitte März waren es noch 15.000 Menschen täglich«, sagte die SPD-Politikerin der »Rheinischen Post« . Zugleich kehrten über die polnisch-ukrainische Grenze inzwischen täglich 20.000 Geflüchtete zurück in ihr Land, darunter auch Menschen aus Deutschland. Sie gehe davon aus, dass die Mehrheit wieder zurückkehren werde. »Ein Teil wird bleiben, wenn die Menschen die Chance sehen, mit ihrer Qualifikation auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen«, fügte die Innenministerin hinzu.
Gleichwohl bleibe es eine große humanitäre Kraftanstrengung, die geflüchteten Frauen, Kinder und alten Menschen bestmöglich zu versorgen, so Faeser. Die Hilfsbereitschaft ist aus ihrer Sicht hierzulande weiter groß. »Die Geflüchteten werden hier sehr gut aufgenommen – da kippt im Moment nichts.«
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte eine rasche Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in den Regelunterricht. »Willkommens-, Intensiv- oder Sprachklassen können nur eine Übergangslösung sein«, sagte GEW-Chefin Maike Finnern dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) . Für ein gutes Integrationsangebot bräuchten die Schulen dringend Unterstützung – mehr Personal, zusätzliche Räume und eine Aufstockung der Sachmittel. Nach am Donnerstag veröffentlichten Daten der Kultusministerkonferenz lernen mittlerweile fast 106.000 Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen.
Was heute passiert
In Weissenhäuser Strand endet das Gipfeltreffen der Außenminister der G7-Gruppe der führenden demokratischen Wirtschaftsmächte. Das Treffen in deutscher Präsidentschaft wird von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) geleitet.
In Berlin beginnt das Treffen der Nato-Außenminister. Auf dem Programm steht auch ein informelles Arbeitsessen gemeinsam mit der Außenministerin von Schweden, Ann Linde, und dem Außenminister von Finnland, Pekka Haavisto. Hintergrund ist die Diskussion einer Aufnahme beider Länder in die Nato.